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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
weisen!1) Wie soll man nun den kraniologischen Einfluss solcher alt-
ansässiger Stämme auf die Germanen anatomisch entwirren, wenn sie
selber bereits Langköpfe und Kurzköpfe und Mittelköpfe besassen? Und
warum macht sich diese Wirkung heute nur nach der Kurzköpfigkeit
zu geltend? Da kommen aber wieder andere Gelehrte und singen
ein ganz anderes Lied: wir hätten keinen zwingenden Grund, an eine
Einwanderung des Indoeuropäers zu glauben, er sei schon zur
Steinzeit dagewesen, habe sich schon damals durch seinen Langkopf
von einer anderen kurzköpfigen Rasse unterschieden und mit ihr um
die Vorherrschaft gekämpft; jener Langkopf aus der älteren Steinzeit
sei eben Niemand anders als der Germane! Virchow meint, auf ana-
tomisches Material sich stützend, schon die ältesten Troglodyten Europas
könnten von arischem Stamme gewesen sein, mindestens könne
Niemand das Gegenteil beweisen.2) Vor der jüngeren Schule finden
aber wiederum derlei vorsichtig abwartende Urteile keine Gnade;
unter dem Vorwand streng wissenschaftlicher Vereinfachung schwenkt
sie hoch die Fahne des Chaos und straft die gesamte Geschichte der
Menschheit Lügen. Den klarsten Ausdruck haben diese neuesten Lehren
durch Professor Kollmann gefunden. Er reduziert alle in Europa lebende
Menschen auf vier Typen: lange Schädel mit langen, lange Schädel
mit kurzen Gesichtern, kurze Schädel mit kurzen, kurze mit langen
Gesichtern; diese vier Rassen hätten seit Jahrtausenden neben- und
miteinander gelebt und das sei noch heute der Fall. Und nun kommt
der Pferdehuf: Alles, was uns die Geschichte lehrt von Völker-
wanderungen, von Nationalitäten, von Verschiedenheiten der Anlagen,
von grossen schöpferischen Kulturwerken, die nur von einzelnen
Volksindividualitäten ausgeführt, von anderen im besten Falle lediglich
übernommen wurden, von dem noch unter uns sichtbaren Kampfe
zwischen kulturförderlichen und kulturfeindlichen Elementen -- -- --
das Alles wird als Plunder bei Seite geschoben, und unser Glaube für
folgendes Dogma gefordert: "Die Entwickelung der Kultur ist offenbar
die gemeinsame That aller dieser Typen. Alle europäischen Rassen
sind also, soweit wir bisher in das Geheimnis der Rassennatur ein-
gedrungen sind, gleichbegabt für jede Aufgabe der Kultur".3)
Gleichbegabt? man traut seinen Augen nicht! für "jede" Aufgabe

1) Sir William Turner: Early Man in Scotland, Rede, gehalten in der Royal
Institution in London am 13. Januar 1898.
2) Ranke: Der Mensch, II, 578.
3) Allgemeine Versammlung der deutschen anthropolog. Gesellschaft, 1892.

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
weisen!1) Wie soll man nun den kraniologischen Einfluss solcher alt-
ansässiger Stämme auf die Germanen anatomisch entwirren, wenn sie
selber bereits Langköpfe und Kurzköpfe und Mittelköpfe besassen? Und
warum macht sich diese Wirkung heute nur nach der Kurzköpfigkeit
zu geltend? Da kommen aber wieder andere Gelehrte und singen
ein ganz anderes Lied: wir hätten keinen zwingenden Grund, an eine
Einwanderung des Indoeuropäers zu glauben, er sei schon zur
Steinzeit dagewesen, habe sich schon damals durch seinen Langkopf
von einer anderen kurzköpfigen Rasse unterschieden und mit ihr um
die Vorherrschaft gekämpft; jener Langkopf aus der älteren Steinzeit
sei eben Niemand anders als der Germane! Virchow meint, auf ana-
tomisches Material sich stützend, schon die ältesten Troglodyten Europas
könnten von arischem Stamme gewesen sein, mindestens könne
Niemand das Gegenteil beweisen.2) Vor der jüngeren Schule finden
aber wiederum derlei vorsichtig abwartende Urteile keine Gnade;
unter dem Vorwand streng wissenschaftlicher Vereinfachung schwenkt
sie hoch die Fahne des Chaos und straft die gesamte Geschichte der
Menschheit Lügen. Den klarsten Ausdruck haben diese neuesten Lehren
durch Professor Kollmann gefunden. Er reduziert alle in Europa lebende
Menschen auf vier Typen: lange Schädel mit langen, lange Schädel
mit kurzen Gesichtern, kurze Schädel mit kurzen, kurze mit langen
Gesichtern; diese vier Rassen hätten seit Jahrtausenden neben- und
miteinander gelebt und das sei noch heute der Fall. Und nun kommt
der Pferdehuf: Alles, was uns die Geschichte lehrt von Völker-
wanderungen, von Nationalitäten, von Verschiedenheiten der Anlagen,
von grossen schöpferischen Kulturwerken, die nur von einzelnen
Volksindividualitäten ausgeführt, von anderen im besten Falle lediglich
übernommen wurden, von dem noch unter uns sichtbaren Kampfe
zwischen kulturförderlichen und kulturfeindlichen Elementen — — —
das Alles wird als Plunder bei Seite geschoben, und unser Glaube für
folgendes Dogma gefordert: »Die Entwickelung der Kultur ist offenbar
die gemeinsame That aller dieser Typen. Alle europäischen Rassen
sind also, soweit wir bisher in das Geheimnis der Rassennatur ein-
gedrungen sind, gleichbegabt für jede Aufgabe der Kultur«.3)
Gleichbegabt? man traut seinen Augen nicht! für »jede« Aufgabe

