Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. "gleichbegabt"! Hierauf werde ich bald zurückzukommen haben;doch wollte ich dieses Gebiet der Kraniometrie nicht verlassen ohne darauf hingewiesen zu haben: erstens, wie schwer es auch hier ist, durch blosse Formeln, durch Kompass und Metermass, das Germanische vom Ungermanischen zu scheiden; zweitens, welche gefährlichen Wege jene gelehrten Herren uns führen, welche plötzlich ihre Betrachtungen über "chamäprosope, platyrrhine, mesokonche, prognathe, proophryocephale, ooide, brachyklitometope, hypsistegobregmatische Dolichocephale" unter- brechen, um allgemeine Betrachtungen daran anzuknüpfen über Ge- schichte und Kultur. Der Laie versteht ja von dem Übrigen wenig oder nichts; hoffnungslos watet er in jenem barbarischen Jargon neo- scholastischer Naturwissenschaft herum; nur das Eine wandert dann durch alle Zeitungen als das sichtbare Ergebnis eines solchen Kon- gresses: die gelehrtesten Herren von Europa haben feierlich zu Protokoll gegeben, alle Rassen seien an der Entwickelung der Kultur gleich- beteiligt, alle seien zu jeder Aufgabe der Kultur gleichbegabt: Griechen hat es nie gegeben, Römer hat es nie gegeben, Germanen hat es nie gegeben, sondern seit jeher leben brüderlich nebeneinander, respektiv fressen sich gegenseitig auf leptoprosope Dolichocephalen, chamä- prosope Dolichocephalen, leptoprosope Brachycephalen, und chamä- prosope Brachycephalen, "alle miteinander an der Kultur arbeitend" (sic!). Man lächelt wohl? Doch sind Vergehen gegen die Geschichte eigentlich zu ernste Frevel, als dass sie mit blossem Lachen bestraft werden dürften; hier muss der gesunde Menschenverstand aller ein- sichtsvollen Männer mit kräftiger Hand bei Zeiten den Riegel vorschieben und jenen Herren zurufen: Schuster, bleib' bei deinem Leisten!1) Wie krass unwissenschaftlich ein solches Beginnen, wie dasjenige 1) Übrigens haben die wirklich grossen Anthropologen die Bedeutung der
Rasse niemals verkannt; man vergl. nur den Ausspruch Adolf Bastian's, oben S. 274. Die Erben. »gleichbegabt«! Hierauf werde ich bald zurückzukommen haben;doch wollte ich dieses Gebiet der Kraniometrie nicht verlassen ohne darauf hingewiesen zu haben: erstens, wie schwer es auch hier ist, durch blosse Formeln, durch Kompass und Metermass, das Germanische vom Ungermanischen zu scheiden; zweitens, welche gefährlichen Wege jene gelehrten Herren uns führen, welche plötzlich ihre Betrachtungen über »chamäprosope, platyrrhine, mesokonche, prognathe, proophryocephale, ooide, brachyklitometope, hypsistegobregmatische Dolichocephale« unter- brechen, um allgemeine Betrachtungen daran anzuknüpfen über Ge- schichte und Kultur. Der Laie versteht ja von dem Übrigen wenig oder nichts; hoffnungslos watet er in jenem barbarischen Jargon neo- scholastischer Naturwissenschaft herum; nur das Eine wandert dann durch alle Zeitungen als das sichtbare Ergebnis eines solchen Kon- gresses: die gelehrtesten Herren von Europa haben feierlich zu Protokoll gegeben, alle Rassen seien an der Entwickelung der Kultur gleich- beteiligt, alle seien zu jeder Aufgabe der Kultur gleichbegabt: Griechen hat es nie gegeben, Römer hat es nie gegeben, Germanen hat es nie gegeben, sondern seit jeher leben brüderlich nebeneinander, respektiv fressen sich gegenseitig auf leptoprosope Dolichocephalen, chamä- prosope Dolichocephalen, leptoprosope Brachycephalen, und chamä- prosope Brachycephalen, »alle miteinander an der Kultur arbeitend« (sic!). Man lächelt wohl? Doch sind Vergehen gegen die Geschichte eigentlich zu ernste Frevel, als dass sie mit blossem Lachen bestraft werden dürften; hier muss der gesunde Menschenverstand aller ein- sichtsvollen Männer mit kräftiger Hand bei Zeiten den Riegel vorschieben und jenen Herren zurufen: Schuster, bleib’ bei deinem Leisten!1) Wie krass unwissenschaftlich ein solches Beginnen, wie dasjenige 1) Übrigens haben die wirklich grossen Anthropologen die Bedeutung der
Rasse niemals verkannt; man vergl. nur den Ausspruch Adolf Bastian’s, oben S. 274. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0517" n="494"/><fw place="top" type="header">Die Erben.