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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Erfolg seines Thuns sich ergeben hat. Loyola hat nicht einmal seinen
Orden mit dem Zweck, die Reformation zu bekämpfen, ins Leben
gerufen -- so versichern wenigstens die Jesuiten --, viel weniger wird
er irgend eine bestimmte Vorstellung mit dem Wort Germanen ver-
knüpft und den Krieg dagegen als Lebensziel gefasst haben. Man
könnte fast ebenso gut behaupten, jene von den vordringenden Indo-
europäern immer weiter verjagte, vertriebene, verfolgte fremde Rasse
der Basken habe sich durch ihn an dem Sieger rächen wollen. Doch
gerade in diesem Buche, wo uns nicht Chronik, sondern die Auffindung
grundlegender Geschichtsthatsachen beschäftigt, wäre zu betonen, wie
viel Wahrheit hinter solchen chronistisch unhaltbaren Aussagen sich
birgt. Denn nicht in dem, was er hat thun wollen, sondern in dem,
was er hat thun müssen, liegt die Grösse jedes ausserordentlichen
Mannes. Pater Bernhard Duhr mag uns in erregtestem Tone ver-
sichern,1) die Begründung des Jesuitenordens habe mit der Bekämpfung
des Protestantismus nichts zu thun, seine Thätigkeit gipfelte nichts-
destoweniger von Anfang an so sichtbar und so erfolgreich in der
Verfolgung dieses einen Zieles, dass schon die frühesten Biographen
Loyola's ihm den Ehrentitel "Antiluther" verliehen. Und wer Anti-
luther sagt, sagt Antigermane -- gleichviel ob er sich dessen bewusst
ist oder nicht. Was aber die Rassenrache anbelangt, so beschäftigt die
Thatsache des Wiederauflebens und der Vermehrung jener fast, doch
niemals ganz ausgerotteten, in die Berge zurückgedrängten, physisch
kräftigen, doch geistig untergeordneten, ungermanischen Rassen immer
mehr die Aufmerksamkeit, nicht der Schwärmer, sondern der ernstesten
Naturforscher.

Mit Ignatius von Loyola stelle ich also vor den Leser den Typus
des Antigermanen hin und glaube damit jener Definition des Germanen,
jener notwendigen Beschränkung des im ersten Teil dieses Kapitels
möglichst weit gefassten Begriffes gedient zu haben. Denn ich kann
mir eine derartige Definition durchaus nicht als eine in Paragraphen
vorgetragene denken -- wir sahen ja, dass das nicht einmal beim
physischen Menschen gelingt -- sondern vielmehr als eine lebhaft
vorgestellte, zu selbständigem Urteil befähigende. Hier noch mehr
als anderwärts müssen wir uns hüten, den Begriff im Worte er-
starren zu lassen.2) Und derlei lebendige Begriffsbestimmungen sind

1) Siehe Jesuitenfabeln, 2. Auflage, S. 1 bis 11.
2) Vergl. Goethe: Geschichte der Farbenlehre, unter Scaliger.

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Erfolg seines Thuns sich ergeben hat. Loyola hat nicht einmal seinen
Orden mit dem Zweck, die Reformation zu bekämpfen, ins Leben
gerufen — so versichern wenigstens die Jesuiten —, viel weniger wird
er irgend eine bestimmte Vorstellung mit dem Wort Germanen ver-
knüpft und den Krieg dagegen als Lebensziel gefasst haben. Man
könnte fast ebenso gut behaupten, jene von den vordringenden Indo-
europäern immer weiter verjagte, vertriebene, verfolgte fremde Rasse
der Basken habe sich durch ihn an dem Sieger rächen wollen. Doch
gerade in diesem Buche, wo uns nicht Chronik, sondern die Auffindung
grundlegender Geschichtsthatsachen beschäftigt, wäre zu betonen, wie
viel Wahrheit hinter solchen chronistisch unhaltbaren Aussagen sich
birgt. Denn nicht in dem, was er hat thun wollen, sondern in dem,
was er hat thun müssen, liegt die Grösse jedes ausserordentlichen
Mannes. Pater Bernhard Duhr mag uns in erregtestem Tone ver-
sichern,1) die Begründung des Jesuitenordens habe mit der Bekämpfung
des Protestantismus nichts zu thun, seine Thätigkeit gipfelte nichts-
destoweniger von Anfang an so sichtbar und so erfolgreich in der
Verfolgung dieses einen Zieles, dass schon die frühesten Biographen
Loyola’s ihm den Ehrentitel »Antiluther« verliehen. Und wer Anti-
luther sagt, sagt Antigermane — gleichviel ob er sich dessen bewusst
ist oder nicht. Was aber die Rassenrache anbelangt, so beschäftigt die
Thatsache des Wiederauflebens und der Vermehrung jener fast, doch
niemals ganz ausgerotteten, in die Berge zurückgedrängten, physisch
kräftigen, doch geistig untergeordneten, ungermanischen Rassen immer
mehr die Aufmerksamkeit, nicht der Schwärmer, sondern der ernstesten
Naturforscher.

