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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.

Den Anthropologen wollen wir ihre chamäprosopen Kreise nicht
länger als nötig stören, doch das durch ihren Fleiss zu Tage geförderte
Material wollen wir ebensowenig geringschätzen, sondern es als wert-
volle Bereicherung unserer Kenntnis des Germanen und als ernste
Mahnung in Bezug auf das Vordringen des Nichtgermanen unter uns
wohl zu benützen wissen.

Die so notwendige Beschränkung des Namens "Germane" auf
diejenigen, welche wirklich Germanen oder zum Mindesten stark mit
germanischem Blute durchsetzt sind, wird also niemals rein-mathe-
matisch durchzuführen sein, sondern immer jenen Blick des Züchters
und jenen Instinkt des Kindes erfordern. Viel wissen sollte freilich
hierzu nur von Nutzen sein, doch viel sehen und viel fühlen sind noch
unentbehrlicher. Und somit tritt unsere Untersuchung der notwendigen
Beschränkungen des Begriffes Germane auf das geistige Gebiet über,
wo die Geschichte uns auf jeder Seite lehrt, das Germanische vom
Ungermanischen zu scheiden, zugleich auch das Physische daran zu
erkennen und hochzuhalten.

Zugleich Geist und Körper, Seelenspiegel und anatomischesPhysiognomik.
Faktum, fordert zunächst die Physiognomik unsere Aufmerksam-
keit. Man betrachte z. B. das Antlitz Dante Alighieri's; man wird
eben soviel daraus lernen wie aus seinen Dichtungen.1) Das ist ein

1) Dass Dante ein Germane, nicht ein Kind des Völkerchaos ist, folgt nach
meiner Überzeugung so evident aus seinem Wesen und Werke, dass ein Nachweis
hierüber durchaus entbehrlich dünken muss. Doch ist es immerhin interessant zu
wissen, dass der Name Alighieri ein gotischer ist, aus Aldiger korrumpiert; er
gehört zu jenen deutschen Personennamen, denen wie Gerhard, Gertrud u. s. w.
die Vorstellung ger = Speer zu Grunde liegt (eine Thatsache, welche mit Hinblick
auf Shake-spear den Phantasten viel hätte zu denken geben sollen!). Dieser
Name kam der Familie durch Dante's väterliche Grossmutter, eine Gotin aus
Ferrara zu, die Aldigiero hiess. Über die Abstammung des väterlichen Gross-
vaters sowie der Mutter weiss man heute nur das Eine, dass die versuchte An-
knüpfung an römische Geschlechter eine pure Erfindung jener italienischen Bio-
graphen ist, die es ruhmvoller fanden, Rom anzugehören als Germanien; da aber
der Grossvater ein Krieger war, von Kaiser Konrad zum Ritter geschlagen, und
Dante selbst angiebt, er gehöre zum kleinen Adel, so ist die Abstammung aus
rein germanischem Stamme so gut als erwiesen. (Vergl. Franz Xaver Kraus:
Dante, Berlin 1897, S. 21--25). Noch bis an die Grenze des 15. Jahrhunderts
werden in den Urkunden viele Italiener als Alemannen, Langobarden u. s. w. be-
zeichnet, ex alamanorum genere, legibus vivens Langobardorum etc. (und zwar trotzdem
die meisten schon längst zum römischen Recht übergetreten waren, womit sonst die
dokumentarische Sichtbarkeit ihrer Abstammung verschwand), so durch und durch
war jenes Volk, in welchem die angebliche "romanische Kultur" heute ihren Herd
32*
Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.

Den Anthropologen wollen wir ihre chamäprosopen Kreise nicht
länger als nötig stören, doch das durch ihren Fleiss zu Tage geförderte
Material wollen wir ebensowenig geringschätzen, sondern es als wert-
volle Bereicherung unserer Kenntnis des Germanen und als ernste
Mahnung in Bezug auf das Vordringen des Nichtgermanen unter uns
wohl zu benützen wissen.

Die so notwendige Beschränkung des Namens »Germane« auf
diejenigen, welche wirklich Germanen oder zum Mindesten stark mit
germanischem Blute durchsetzt sind, wird also niemals rein-mathe-
matisch durchzuführen sein, sondern immer jenen Blick des Züchters
und jenen Instinkt des Kindes erfordern. Viel wissen sollte freilich
hierzu nur von Nutzen sein, doch viel sehen und viel fühlen sind noch
unentbehrlicher. Und somit tritt unsere Untersuchung der notwendigen
Beschränkungen des Begriffes Germane auf das geistige Gebiet über,
wo die Geschichte uns auf jeder Seite lehrt, das Germanische vom
Ungermanischen zu scheiden, zugleich auch das Physische daran zu
erkennen und hochzuhalten.

