Da diese Dinge nicht einem Jeden gegenwärtig sind, habe ich mit einiger Ausführlichkeit darauf Nachdruck legen müssen; genügend, hoffe ich, um der Überzeugung von einer ursprünglichen, innigen Ver- wandtschaft zwischen dem echten Germanen, dem echten Kelten und dem echten Slaven Bahn zu brechen. Hier stehen, im Augenblick wo diese Völker in die Geschichte eintreten, nicht drei ethnische Seelen nebeneinander, sondern eine einzige, einheitliche. Mögen die Kelten sich fast allerorten (doch, wie wir sahen, nicht überall) durch die Aufnahme von Virchow's hypothetischen "Präkelten" und von Elementen aus dem lateinischen Völkerchaos physisch so verändert haben, dass man heute allgemein unter "keltisch" den Gegenpart des ursprünglichen keltischen Typus versteht; mag ein ähnliches Schicksal die grossen blonden Normannenähnlichen Slaven in vielleicht noch bedauerlicherem Masse ereilt haben: wir sahen doch durch die Jahrhunderte hindurch jenen unterschiedlichen, durchaus individuellen Geist am Werke, den ich ohne Zaudern den germanischen nenne, weil der echte Germane (im gewöhnlichen, beschränkteren Sinne des Wortes), trotz aller Bastardie- rungen, die ein grosser Teil seiner Söhne einging, ihn doch bei weitem am reinsten und daher am mächtigsten bewahrte. Es handelt sich hier nicht um müssige Wortklauberei, im Gegenteil, um historische Einsicht im weitesten Sinne; es fällt mir auch nicht ein, dem eigent- lichen Germanen, oder gar dem Deutschen, Thaten zu vindizieren, die er nicht vollbrachte, oder Ruhm zu schenken, der Anderen zu- kommt. Im Gegenteil, ich möchte das lebendige Gefühl der grossen nordischen Brüderschaft wachrufen, und zwar ohne mich irgend welchen anthropogenetischen oder prähistorischen Hypothesen zu verdingen, sondern indem ich mich auf das stütze, was allen Augen offen liegt. Ja, nicht einmal die Blutsverwandtschaft postuliere ich; zwar glaube ich an sie, doch bin ich mir der ungeheueren Verwickeltheit dieses Problemes zu wohl bewusst, ich sehe zu deutlich ein, dass der wahre Fortschritt
Sieg erringen. Hosen (Kardinal Hosius) -- der Mann, der dem Kardinal de Guise ein Glückwunschschreiben zur Ermordung des Admirals Coligny sendet und der "dem Allmächtigen für das grosse Geschenk, das Frankreich durch die Bartholomäus- nacht erhalten hat, dankt, und betet, dass Gott auch Polen mit gleicher Barm- herzigkeit ansehen möge" -- dieser selbe Hosen steht an der Spitze der antinationalen Reaktion, er führt die Jesuiten ins Land ein, er verbietet das Lesen der heiligen Schrift, er lehrt, der Unterthan habe dem Fürsten gegenüber gar keine Rechte u. s. w. Wenn ein solcher ein Germane ist, jene Vorkämpfer für Freiheit nicht, dann ist dieser Name lediglich eine schimpfliche Bezeichnung.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 31
Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Da diese Dinge nicht einem Jeden gegenwärtig sind, habe ich mit einiger Ausführlichkeit darauf Nachdruck legen müssen; genügend, hoffe ich, um der Überzeugung von einer ursprünglichen, innigen Ver- wandtschaft zwischen dem echten Germanen, dem echten Kelten und dem echten Slaven Bahn zu brechen. Hier stehen, im Augenblick wo diese Völker in die Geschichte eintreten, nicht drei ethnische Seelen nebeneinander, sondern eine einzige, einheitliche. Mögen die Kelten sich fast allerorten (doch, wie wir sahen, nicht überall) durch die Aufnahme von Virchow’s hypothetischen »Präkelten« und von Elementen aus dem lateinischen Völkerchaos physisch so verändert haben, dass man heute allgemein unter »keltisch« den Gegenpart des ursprünglichen keltischen Typus versteht; mag ein ähnliches Schicksal die grossen blonden Normannenähnlichen Slaven in vielleicht noch bedauerlicherem Masse ereilt haben: wir sahen doch durch die Jahrhunderte hindurch jenen unterschiedlichen, durchaus individuellen Geist am Werke, den ich ohne Zaudern den germanischen nenne, weil der echte Germane (im gewöhnlichen, beschränkteren Sinne des Wortes), trotz aller Bastardie- rungen, die ein grosser Teil seiner Söhne einging, ihn doch bei weitem am reinsten und daher am mächtigsten bewahrte. Es handelt sich hier nicht um müssige Wortklauberei, im Gegenteil, um historische Einsicht im weitesten Sinne; es fällt mir auch nicht ein, dem eigent- lichen Germanen, oder gar dem Deutschen, Thaten zu vindizieren, die er nicht vollbrachte, oder Ruhm zu schenken, der Anderen zu- kommt. Im Gegenteil, ich möchte das lebendige Gefühl der grossen nordischen Brüderschaft wachrufen, und zwar ohne mich irgend welchen anthropogenetischen oder prähistorischen Hypothesen zu verdingen, sondern indem ich mich auf das stütze, was allen Augen offen liegt. Ja, nicht einmal die Blutsverwandtschaft postuliere ich; zwar glaube ich an sie, doch bin ich mir der ungeheueren Verwickeltheit dieses Problemes zu wohl bewusst, ich sehe zu deutlich ein, dass der wahre Fortschritt
