Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. des "philosophischen" Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes alsWeltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Ver- mittlers des ewigen Lebens ziehen? Bildet jene "Doppelnatur" des Menschen, von der Dante viel spricht, nicht dennoch eine Einheit? Vermag sie es, sich fein säuberlich in zwei zu teilen, und -- im Widerspruch mit dem Worte Christi -- zweien Herren zu dienen? Schon das Wort Mon-archie bedeutet die Regierung durch einen Einzigen, und jetzt soll die Monarchie zwei Alleinherrscher besitzen? Die Praxis kennt eine derartige zwiespältige Idee gar nicht. Die ersten Kaiser christlicher Konfession waren unumschränkte Herren auch inner- halb der Kirche; hin und wieder beriefen sie die Bischöfe zu Beratungen, doch erliessen sie die Kirchengesetze aus autokratischer Machtfülle und in dogmatischen Fragen entschied ihr Wille. Theodosius konnte wohl für seine Sünden Busse thun vor dem Bischof von Mailand, wie er es vor jedem anderen Priester gethan hätte, doch von einem Wett- bewerber um die unumschränkte Machtvollkommenheit wusste er nichts und hätte nicht gezaudert, ihn zu zermalmen. Genau ebenso empfand Karl (siehe S. 617), wenn auch seine Position natürlich nicht so stark sein konnte wie die des Theodosius; doch errang später Otto der Grosse thatsächlich genau dieselbe Einherrschergewalt und sein kaiserlicher Wille genügte, um den Papst abzusetzen: so sehr verlangt die Logik des universalistischen Ideals, dass alle Macht in einer Hand liege. Nun kamen allerdings in Folge endloser politischer Wirren, und auch weil die Hirne der damaligen Menschen durch Fragen des abstrakten Rechtes vertrackt waren, manche unklare Ideen auf, und zu ihnen gehörte jener Satz des alten Kirchenrechts von den beiden Schwertern des Staates, de duobus universis monarchiae gladiis; doch hat, wie obiger Satz mit seinem Genitiv der Einzahl beweist, der praktische Politiker sich die Sache nie so ungeheuerlich dargestellt wie der Dichter; für ihn gab es doch nur eine Monarchie und ihr dienen beide Schwerter. Diese eine Monarchie ist die Kirche: ein weltliches und zugleich überweltliches Imperium. Und weil die Idee dieses Imperiums eine so durch und durch theokratische ist, kann es uns nicht wundern, wenn die höchste Gewalt allmählich vom König auf den pontifex übergeht. Dass beide gleich hoch stehen sollten, ist durch die Natur des Menschen völlig ausgeschlossen; selbst Dante sagt am Schlusse seiner Schrift, der Kaiser solle "dem Petrus Ehr- erbietung bezeigen" und sich von dessen Licht "bestrahlen lassen"; er giebt also implicite zu, der Papst stehe über dem Kaiser. Endlich Der Kampf. des »philosophischen« Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes alsWeltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Ver- mittlers des ewigen Lebens ziehen? Bildet jene »Doppelnatur« des Menschen, von der Dante viel spricht, nicht dennoch eine Einheit? Vermag sie es, sich fein säuberlich in zwei zu teilen, und — im Widerspruch mit dem Worte Christi — zweien Herren zu dienen? Schon das Wort Mon-archie bedeutet die Regierung durch einen Einzigen, und jetzt soll die Monarchie zwei Alleinherrscher besitzen? Die Praxis kennt eine derartige zwiespältige Idee gar nicht. Die ersten Kaiser christlicher Konfession waren unumschränkte Herren auch inner- halb der Kirche; hin und wieder beriefen sie die Bischöfe zu Beratungen, doch erliessen sie die Kirchengesetze aus autokratischer Machtfülle und in dogmatischen Fragen entschied ihr Wille. Theodosius konnte wohl für seine Sünden Busse thun vor dem Bischof von Mailand, wie er es vor jedem anderen Priester gethan hätte, doch von einem Wett- bewerber um die unumschränkte Machtvollkommenheit wusste er nichts und hätte nicht gezaudert, ihn zu zermalmen. Genau ebenso empfand Karl (siehe S. 617), wenn auch seine Position natürlich nicht so stark sein konnte wie die des Theodosius; doch errang später Otto der Grosse thatsächlich genau dieselbe Einherrschergewalt und sein kaiserlicher Wille genügte, um den Papst abzusetzen: so sehr verlangt die Logik des universalistischen Ideals, dass alle Macht in einer Hand liege. Nun kamen allerdings in Folge endloser