Zugleich Geist und Körper, Seelenspiegel und anatomischesPhysiognomik.
Faktum, fordert zunächst die Physiognomik unsere Aufmerksam-
keit. Man betrachte z. B. das Antlitz Dante Alighieri’s; man wird
eben soviel daraus lernen wie aus seinen Dichtungen.1) Das ist ein

1) Dass Dante ein Germane, nicht ein Kind des Völkerchaos ist, folgt nach
meiner Überzeugung so evident aus seinem Wesen und Werke, dass ein Nachweis
hierüber durchaus entbehrlich dünken muss. Doch ist es immerhin interessant zu
wissen, dass der Name Alighieri ein gotischer ist, aus Aldiger korrumpiert; er
gehört zu jenen deutschen Personennamen, denen wie Gerhard, Gertrud u. s. w.
die Vorstellung gêr = Speer zu Grunde liegt (eine Thatsache, welche mit Hinblick
auf Shake-spear den Phantasten viel hätte zu denken geben sollen!). Dieser
Name kam der Familie durch Dante’s väterliche Grossmutter, eine Gotin aus
Ferrara zu, die Aldigiero hiess. Über die Abstammung des väterlichen Gross-
vaters sowie der Mutter weiss man heute nur das Eine, dass die versuchte An-
knüpfung an römische Geschlechter eine pure Erfindung jener italienischen Bio-
graphen ist, die es ruhmvoller fanden, Rom anzugehören als Germanien; da aber
der Grossvater ein Krieger war, von Kaiser Konrad zum Ritter geschlagen, und
Dante selbst angiebt, er gehöre zum kleinen Adel, so ist die Abstammung aus
rein germanischem Stamme so gut als erwiesen. (Vergl. Franz Xaver Kraus:
Dante, Berlin 1897, S. 21—25). Noch bis an die Grenze des 15. Jahrhunderts
werden in den Urkunden viele Italiener als Alemannen, Langobarden u. s. w. be-
zeichnet, ex alamanorum genere, legibus vivens Langobardorum etc. (und zwar trotzdem
die meisten schon längst zum römischen Recht übergetreten waren, womit sonst die
dokumentarische Sichtbarkeit ihrer Abstammung verschwand), so durch und durch
war jenes Volk, in welchem die angebliche »romanische Kultur« heute ihren Herd
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[499/0522] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Den Anthropologen wollen wir ihre chamäprosopen Kreise nicht länger als nötig stören, doch das durch ihren Fleiss zu Tage geförderte Material wollen wir ebensowenig geringschätzen, sondern es als wert- volle Bereicherung unserer Kenntnis des Germanen und als ernste Mahnung in Bezug auf das Vordringen des Nichtgermanen unter uns wohl zu benützen wissen. Die so notwendige Beschränkung des Namens »Germane« auf diejenigen, welche wirklich Germanen oder zum Mindesten stark mit germanischem Blute durchsetzt sind, wird also niemals rein-mathe- matisch durchzuführen sein, sondern immer jenen Blick des Züchters und jenen Instinkt des Kindes erfordern. Viel wissen sollte freilich hierzu nur von Nutzen sein, doch viel sehen und viel fühlen sind noch unentbehrlicher. Und somit tritt unsere Untersuchung der notwendigen Beschränkungen des Begriffes Germane auf das geistige Gebiet über, wo die Geschichte uns auf jeder Seite lehrt, das Germanische vom Ungermanischen zu scheiden, zugleich auch das Physische daran zu erkennen und hochzuhalten. Zugleich Geist und Körper, Seelenspiegel und anatomisches Faktum, fordert zunächst die Physiognomik unsere Aufmerksam- keit. Man betrachte z. B. das Antlitz Dante Alighieri’s; man wird eben soviel daraus lernen wie aus seinen Dichtungen. 1) Das ist ein Physiognomik. 1) Dass Dante ein Germane, nicht ein Kind des Völkerchaos ist, folgt nach meiner Überzeugung so evident aus seinem Wesen und Werke, dass ein Nachweis hierüber durchaus entbehrlich dünken muss. Doch ist es immerhin interessant zu wissen, dass der Name Alighieri ein gotischer ist, aus Aldiger korrumpiert; er gehört zu jenen deutschen Personennamen, denen wie Gerhard, Gertrud u. s. w. die Vorstellung gêr = Speer zu Grunde liegt (eine Thatsache, welche mit Hinblick auf Shake-spear den Phantasten viel hätte zu denken geben sollen!). Dieser Name kam der Familie durch Dante’s väterliche Grossmutter, eine Gotin aus Ferrara zu, die Aldigiero hiess. Über die Abstammung des väterlichen Gross- vaters sowie der Mutter weiss man heute nur das Eine, dass die versuchte An- knüpfung an römische Geschlechter eine pure Erfindung jener italienischen Bio- graphen ist, die es ruhmvoller fanden, Rom anzugehören als Germanien; da aber der Grossvater ein Krieger war, von Kaiser Konrad zum Ritter geschlagen, und Dante selbst angiebt, er gehöre zum kleinen Adel, so ist die Abstammung aus rein germanischem Stamme so gut als erwiesen. (Vergl. Franz Xaver Kraus: Dante, Berlin 1897, S. 21—25). Noch bis an die Grenze des 15. Jahrhunderts werden in den Urkunden viele Italiener als Alemannen, Langobarden u. s. w. be- zeichnet, ex alamanorum genere, legibus vivens Langobardorum etc. (und zwar trotzdem die meisten schon längst zum römischen Recht übergetreten waren, womit sonst die dokumentarische Sichtbarkeit ihrer Abstammung verschwand), so durch und durch war jenes Volk, in welchem die angebliche »romanische Kultur« heute ihren Herd 32*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/522>, abgerufen am 22.11.2024.