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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Menschen aufweist (10--15 Prozent) wie die westlich gelegenen Länder;
der grösste Prozentsatz von Brünetten findet sich in Gegenden, wohin
nie ein Slave kam, nämlich in der Schweiz, im Elsass, im urdeutschen
Salzkammergut! Ob es echte Slaven giebt, bei denen Melanismus des
Haares vorkommt, wie bei den Germanen und Kelten, ist mir unbekannt.

Aus diesen Thatsachen geht unwiderlegbar hervor, dass dem
Germanen nicht, wie es gewöhnlich geschieht, blondes Haar apo-
diktisch zugesprochen werden kann; auch schwarzes Haar kann den
echtesten Sprossen dieser Rasse eigen sein. Zwar wird das Vor-
handensein blonden Haares immer auf Germanentum (in meinem
weiten Sinne des Wortes) raten lassen, und sei es auch nur als ferne
Beimengung, doch die Abwesenheit der hellen Färbung gestattet nicht
den umgekehrten Schluss. Bei der Anwendung dieser Beschränkung
muss man also vorsichtig sein; das Haar allein genügt als Kriterium
nicht, sondern es müssen die übrigen physischen Charaktere mit in
Betracht gezogen werden.

Somit gelangen wir zu der weiteren und wahrlich nicht minderDie Gestalt
des Schädels.

schwierigen Frage: nach der Schädelform. Hier scheint es, als müsse
und könne eine Grenze gezogen werden. Denn, wie verwickelt die
Verhältnisse auch heute liegen, sie lagen in alten Zeiten sehr einfach:
die alten Germanen des Tacitus, sowie die alten Slaven waren beide
der Mehrzahl nach ausgesprochene Langköpfe; der lange Schädel und
darunter das lange Gesicht sind so sichere Merkmale der Rasse, dass
man sich wohl fragen darf, ob, wer sie nicht besitzt, zu ihr gezählt
werden dürfe. In den germanischen Gräbern der Völkerwanderungs-
zeit findet man fast die Hälfte der Schädel dolichocephal, d. h. mit
einer Breite, welche sich zur Länge wie 75 (oder noch weniger) zu
100 verhält und mit wenigen Ausnahmen nähern sich auch die übrigen
Schädel dieser künstlich gewählten Verhältnisgrenze; wirkliche Rund-
köpfe (siehe S. 360) kommen fast gar nicht vor. In den altslavischen
Gräbern ist das Verhältnis noch mehr zu Gunsten der extremen Lang-
köpfe. In Bezug auf die alten Kelten besitzt man wenige Angaben;
doch lässt die Neigung zur Dolichocephalie bei den Gälen Nordschott-
lands und den Kymren in Wales dasselbe voraussetzen.1) Seitdem
hat sich das sehr geändert, wenigstens in vielen Ländern. Zwar nicht
hoch oben im Norden, in Skandinavien, im nördlichsten Deutschland
(mit Ausschluss der Städte) und in England; im Gegenteil, die Dolicho-

1) Vergl. Ranke: Der Mensch, II, 298.

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Menschen aufweist (10—15 Prozent) wie die westlich gelegenen Länder;
der grösste Prozentsatz von Brünetten findet sich in Gegenden, wohin
nie ein Slave kam, nämlich in der Schweiz, im Elsass, im urdeutschen
Salzkammergut! Ob es echte Slaven giebt, bei denen Melanismus des
Haares vorkommt, wie bei den Germanen und Kelten, ist mir unbekannt.

Aus diesen Thatsachen geht unwiderlegbar hervor, dass dem
Germanen nicht, wie es gewöhnlich geschieht, blondes Haar apo-
diktisch zugesprochen werden kann; auch schwarzes Haar kann den
echtesten Sprossen dieser Rasse eigen sein. Zwar wird das Vor-
handensein blonden Haares immer auf Germanentum (in meinem
weiten Sinne des Wortes) raten lassen, und sei es auch nur als ferne
Beimengung, doch die Abwesenheit der hellen Färbung gestattet nicht
den umgekehrten Schluss. Bei der Anwendung dieser Beschränkung
muss man also vorsichtig sein; das Haar allein genügt als Kriterium
nicht, sondern es müssen die übrigen physischen Charaktere mit in
Betracht gezogen werden.

