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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Hellenische Kunst und Philosophie.
aus entfernten Klassen näher und einsichtsvoller untersuchen, wir

in hohem Masse der blossen Beobachtung überlegen", so kann man ihm nur sehr
bedingt beipflichten; denn das Experiment ist von Haus aus ein Reflex unserer
rein menschlichen Vorstellungen, wogegen die liebevolle Beobachtung eines gänz-
lich anders gearteten Wesens in seinen eigenen, möglichst normalen Verhältnissen
und zwar mit dem Wunsche, nicht seine Leistungen zu kritisieren, sondern sie
-- soweit unser menschlicher, engumschränkter geistiger Horizont es erlaubt --
zu begreifen, wohl zu manchen überraschenden Einsichten führen müsste.
Darum hat uns auch der alte, blinde Huber über die Bienen weit mehr gelehrt
als Lubbock in seinem -- trotzdem bewundernswerten -- Buche Ants, Bees and
Wasps
(1883); darum erzielen die rohen "Dresseurs" solche unglaubliche Erfolge,
denn sie verlangen von jedem Tier nur solche Leistungen, welche sie auf Grund-
lage täglicher Beobachtung seiner Anlagen von ihm erwarten dürfen. -- Hier,
wie anderwärts, steckt unsere heutige Wissenschaft noch tief in helleno-jüdischem
Anthropomorphismus, und nicht am wenigsten gerade dort, wo sie davor warnt.
-- Seitdem obige Bemerkung geschrieben, ist das Aufsehen erregende Buch,
Bethe: Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? er-
schienen, welches in seiner ganzen Argumentation ein geradezu klassisches Beispiel
des verkappten Anthropomorphismus ist. Durch sinnreiche (obwohl meiner An-
sicht nach durchaus nicht abschliessende) Versuche, hat Herr Bethe die Über-
zeugung gewonnen, die Ameisen erkennten sich als zum selben Nest gehörig
durch den Geruchssinn, auch ihr Wegefinden beruhe auf der Ausscheidung eines
chemischen Stoffes u. s. w. Das ganze sei "Chemoreflex", das gesamte Leben
dieser Tiere "rein mechanisch". Man staunt über einen solchen Abgrund philo-
sophischer Roheit. Ja, ist denn das gesamte Sinnenleben als solches nicht not-
wendigerweise mechanisch? Kann Herr Bethe seinen eigenen Vater ohne Zuhilfe-
nahme eines Mechanismus erkennen? Erkennt der Hund seinen Herrn nicht fast
lediglich durch den Geruchssinn? Sollen denn Descartes' Automaten immer von
neuem aufleben, als hätten Wissenschaft und Philospie seit 300 Jahren still-
gestanden? Hier, bei solchen Männern wie Bethe und seinem Vorgänger, dem
Jesuiten E. Wasmann, steckt der wirkliche und unausrottbare Anthropomorphismus.
Bei Vertebraten lässt die strenge Analogie mit unserer eigenen Struktur Schlüsse
auch auf die psychologischen Vorgänge zu; im Insekt dagegen steht ein total
fremdes Wesen vor uns, aufgebaut nach einem Plane, der so tief von dem
unseres Körpers abweicht, dass wir nicht einmal im Stande sind, die rein mecha-
nische Funktionierung der Sinneswerkzeuge mit Sicherheit zu deuten (siehe
Gegenbaur: Vergl. Anatomie) und folglich gar nicht wissen, welche uns
Menschen gänzlich verschlossene Welt von Sinneseindrücken, von Mitteilungs-
möglichkeiten u. s. w. diese Wesen umgeben mag. Das nicht einzusehen, ist
"ameisenmässig" naiv. (Nachtrag: In der Eröffnungsrede des vierten internationalen
Zoologenkongresses, am 23. August 1898, griff Sir John Lubbock die Automaten-
theorie heftig an und sagte u. a.: "Viele Tiere besitzen Sinnesorgane, deren Be-
deutung uns Menschen unerforschlich ist. Sie vernehmen Geräusche, die uns unhör-
bar, sie sehen Dinge, die uns unsichtbar bleiben, sie empfangen Sinneseindrücke,
die ausserhalb des Bereiches unserer Vorstellungskraft liegen. Die uns so wohl-
bekannte umgebende Welt muss für sie eine durchaus andere Physiognomie besitzen.")

