Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Wirtschaft.
Fugger und Welser wird Karl V. gewählt, nur durch die Unterstützung
der Fugger und Welser wird er in den Stand gesetzt, den unseligen
schmalkaldischen Krieg zu führen, und in dem nun folgenden Kampf
der Habsburger gegen deutsches Gewissen und deutsche Freiheit spielen
wieder diese gesinnungslosen Kapitalisten eine entscheidende Rolle; und
zwar bekennen sie sich zu Rom und bekämpfen sie die Reformation,
nicht aus religiöser Überzeugung, sondern ganz einfach, weil sie mit
der Kurie ausgedehnte Geschäfte führen und bei ihrer eventuellen
Niederlage grosse Einnahmen zu verlieren fürchten.1)

Und dennoch werden wir zugeben müssen, dass dieser rücksichts-
lose, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Ehrgeiz des Einzelnen
ein wichtiger und unentbehrlicher Faktor unserer gesamten civilisatorisch-
ökonomischen Entwickelung gewesen ist. Ich nannte vorhin die Könige
und will hier den Vergleich aus dem nahe verwandten politischen Ge-
biete noch einmal heranziehen. Wer kann die Geschichte Europa's von
dem 15. Jahrhundert bis zur französischen Revolution lesen, ohne dass
sein Blut vor Empörung fast beständig kocht? Alle Freiheiten werden
geraubt, alle Rechte mit Füssen getreten; schon Erasmus ruft voll In-
grimm aus: "Das Volk baut die Städte, die Fürsten zerstören sie!"
Und er hatte noch lange nicht das Schlimmste erlebt. Und wozu das
alles? Damit eine Handvoll Familien sich das Monopol über ganz
Europa erringen. Eine schlimmere Rotte gewohnheitsmässiger Ver-
brecher als unsere Fürsten kennt die Geschichte nicht; juristisch be-
trachtet, gehörten sie fast alle ins Zuchthaus. Und doch, welcher
ruhig denkende, gesund urteilende Mensch wird nicht heute in dieser
Entwickelung einen Segen erblicken? Durch die Konzentrierung der
politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich
grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen
jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede
andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war
die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und
das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller
Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward

1) Alle Einzelheiten findet man ausführlich belegt durch archivarisches
Material in Ehrenberg's Buch. Dass die Fugger, sowie die anderen katholischen
Kapitalisten jener Zeit, samt und sonders an den Habsburgern zu Grunde gingen,
da diese Fürsten immer borgten und nie zurückzahlten (den Fuggers blieben sie
8 000 000 Gulden schuldig), wird mancher gemütvollen Seele einen platonischen
Trost gewähren!

Wirtschaft.
Fugger und Welser wird Karl V. gewählt, nur durch die Unterstützung
der Fugger und Welser wird er in den Stand gesetzt, den unseligen
schmalkaldischen Krieg zu führen, und in dem nun folgenden Kampf
der Habsburger gegen deutsches Gewissen und deutsche Freiheit spielen
wieder diese gesinnungslosen Kapitalisten eine entscheidende Rolle; und
zwar bekennen sie sich zu Rom und bekämpfen sie die Reformation,
nicht aus religiöser Überzeugung, sondern ganz einfach, weil sie mit
der Kurie ausgedehnte Geschäfte führen und bei ihrer eventuellen
Niederlage grosse Einnahmen zu verlieren fürchten.1)