politischer Wirren, und auch weil die Hirne der damaligen Menschen durch Fragen des abstrakten Rechtes vertrackt waren, manche unklare Ideen auf, und zu ihnen gehörte jener Satz des alten Kirchenrechts von den beiden Schwertern des Staates, de duobus universis monarchiae gladiis; doch hat, wie obiger Satz mit seinem Genitiv der Einzahl beweist, der praktische Politiker sich die Sache nie so ungeheuerlich dargestellt wie der Dichter; für ihn gab es doch nur eine Monarchie und ihr dienen beide Schwerter. Diese eine Monarchie ist die Kirche: ein weltliches und zugleich überweltliches Imperium. Und weil die Idee dieses Imperiums eine so durch und durch theokratische ist, kann es uns nicht wundern, wenn die höchste Gewalt allmählich vom König auf den pontifex übergeht. Dass beide gleich hoch stehen sollten, ist durch die Natur des Menschen völlig ausgeschlossen; selbst Dante sagt am Schlusse seiner Schrift, der Kaiser solle »dem Petrus Ehr- erbietung bezeigen« und sich von dessen Licht »bestrahlen lassen«; er giebt also implicite zu, der Papst stehe über dem Kaiser. Endlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0135" n="656"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/> des »philosophischen« Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes als<lb/> Weltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Ver-<lb/> mittlers des ewigen Lebens ziehen? 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Der Kampf.
des »philosophischen« Kaisers, des unmittelbaren Vertreters Gottes als
Weltweisen, und der Jurisdiktion des theologischen Kaisers, des Ver-
mittlers des ewigen Lebens ziehen? Bildet jene »Doppelnatur« des
Menschen, von der Dante viel spricht, nicht dennoch eine Einheit?
Vermag sie es, sich fein säuberlich in zwei zu teilen, und — im
Widerspruch mit dem Worte Christi — zweien Herren zu dienen?
Schon das Wort Mon-archie bedeutet die Regierung durch einen
Einzigen, und jetzt soll die Monarchie zwei Alleinherrscher besitzen?
Die Praxis kennt eine derartige zwiespältige Idee gar nicht. Die ersten
Kaiser christlicher Konfession waren unumschränkte Herren auch inner-
halb der Kirche; hin und wieder beriefen sie die Bischöfe zu Beratungen,
doch erliessen sie die Kirchengesetze aus autokratischer Machtfülle und
in dogmatischen Fragen entschied ihr Wille. Theodosius konnte wohl
für seine Sünden Busse thun vor dem Bischof von Mailand, wie er
es vor jedem anderen Priester gethan hätte, doch von einem Wett-
bewerber um die unumschränkte Machtvollkommenheit wusste er
nichts und hätte nicht gezaudert, ihn zu zermalmen. Genau ebenso
empfand Karl (siehe S. 617), wenn auch seine Position natürlich nicht
so stark sein konnte wie die des Theodosius; doch errang später Otto
der Grosse thatsächlich genau dieselbe Einherrschergewalt und sein
kaiserlicher Wille genügte, um den Papst abzusetzen: so sehr verlangt
die Logik des universalistischen Ideals, dass alle Macht in einer Hand
liege. Nun kamen allerdings in Folge endloser politischer Wirren,
und auch weil die Hirne der damaligen Menschen durch Fragen des
abstrakten Rechtes vertrackt waren, manche unklare Ideen auf, und
zu ihnen gehörte jener Satz des alten Kirchenrechts von den beiden
Schwertern des Staates, de duobus universis monarchiae gladiis;
doch hat, wie obiger Satz mit seinem Genitiv der Einzahl beweist,
der praktische Politiker sich die Sache nie so ungeheuerlich dargestellt
wie der Dichter; für ihn gab es doch nur eine Monarchie und ihr
dienen beide Schwerter. Diese eine Monarchie ist die Kirche: ein
weltliches und zugleich überweltliches Imperium. Und weil die Idee
dieses Imperiums eine so durch und durch theokratische ist, kann es
uns nicht wundern, wenn die höchste Gewalt allmählich vom König
auf den pontifex übergeht. Dass beide gleich hoch stehen sollten,
ist durch die Natur des Menschen völlig ausgeschlossen; selbst Dante
sagt am Schlusse seiner Schrift, der Kaiser solle »dem Petrus Ehr-
erbietung bezeigen« und sich von dessen Licht »bestrahlen lassen«;
er giebt also implicite zu, der Papst stehe über dem Kaiser. Endlich
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Zitationshilfe: | Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/135>, abgerufen am 23.07.2024. |