Sieg erringen. Hosen (Kardinal Hosius) — der Mann, der dem Kardinal de Guise ein Glückwunschschreiben zur Ermordung des Admirals Coligny sendet und der »dem Allmächtigen für das grosse Geschenk, das Frankreich durch die Bartholomäus- nacht erhalten hat, dankt, und betet, dass Gott auch Polen mit gleicher Barm- herzigkeit ansehen möge« — dieser selbe Hosen steht an der Spitze der antinationalen Reaktion, er führt die Jesuiten ins Land ein, er verbietet das Lesen der heiligen Schrift, er lehrt, der Unterthan habe dem Fürsten gegenüber gar keine Rechte u. s. w. Wenn ein solcher ein Germane ist, jene Vorkämpfer für Freiheit nicht, dann ist dieser Name lediglich eine schimpfliche Bezeichnung.
Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 31
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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
Da diese Dinge nicht einem Jeden gegenwärtig sind, habe ich
mit einiger Ausführlichkeit darauf Nachdruck legen müssen; genügend,
hoffe ich, um der Überzeugung von einer ursprünglichen, innigen Ver-
wandtschaft zwischen dem echten Germanen, dem echten Kelten und
dem echten Slaven Bahn zu brechen. Hier stehen, im Augenblick wo
diese Völker in die Geschichte eintreten, nicht drei ethnische Seelen
nebeneinander, sondern eine einzige, einheitliche. Mögen die Kelten sich
fast allerorten (doch, wie wir sahen, nicht überall) durch die Aufnahme
von Virchow’s hypothetischen »Präkelten« und von Elementen aus dem
lateinischen Völkerchaos physisch so verändert haben, dass man heute
allgemein unter »keltisch« den Gegenpart des ursprünglichen keltischen
Typus versteht; mag ein ähnliches Schicksal die grossen blonden
Normannenähnlichen Slaven in vielleicht noch bedauerlicherem Masse
ereilt haben: wir sahen doch durch die Jahrhunderte hindurch jenen
unterschiedlichen, durchaus individuellen Geist am Werke, den ich
ohne Zaudern den germanischen nenne, weil der echte Germane (im
gewöhnlichen, beschränkteren Sinne des Wortes), trotz aller Bastardie-
rungen, die ein grosser Teil seiner Söhne einging, ihn doch bei weitem
am reinsten und daher am mächtigsten bewahrte. Es handelt sich
hier nicht um müssige Wortklauberei, im Gegenteil, um historische
Einsicht im weitesten Sinne; es fällt mir auch nicht ein, dem eigent-
lichen Germanen, oder gar dem Deutschen, Thaten zu vindizieren,
die er nicht vollbrachte, oder Ruhm zu schenken, der Anderen zu-
kommt. Im Gegenteil, ich möchte das lebendige Gefühl der grossen
nordischen Brüderschaft wachrufen, und zwar ohne mich irgend welchen
anthropogenetischen oder prähistorischen Hypothesen zu verdingen,
sondern indem ich mich auf das stütze, was allen Augen offen liegt. Ja,
nicht einmal die Blutsverwandtschaft postuliere ich; zwar glaube ich an
sie, doch bin ich mir der ungeheueren Verwickeltheit dieses Problemes
zu wohl bewusst, ich sehe zu deutlich ein, dass der wahre Fortschritt
2)
2) Sieg erringen. Hosen (Kardinal Hosius) — der Mann, der dem Kardinal de Guise
ein Glückwunschschreiben zur Ermordung des Admirals Coligny sendet und der
»dem Allmächtigen für das grosse Geschenk, das Frankreich durch die Bartholomäus-
nacht erhalten hat, dankt, und betet, dass Gott auch Polen mit gleicher Barm-
herzigkeit ansehen möge« — dieser selbe Hosen steht an der Spitze der antinationalen
Reaktion, er führt die Jesuiten ins Land ein, er verbietet das Lesen der heiligen
Schrift, er lehrt, der Unterthan habe dem Fürsten gegenüber gar keine Rechte u. s. w.
Wenn ein solcher ein Germane ist, jene Vorkämpfer für Freiheit nicht, dann ist
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/504>, abgerufen am 16.06.2024.
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