Hellenische Kunst und Philosophie.
aus entfernten Klassen näher und einsichtsvoller untersuchen, wir

in hohem Masse der blossen Beobachtung überlegen«, so kann man ihm nur sehr
bedingt beipflichten; denn das Experiment ist von Haus aus ein Reflex unserer
rein menschlichen Vorstellungen, wogegen die liebevolle Beobachtung eines gänz-
lich anders gearteten Wesens in seinen eigenen, möglichst normalen Verhältnissen
und zwar mit dem Wunsche, nicht seine Leistungen zu kritisieren, sondern sie
— soweit unser menschlicher, engumschränkter geistiger Horizont es erlaubt —
zu begreifen, wohl zu manchen überraschenden Einsichten führen müsste.
Darum hat uns auch der alte, blinde Huber über die Bienen weit mehr gelehrt
als Lubbock in seinem — trotzdem bewundernswerten — Buche Ants, Bees and
Wasps
(1883); darum erzielen die rohen »Dresseurs« solche unglaubliche Erfolge,
denn sie verlangen von jedem Tier nur solche Leistungen, welche sie auf Grund-
lage täglicher Beobachtung seiner Anlagen von ihm erwarten dürfen. — Hier,
wie anderwärts, steckt unsere heutige Wissenschaft noch tief in helleno-jüdischem
Anthropomorphismus, und nicht am wenigsten gerade dort, wo sie davor warnt.
— Seitdem obige Bemerkung geschrieben, ist das Aufsehen erregende Buch,
Bethe: Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? er-
schienen, welches in seiner ganzen Argumentation ein geradezu klassisches Beispiel
des verkappten Anthropomorphismus ist. Durch sinnreiche (obwohl meiner An-
sicht nach durchaus nicht abschliessende) Versuche, hat Herr Bethe die Über-
zeugung gewonnen, die Ameisen erkennten sich als zum selben Nest gehörig
durch den Geruchssinn, auch ihr Wegefinden beruhe auf der Ausscheidung eines
chemischen Stoffes u. s. w. Das ganze sei »Chemoreflex«, das gesamte Leben
dieser Tiere »rein mechanisch«. Man staunt über einen solchen Abgrund philo-
sophischer Roheit. Ja, ist denn das gesamte Sinnenleben als solches nicht not-
wendigerweise mechanisch? Kann Herr Bethe seinen eigenen Vater ohne Zuhilfe-
nahme eines Mechanismus erkennen? Erkennt der Hund seinen Herrn nicht fast
lediglich durch den Geruchssinn? Sollen denn Descartes’ Automaten immer von
neuem aufleben, als hätten Wissenschaft und Philospie seit 300 Jahren still-
gestanden? Hier, bei solchen Männern wie Bethe und seinem Vorgänger, dem
Jesuiten E. Wasmann, steckt der wirkliche und unausrottbare Anthropomorphismus.
Bei Vertebraten lässt die strenge Analogie mit unserer eigenen Struktur Schlüsse
auch auf die psychologischen Vorgänge zu; im Insekt dagegen steht ein total
fremdes Wesen vor uns, aufgebaut nach einem Plane, der so tief von dem
unseres Körpers abweicht, dass wir nicht einmal im Stande sind, die rein mecha-
nische Funktionierung der Sinneswerkzeuge mit Sicherheit zu deuten (siehe
Gegenbaur: Vergl. Anatomie) und folglich gar nicht wissen, welche uns
Menschen gänzlich verschlossene Welt von Sinneseindrücken, von Mitteilungs-
möglichkeiten u. s. w. diese Wesen umgeben mag. Das nicht einzusehen, ist
»ameisenmässig« naiv. (Nachtrag: In der Eröffnungsrede des vierten internationalen
Zoologenkongresses, am 23. August 1898, griff Sir John Lubbock die Automaten-
theorie heftig an und sagte u. a.: »Viele Tiere besitzen Sinnesorgane, deren Be-
deutung uns Menschen unerforschlich ist. Sie vernehmen Geräusche, die uns unhör-
bar, sie sehen Dinge, die uns unsichtbar bleiben, sie empfangen Sinneseindrücke,
die ausserhalb des Bereiches unserer Vorstellungskraft liegen. Die uns so wohl-
bekannte umgebende Welt muss für sie eine durchaus andere Physiognomie besitzen.«)