Und dennoch werden wir zugeben müssen, dass dieser rücksichts-
lose, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Ehrgeiz des Einzelnen
ein wichtiger und unentbehrlicher Faktor unserer gesamten civilisatorisch-
ökonomischen Entwickelung gewesen ist. Ich nannte vorhin die Könige
und will hier den Vergleich aus dem nahe verwandten politischen Ge-
biete noch einmal heranziehen. Wer kann die Geschichte Europa’s von
dem 15. Jahrhundert bis zur französischen Revolution lesen, ohne dass
sein Blut vor Empörung fast beständig kocht? Alle Freiheiten werden
geraubt, alle Rechte mit Füssen getreten; schon Erasmus ruft voll In-
grimm aus: »Das Volk baut die Städte, die Fürsten zerstören sie!«
Und er hatte noch lange nicht das Schlimmste erlebt. Und wozu das
alles? Damit eine Handvoll Familien sich das Monopol über ganz
Europa erringen. Eine schlimmere Rotte gewohnheitsmässiger Ver-
brecher als unsere Fürsten kennt die Geschichte nicht; juristisch be-
trachtet, gehörten sie fast alle ins Zuchthaus. Und doch, welcher
ruhig denkende, gesund urteilende Mensch wird nicht heute in dieser
Entwickelung einen Segen erblicken? Durch die Konzentrierung der
politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich
grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen
jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede
andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war
die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und
das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller
Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward

1) Alle Einzelheiten findet man ausführlich belegt durch archivarisches
Material in Ehrenberg’s Buch. Dass die Fugger, sowie die anderen katholischen
Kapitalisten jener Zeit, samt und sonders an den Habsburgern zu Grunde gingen,
da diese Fürsten immer borgten und nie zurückzahlten (den Fuggers blieben sie
8 000 000 Gulden schuldig), wird mancher gemütvollen Seele einen platonischen
Trost gewähren!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0306" n="827"/><fw place="top" type="header">Wirtschaft.</fw><lb/>
Fugger und Welser wird Karl V. gewählt, nur durch die Unterstützung<lb/>
der Fugger und Welser wird er in den Stand gesetzt, den unseligen<lb/>
schmalkaldischen Krieg zu führen, und in dem nun folgenden Kampf<lb/>
der Habsburger gegen deutsches Gewissen und deutsche Freiheit spielen<lb/>
wieder diese gesinnungslosen Kapitalisten eine entscheidende Rolle; und<lb/>
zwar bekennen sie sich zu Rom und bekämpfen sie die Reformation,<lb/>
nicht aus religiöser Überzeugung, sondern ganz einfach, weil sie mit<lb/>
der Kurie ausgedehnte Geschäfte führen und bei ihrer eventuellen<lb/>
Niederlage grosse Einnahmen zu verlieren fürchten.<note place="foot" n="1)">Alle Einzelheiten findet man ausführlich belegt durch archivarisches<lb/>
Material in Ehrenberg&#x2019;s Buch. Dass die Fugger, sowie die anderen katholischen<lb/>
Kapitalisten jener Zeit, samt und sonders an den Habsburgern zu Grunde gingen,<lb/>
da diese Fürsten immer borgten und nie zurückzahlten (den Fuggers blieben sie<lb/>
8 000 000 Gulden schuldig), wird mancher gemütvollen Seele einen platonischen<lb/>
Trost gewähren!</note></p><lb/>
              <p>Und dennoch werden wir zugeben müssen, dass dieser rücksichts-<lb/>
lose, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Ehrgeiz des Einzelnen<lb/>
ein wichtiger und unentbehrlicher Faktor unserer gesamten civilisatorisch-<lb/>
ökonomischen Entwickelung gewesen ist. Ich nannte vorhin die Könige<lb/>
und will hier den Vergleich aus dem nahe verwandten politischen Ge-<lb/>
biete noch einmal heranziehen. Wer kann die Geschichte Europa&#x2019;s von<lb/>
dem 15. Jahrhundert bis zur französischen Revolution lesen, ohne dass<lb/>
sein Blut vor Empörung fast beständig kocht? Alle Freiheiten werden<lb/>
geraubt, alle Rechte mit Füssen getreten; schon Erasmus ruft voll In-<lb/>
grimm aus: »Das Volk baut die Städte, die Fürsten zerstören sie!«<lb/>
Und er hatte noch lange nicht das Schlimmste erlebt. Und wozu das<lb/>
alles? Damit eine Handvoll Familien sich das Monopol über ganz<lb/>
Europa erringen. Eine schlimmere Rotte gewohnheitsmässiger Ver-<lb/>
brecher als unsere Fürsten kennt die Geschichte nicht; juristisch be-<lb/>
trachtet, gehörten sie fast alle ins Zuchthaus. Und doch, welcher<lb/>
ruhig denkende, gesund urteilende Mensch wird nicht heute in dieser<lb/>
Entwickelung einen Segen erblicken? Durch die Konzentrierung der<lb/>
politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich<lb/>
grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen<lb/>
jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede<lb/>
andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war<lb/>
die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und<lb/>
das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller<lb/>
Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[827/0306] Wirtschaft. Fugger und Welser wird Karl V. gewählt, nur durch die Unterstützung der Fugger und Welser wird er in den Stand gesetzt, den unseligen schmalkaldischen Krieg zu führen, und in dem nun folgenden Kampf der Habsburger gegen deutsches Gewissen und deutsche Freiheit spielen wieder diese gesinnungslosen Kapitalisten eine entscheidende Rolle; und zwar bekennen sie sich zu Rom und bekämpfen sie die Reformation, nicht aus religiöser Überzeugung, sondern ganz einfach, weil sie mit der Kurie ausgedehnte Geschäfte führen und bei ihrer eventuellen Niederlage grosse Einnahmen zu verlieren fürchten. 1) Und dennoch werden wir zugeben müssen, dass dieser rücksichts- lose, vor keinem Verbrechen zurückschreckende Ehrgeiz des Einzelnen ein wichtiger und unentbehrlicher Faktor unserer gesamten civilisatorisch- ökonomischen Entwickelung gewesen ist. Ich nannte vorhin die Könige und will hier den Vergleich aus dem nahe verwandten politischen Ge- biete noch einmal heranziehen. Wer kann die Geschichte Europa’s von dem 15. Jahrhundert bis zur französischen Revolution lesen, ohne dass sein Blut vor Empörung fast beständig kocht? Alle Freiheiten werden geraubt, alle Rechte mit Füssen getreten; schon Erasmus ruft voll In- grimm aus: »Das Volk baut die Städte, die Fürsten zerstören sie!« Und er hatte noch lange nicht das Schlimmste erlebt. Und wozu das alles? Damit eine Handvoll Familien sich das Monopol über ganz Europa erringen. Eine schlimmere Rotte gewohnheitsmässiger Ver- brecher als unsere Fürsten kennt die Geschichte nicht; juristisch be- trachtet, gehörten sie fast alle ins Zuchthaus. Und doch, welcher ruhig denkende, gesund urteilende Mensch wird nicht heute in dieser Entwickelung einen Segen erblicken? Durch die Konzentrierung der politischen Gewalt um einige wenige Mittelpunkte herum haben sich grosse, starke Nationen gebildet: eine Grösse und eine Stärke, an denen jeder Einzelne teilnimmt. Und als nun diese wenigen Monarchen jede andere Gewalt geknickt hatten, da standen sie allein; nunmehr war die grosse Volksgemeinde in der Lage, ihre Rechte zu fordern, und das Ergebnis ist ein so weithin reichendes Mass von individueller Freiheit, wie es keine Vorzeit gekannt hatte. Der Einherrscher ward 1) Alle Einzelheiten findet man ausführlich belegt durch archivarisches Material in Ehrenberg’s Buch. Dass die Fugger, sowie die anderen katholischen Kapitalisten jener Zeit, samt und sonders an den Habsburgern zu Grunde gingen, da diese Fürsten immer borgten und nie zurückzahlten (den Fuggers blieben sie 8 000 000 Gulden schuldig), wird mancher gemütvollen Seele einen platonischen Trost gewähren!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/306
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 827. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/306>, abgerufen am 22.11.2024.