1) Sir William Turner: Early Man in Scotland, Rede, gehalten in der Royal
Institution in London am 13. Januar 1898.
2) Ranke: Der Mensch, II, 578.
3) Allgemeine Versammlung der deutschen anthropolog. Gesellschaft, 1892.
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[493/0516] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. weisen! 1) Wie soll man nun den kraniologischen Einfluss solcher alt- ansässiger Stämme auf die Germanen anatomisch entwirren, wenn sie selber bereits Langköpfe und Kurzköpfe und Mittelköpfe besassen? Und warum macht sich diese Wirkung heute nur nach der Kurzköpfigkeit zu geltend? Da kommen aber wieder andere Gelehrte und singen ein ganz anderes Lied: wir hätten keinen zwingenden Grund, an eine Einwanderung des Indoeuropäers zu glauben, er sei schon zur Steinzeit dagewesen, habe sich schon damals durch seinen Langkopf von einer anderen kurzköpfigen Rasse unterschieden und mit ihr um die Vorherrschaft gekämpft; jener Langkopf aus der älteren Steinzeit sei eben Niemand anders als der Germane! Virchow meint, auf ana- tomisches Material sich stützend, schon die ältesten Troglodyten Europas könnten von arischem Stamme gewesen sein, mindestens könne Niemand das Gegenteil beweisen. 2) Vor der jüngeren Schule finden aber wiederum derlei vorsichtig abwartende Urteile keine Gnade; unter dem Vorwand streng wissenschaftlicher Vereinfachung schwenkt sie hoch die Fahne des Chaos und straft die gesamte Geschichte der Menschheit Lügen. Den klarsten Ausdruck haben diese neuesten Lehren durch Professor Kollmann gefunden. Er reduziert alle in Europa lebende Menschen auf vier Typen: lange Schädel mit langen, lange Schädel mit kurzen Gesichtern, kurze Schädel mit kurzen, kurze mit langen Gesichtern; diese vier Rassen hätten seit Jahrtausenden neben- und miteinander gelebt und das sei noch heute der Fall. Und nun kommt der Pferdehuf: Alles, was uns die Geschichte lehrt von Völker- wanderungen, von Nationalitäten, von Verschiedenheiten der Anlagen, von grossen schöpferischen Kulturwerken, die nur von einzelnen Volksindividualitäten ausgeführt, von anderen im besten Falle lediglich übernommen wurden, von dem noch unter uns sichtbaren Kampfe zwischen kulturförderlichen und kulturfeindlichen Elementen — — — das Alles wird als Plunder bei Seite geschoben, und unser Glaube für folgendes Dogma gefordert: »Die Entwickelung der Kultur ist offenbar die gemeinsame That aller dieser Typen. Alle europäischen Rassen sind also, soweit wir bisher in das Geheimnis der Rassennatur ein- gedrungen sind, gleichbegabt für jede Aufgabe der Kultur«. 3) Gleichbegabt? man traut seinen Augen nicht! für »jede« Aufgabe 1) Sir William Turner: Early Man in Scotland, Rede, gehalten in der Royal Institution in London am 13. Januar 1898. 2) Ranke: Der Mensch, II, 578. 3) Allgemeine Versammlung der deutschen anthropolog. Gesellschaft, 1892.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/516>, abgerufen am 24.11.2024.