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[59/0082] Hellenische Kunst und Philosophie. aus entfernten Klassen näher und einsichtsvoller untersuchen, wir 2) 2) in hohem Masse der blossen Beobachtung überlegen«, so kann man ihm nur sehr bedingt beipflichten; denn das Experiment ist von Haus aus ein Reflex unserer rein menschlichen Vorstellungen, wogegen die liebevolle Beobachtung eines gänz- lich anders gearteten Wesens in seinen eigenen, möglichst normalen Verhältnissen und zwar mit dem Wunsche, nicht seine Leistungen zu kritisieren, sondern sie — soweit unser menschlicher, engumschränkter geistiger Horizont es erlaubt — zu begreifen, wohl zu manchen überraschenden Einsichten führen müsste. Darum hat uns auch der alte, blinde Huber über die Bienen weit mehr gelehrt als Lubbock in seinem — trotzdem bewundernswerten — Buche Ants, Bees and Wasps (1883); darum erzielen die rohen »Dresseurs« solche unglaubliche Erfolge, denn sie verlangen von jedem Tier nur solche Leistungen, welche sie auf Grund- lage täglicher Beobachtung seiner Anlagen von ihm erwarten dürfen. — Hier, wie anderwärts, steckt unsere heutige Wissenschaft noch tief in helleno-jüdischem Anthropomorphismus, und nicht am wenigsten gerade dort, wo sie davor warnt. — Seitdem obige Bemerkung geschrieben, ist das Aufsehen erregende Buch, Bethe: Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? er- schienen, welches in seiner ganzen Argumentation ein geradezu klassisches Beispiel des verkappten Anthropomorphismus ist. Durch sinnreiche (obwohl meiner An- sicht nach durchaus nicht abschliessende) Versuche, hat Herr Bethe die Über- zeugung gewonnen, die Ameisen erkennten sich als zum selben Nest gehörig durch den Geruchssinn, auch ihr Wegefinden beruhe auf der Ausscheidung eines chemischen Stoffes u. s. w. Das ganze sei »Chemoreflex«, das gesamte Leben dieser Tiere »rein mechanisch«. Man staunt über einen solchen Abgrund philo- sophischer Roheit. Ja, ist denn das gesamte Sinnenleben als solches nicht not- wendigerweise mechanisch? Kann Herr Bethe seinen eigenen Vater ohne Zuhilfe- nahme eines Mechanismus erkennen? Erkennt der Hund seinen Herrn nicht fast lediglich durch den Geruchssinn? Sollen denn Descartes’ Automaten immer von neuem aufleben, als hätten Wissenschaft und Philospie seit 300 Jahren still- gestanden? Hier, bei solchen Männern wie Bethe und seinem Vorgänger, dem Jesuiten E. Wasmann, steckt der wirkliche und unausrottbare Anthropomorphismus. Bei Vertebraten lässt die strenge Analogie mit unserer eigenen Struktur Schlüsse auch auf die psychologischen Vorgänge zu; im Insekt dagegen steht ein total fremdes Wesen vor uns, aufgebaut nach einem Plane, der so tief von dem unseres Körpers abweicht, dass wir nicht einmal im Stande sind, die rein mecha- nische Funktionierung der Sinneswerkzeuge mit Sicherheit zu deuten (siehe Gegenbaur: Vergl. Anatomie) und folglich gar nicht wissen, welche uns Menschen gänzlich verschlossene Welt von Sinneseindrücken, von Mitteilungs- möglichkeiten u. s. w. diese Wesen umgeben mag. Das nicht einzusehen, ist »ameisenmässig« naiv. (Nachtrag: In der Eröffnungsrede des vierten internationalen Zoologenkongresses, am 23. August 1898, griff Sir John Lubbock die Automaten- theorie heftig an und sagte u. a.: »Viele Tiere besitzen Sinnesorgane, deren Be- deutung uns Menschen unerforschlich ist. Sie vernehmen Geräusche, die uns unhör- bar, sie sehen Dinge, die uns unsichtbar bleiben, sie empfangen Sinneseindrücke, die ausserhalb des Bereiches unserer Vorstellungskraft liegen. Die uns so wohl- bekannte umgebende Welt muss für sie eine durchaus andere Physiognomie besitzen.«)

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/82>, abgerufen am 24.11.2024.