Mit Ignatius von Loyola stelle ich also vor den Leser den Typus
des Antigermanen hin und glaube damit jener Definition des Germanen,
jener notwendigen Beschränkung des im ersten Teil dieses Kapitels
möglichst weit gefassten Begriffes gedient zu haben. Denn ich kann
mir eine derartige Definition durchaus nicht als eine in Paragraphen
vorgetragene denken — wir sahen ja, dass das nicht einmal beim
physischen Menschen gelingt — sondern vielmehr als eine lebhaft
vorgestellte, zu selbständigem Urteil befähigende. Hier noch mehr
als anderwärts müssen wir uns hüten, den Begriff im Worte er-
starren zu lassen.2) Und derlei lebendige Begriffsbestimmungen sind

1) Siehe Jesuitenfabeln, 2. Auflage, S. 1 bis 11.
2) Vergl. Goethe: Geschichte der Farbenlehre, unter Scaliger.
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[527/0550] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Erfolg seines Thuns sich ergeben hat. Loyola hat nicht einmal seinen Orden mit dem Zweck, die Reformation zu bekämpfen, ins Leben gerufen — so versichern wenigstens die Jesuiten —, viel weniger wird er irgend eine bestimmte Vorstellung mit dem Wort Germanen ver- knüpft und den Krieg dagegen als Lebensziel gefasst haben. Man könnte fast ebenso gut behaupten, jene von den vordringenden Indo- europäern immer weiter verjagte, vertriebene, verfolgte fremde Rasse der Basken habe sich durch ihn an dem Sieger rächen wollen. Doch gerade in diesem Buche, wo uns nicht Chronik, sondern die Auffindung grundlegender Geschichtsthatsachen beschäftigt, wäre zu betonen, wie viel Wahrheit hinter solchen chronistisch unhaltbaren Aussagen sich birgt. Denn nicht in dem, was er hat thun wollen, sondern in dem, was er hat thun müssen, liegt die Grösse jedes ausserordentlichen Mannes. Pater Bernhard Duhr mag uns in erregtestem Tone ver- sichern, 1) die Begründung des Jesuitenordens habe mit der Bekämpfung des Protestantismus nichts zu thun, seine Thätigkeit gipfelte nichts- destoweniger von Anfang an so sichtbar und so erfolgreich in der Verfolgung dieses einen Zieles, dass schon die frühesten Biographen Loyola’s ihm den Ehrentitel »Antiluther« verliehen. Und wer Anti- luther sagt, sagt Antigermane — gleichviel ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Was aber die Rassenrache anbelangt, so beschäftigt die Thatsache des Wiederauflebens und der Vermehrung jener fast, doch niemals ganz ausgerotteten, in die Berge zurückgedrängten, physisch kräftigen, doch geistig untergeordneten, ungermanischen Rassen immer mehr die Aufmerksamkeit, nicht der Schwärmer, sondern der ernstesten Naturforscher. Mit Ignatius von Loyola stelle ich also vor den Leser den Typus des Antigermanen hin und glaube damit jener Definition des Germanen, jener notwendigen Beschränkung des im ersten Teil dieses Kapitels möglichst weit gefassten Begriffes gedient zu haben. Denn ich kann mir eine derartige Definition durchaus nicht als eine in Paragraphen vorgetragene denken — wir sahen ja, dass das nicht einmal beim physischen Menschen gelingt — sondern vielmehr als eine lebhaft vorgestellte, zu selbständigem Urteil befähigende. Hier noch mehr als anderwärts müssen wir uns hüten, den Begriff im Worte er- starren zu lassen. 2) Und derlei lebendige Begriffsbestimmungen sind 1) Siehe Jesuitenfabeln, 2. Auflage, S. 1 bis 11. 2) Vergl. Goethe: Geschichte der Farbenlehre, unter Scaliger.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/550>, abgerufen am 23.11.2024.