Somit gelangen wir zu der weiteren und wahrlich nicht minderDie Gestalt
des Schädels.

schwierigen Frage: nach der Schädelform. Hier scheint es, als müsse
und könne eine Grenze gezogen werden. Denn, wie verwickelt die
Verhältnisse auch heute liegen, sie lagen in alten Zeiten sehr einfach:
die alten Germanen des Tacitus, sowie die alten Slaven waren beide
der Mehrzahl nach ausgesprochene Langköpfe; der lange Schädel und
darunter das lange Gesicht sind so sichere Merkmale der Rasse, dass
man sich wohl fragen darf, ob, wer sie nicht besitzt, zu ihr gezählt
werden dürfe. In den germanischen Gräbern der Völkerwanderungs-
zeit findet man fast die Hälfte der Schädel dolichocephal, d. h. mit
einer Breite, welche sich zur Länge wie 75 (oder noch weniger) zu
100 verhält und mit wenigen Ausnahmen nähern sich auch die übrigen
Schädel dieser künstlich gewählten Verhältnisgrenze; wirkliche Rund-
köpfe (siehe S. 360) kommen fast gar nicht vor. In den altslavischen
Gräbern ist das Verhältnis noch mehr zu Gunsten der extremen Lang-
köpfe. In Bezug auf die alten Kelten besitzt man wenige Angaben;
doch lässt die Neigung zur Dolichocephalie bei den Gälen Nordschott-
lands und den Kymren in Wales dasselbe voraussetzen.1) Seitdem
hat sich das sehr geändert, wenigstens in vielen Ländern. Zwar nicht
hoch oben im Norden, in Skandinavien, im nördlichsten Deutschland
(mit Ausschluss der Städte) und in England; im Gegenteil, die Dolicho-

1) Vergl. Ranke: Der Mensch, II, 298.
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[489/0512] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. Menschen aufweist (10—15 Prozent) wie die westlich gelegenen Länder; der grösste Prozentsatz von Brünetten findet sich in Gegenden, wohin nie ein Slave kam, nämlich in der Schweiz, im Elsass, im urdeutschen Salzkammergut! Ob es echte Slaven giebt, bei denen Melanismus des Haares vorkommt, wie bei den Germanen und Kelten, ist mir unbekannt. Aus diesen Thatsachen geht unwiderlegbar hervor, dass dem Germanen nicht, wie es gewöhnlich geschieht, blondes Haar apo- diktisch zugesprochen werden kann; auch schwarzes Haar kann den echtesten Sprossen dieser Rasse eigen sein. Zwar wird das Vor- handensein blonden Haares immer auf Germanentum (in meinem weiten Sinne des Wortes) raten lassen, und sei es auch nur als ferne Beimengung, doch die Abwesenheit der hellen Färbung gestattet nicht den umgekehrten Schluss. Bei der Anwendung dieser Beschränkung muss man also vorsichtig sein; das Haar allein genügt als Kriterium nicht, sondern es müssen die übrigen physischen Charaktere mit in Betracht gezogen werden. Somit gelangen wir zu der weiteren und wahrlich nicht minder schwierigen Frage: nach der Schädelform. Hier scheint es, als müsse und könne eine Grenze gezogen werden. Denn, wie verwickelt die Verhältnisse auch heute liegen, sie lagen in alten Zeiten sehr einfach: die alten Germanen des Tacitus, sowie die alten Slaven waren beide der Mehrzahl nach ausgesprochene Langköpfe; der lange Schädel und darunter das lange Gesicht sind so sichere Merkmale der Rasse, dass man sich wohl fragen darf, ob, wer sie nicht besitzt, zu ihr gezählt werden dürfe. In den germanischen Gräbern der Völkerwanderungs- zeit findet man fast die Hälfte der Schädel dolichocephal, d. h. mit einer Breite, welche sich zur Länge wie 75 (oder noch weniger) zu 100 verhält und mit wenigen Ausnahmen nähern sich auch die übrigen Schädel dieser künstlich gewählten Verhältnisgrenze; wirkliche Rund- köpfe (siehe S. 360) kommen fast gar nicht vor. In den altslavischen Gräbern ist das Verhältnis noch mehr zu Gunsten der extremen Lang- köpfe. In Bezug auf die alten Kelten besitzt man wenige Angaben; doch lässt die Neigung zur Dolichocephalie bei den Gälen Nordschott- lands und den Kymren in Wales dasselbe voraussetzen. 1) Seitdem hat sich das sehr geändert, wenigstens in vielen Ländern. Zwar nicht hoch oben im Norden, in Skandinavien, im nördlichsten Deutschland (mit Ausschluss der Städte) und in England; im Gegenteil, die Dolicho- Die Gestalt des Schädels. 1) Vergl. Ranke: Der Mensch, II, 298.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/512>, abgerufen am 24.11.2024.