</fw><lb/> »gleichbegabt«! Hierauf werde ich bald zurückzukommen haben;<lb/> doch wollte ich dieses Gebiet der Kraniometrie nicht verlassen ohne<lb/> darauf hingewiesen zu haben: erstens, wie schwer es auch hier ist, durch<lb/> blosse Formeln, durch Kompass und Metermass, das Germanische vom<lb/> Ungermanischen zu scheiden; zweitens, welche gefährlichen Wege jene<lb/> gelehrten Herren uns führen, welche plötzlich ihre Betrachtungen über<lb/> »chamäprosope, platyrrhine, mesokonche, prognathe, proophryocephale,<lb/> ooide, brachyklitometope, hypsistegobregmatische Dolichocephale« unter-<lb/> brechen, um allgemeine Betrachtungen daran anzuknüpfen über Ge-<lb/> schichte und Kultur. Der Laie versteht ja von dem Übrigen wenig<lb/> oder nichts; hoffnungslos watet er in jenem barbarischen Jargon neo-<lb/> scholastischer Naturwissenschaft herum; nur das Eine wandert dann<lb/> durch alle Zeitungen als das sichtbare Ergebnis eines solchen Kon-<lb/> gresses: die gelehrtesten Herren von Europa haben feierlich zu Protokoll<lb/> gegeben, alle Rassen seien an der Entwickelung der Kultur gleich-<lb/> beteiligt, alle seien zu jeder Aufgabe der Kultur gleichbegabt: Griechen<lb/> hat es nie gegeben, Römer hat es nie gegeben, Germanen hat es nie<lb/> gegeben, sondern seit jeher leben brüderlich nebeneinander, respektiv<lb/> fressen sich gegenseitig auf leptoprosope Dolichocephalen, chamä-<lb/> prosope Dolichocephalen, leptoprosope Brachycephalen, und chamä-<lb/> prosope Brachycephalen, »alle miteinander an der Kultur arbeitend«<lb/> (sic!). Man lächelt wohl? Doch sind Vergehen gegen die Geschichte<lb/> eigentlich zu ernste Frevel, als dass sie mit blossem Lachen bestraft<lb/> werden dürften; hier muss der gesunde Menschenverstand aller ein-<lb/> sichtsvollen Männer mit kräftiger Hand bei Zeiten den Riegel vorschieben<lb/> und jenen Herren zurufen: Schuster, bleib’ bei deinem Leisten!<note place="foot" n="1)">Übrigens haben die wirklich grossen Anthropologen die Bedeutung der<lb/> Rasse niemals verkannt; man vergl. nur den Ausspruch Adolf Bastian’s, oben S. 274.</note></p><lb/> <p>Wie krass unwissenschaftlich ein solches Beginnen, wie dasjenige<lb/> Kollmann’s ist, liegt ausserdem auf der Hand. Weitgehende Verein-<lb/> fachung ist ein Gesetz des künstlerischen Schaffens, nicht aber ein<lb/> Gesetz der Natur; im Gegenteil, hier ist endlose Mannigfaltigkeit das<lb/> Bezeichnende. Was würde man zu einem Botaniker sagen, der die<lb/> Pflanzen nach der Länge und Breite ihrer Blätter in Familien einteilen<lb/> wollte, oder auch nach irgend einem anderen einzigen Charakter?<lb/> Das Verfahren Kollmann’s bildet einen Rückschritt dem alten Theophrast<lb/> gegenüber. So lange man künstliche Klassifikationen versuchte, rückte<lb/> die systematische Kenntnis der Pflanzenwelt nicht um einen Schritt<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [494/0517]
Die Erben.
»gleichbegabt«! Hierauf werde ich bald zurückzukommen haben;
doch wollte ich dieses Gebiet der Kraniometrie nicht verlassen ohne
darauf hingewiesen zu haben: erstens, wie schwer es auch hier ist, durch
blosse Formeln, durch Kompass und Metermass, das Germanische vom
Ungermanischen zu scheiden; zweitens, welche gefährlichen Wege jene
gelehrten Herren uns führen, welche plötzlich ihre Betrachtungen über
»chamäprosope, platyrrhine, mesokonche, prognathe, proophryocephale,
ooide, brachyklitometope, hypsistegobregmatische Dolichocephale« unter-
brechen, um allgemeine Betrachtungen daran anzuknüpfen über Ge-
schichte und Kultur. Der Laie versteht ja von dem Übrigen wenig
oder nichts; hoffnungslos watet er in jenem barbarischen Jargon neo-
scholastischer Naturwissenschaft herum; nur das Eine wandert dann
durch alle Zeitungen als das sichtbare Ergebnis eines solchen Kon-
gresses: die gelehrtesten Herren von Europa haben feierlich zu Protokoll
gegeben, alle Rassen seien an der Entwickelung der Kultur gleich-
beteiligt, alle seien zu jeder Aufgabe der Kultur gleichbegabt: Griechen
hat es nie gegeben, Römer hat es nie gegeben, Germanen hat es nie
gegeben, sondern seit jeher leben brüderlich nebeneinander, respektiv
fressen sich gegenseitig auf leptoprosope Dolichocephalen, chamä-
prosope Dolichocephalen, leptoprosope Brachycephalen, und chamä-
prosope Brachycephalen, »alle miteinander an der Kultur arbeitend«
(sic!). Man lächelt wohl? Doch sind Vergehen gegen die Geschichte
eigentlich zu ernste Frevel, als dass sie mit blossem Lachen bestraft
werden dürften; hier muss der gesunde Menschenverstand aller ein-
sichtsvollen Männer mit kräftiger Hand bei Zeiten den Riegel vorschieben
und jenen Herren zurufen: Schuster, bleib’ bei deinem Leisten! 1)
Wie krass unwissenschaftlich ein solches Beginnen, wie dasjenige
Kollmann’s ist, liegt ausserdem auf der Hand. Weitgehende Verein-
fachung ist ein Gesetz des künstlerischen Schaffens, nicht aber ein
Gesetz der Natur; im Gegenteil, hier ist endlose Mannigfaltigkeit das
Bezeichnende. Was würde man zu einem Botaniker sagen, der die
Pflanzen nach der Länge und Breite ihrer Blätter in Familien einteilen
wollte, oder auch nach irgend einem anderen einzigen Charakter?
Das Verfahren Kollmann’s bildet einen Rückschritt dem alten Theophrast
gegenüber. So lange man künstliche Klassifikationen versuchte, rückte
die systematische Kenntnis der Pflanzenwelt nicht um einen Schritt
1) Übrigens haben die wirklich grossen Anthropologen die Bedeutung der
Rasse niemals verkannt; man vergl. nur den Ausspruch Adolf Bastian’s, oben S. 274.
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