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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
die Thatsache, dass unter allen Christen einzig die Slaven (mit Aus-
nahme der dem deutschen Einfluss unterlegenen Tschechen) niemals
den Gottesdienst in einer anderen als ihrer heimatlichen Sprache ge-
duldet haben! Schon die grossen "Slavenapostel", Cyrillus und
Methodius, hatten ihre Not hiermit; von den deutschen Prälaten, die
an den "drei heiligen Sprachen" (griechisch, lateinisch, hebräisch) fest-
hielten, verfolgt, dem römischen Papste als Ketzer denunziert, wussten
sie dennoch diesen Punkt als ein besonderes Recht durchzusetzen:
auch die streng römischkatholischen Slaven hatten alle ihre slavische
Messe, und noch in den letzten Jahrzehnten unseres 19. Säculums
gelang es Rom nicht, den Dalmatinern dieses Vorrecht zu entreissen. --
Das Alles bildet jedoch nur die eine Seite slavischer Religiosität, die
äussere (wenn auch nicht äusserliche); die andere ist noch auffallender.
Auch in Russland, dort wo die Bevölkerung den grössten echtslavischen
Prozentsatz aufweist (in Kleinrussland nämlich, in der vorhin genannten
Heimat der schönsten Dichtungen), bekundet sich noch heute durch die
unaufhörliche Sektenbildung ein ähnlich intensives, inneres Religions-
leben wie in England und in Skandinavien. Die Verwandtschaft ist
auffallend. Dagegen existiert in den sog. "lateinischen" Ländern auch
nicht eine Spur davon. In solchen Dingen spiegelt sich die innerste
Seelenbeschaffenheit. Und auch hier handelt es sich um eine dauernde
Eigenschaft, welche trotz aller Blutmischungen in allen Jahrhunderten
sich kundthat. Schon die ungeheuere Mühe, die es kostete, die Slaven
zum Christentum zu bekehren, bezeugt ihre tiefe Religiosität: Italer
und Gallier hat man am leichtesten, Sachsen schon nur mit dem
Schwert, die Slaven erst im Laufe langer Zeiten und durch furcht-
bare Grausamkeiten von dem Glauben ihrer Väter abgebracht.1) Die
berüchtigten Heidenhetzen dauerten ja bis an das Jahrhundert von
Gutenberg. Sehr bezeichnend ist hier wieder das Verhalten jener sehr
echten, physisch noch heute wenig verfälschten Slaven in Bosnien
und der Herzegowina. Früh schon nahm der führende Teil der
Nation die Lehren Bogumil's an (denen der Katharer oder Patarener
verwandt), d. h. sie verwarfen alles Jüdische im Christentum und
behielten neben dem Neuen Testament einzig die Propheten und die
Psalmen, sie erkannten auch keine Sakramente und vor Allem keinerlei

1) Wie schwer es wurde, die Wenden und die Polen zum Christentum zu
bekehren, kann man im ersten Abschnitt des sechsten Bandes von Neander's All-
gemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche
lesen.

Die Erben.
die Thatsache, dass unter allen Christen einzig die Slaven (mit Aus-
nahme der dem deutschen Einfluss unterlegenen Tschechen) niemals
den Gottesdienst in einer anderen als ihrer heimatlichen Sprache ge-
duldet haben! Schon die grossen »Slavenapostel«, Cyrillus und
Methodius, hatten ihre Not hiermit; von den deutschen Prälaten, die
an den »drei heiligen Sprachen« (griechisch, lateinisch, hebräisch) fest-
hielten, verfolgt, dem römischen Papste als Ketzer denunziert, wussten
sie dennoch diesen Punkt als ein besonderes Recht durchzusetzen:
auch die streng römischkatholischen Slaven hatten alle ihre slavische
Messe, und noch in den letzten Jahrzehnten unseres 19. Säculums
gelang es Rom nicht, den Dalmatinern dieses Vorrecht zu entreissen. —
Das Alles bildet jedoch nur die eine Seite slavischer Religiosität, die
äussere (wenn auch nicht äusserliche); die andere ist noch auffallender.
Auch in Russland, dort wo die Bevölkerung den grössten echtslavischen
Prozentsatz aufweist (in Kleinrussland nämlich, in der vorhin genannten
Heimat der schönsten Dichtungen), bekundet sich noch heute durch die
unaufhörliche Sektenbildung ein ähnlich intensives, inneres Religions-
leben wie in England und in Skandinavien. Die Verwandtschaft ist
auffallend. Dagegen existiert in den sog. »lateinischen« Ländern auch
nicht eine Spur davon. In solchen Dingen spiegelt sich die innerste
Seelenbeschaffenheit. Und auch hier handelt es sich um eine dauernde
Eigenschaft, welche trotz aller Blutmischungen in allen Jahrhunderten
sich kundthat. Schon die ungeheuere Mühe, die es kostete, die Slaven
zum Christentum zu bekehren, bezeugt ihre tiefe Religiosität: Italer
und Gallier hat man am leichtesten, Sachsen schon nur mit dem
Schwert, die Slaven erst im Laufe langer Zeiten und durch furcht-
bare Grausamkeiten von dem Glauben ihrer Väter abgebracht.1) Die
berüchtigten Heidenhetzen dauerten ja bis an das Jahrhundert von
Gutenberg. Sehr bezeichnend ist hier wieder das Verhalten jener sehr
echten, physisch noch heute wenig verfälschten Slaven in Bosnien
und der Herzegowina. Früh schon nahm der führende Teil der
Nation die Lehren Bogumil’s an (denen der Katharer oder Patarener
verwandt), d. h. sie verwarfen alles Jüdische im Christentum und
behielten neben dem Neuen Testament einzig die Propheten und die
Psalmen, sie erkannten auch keine Sakramente und vor Allem keinerlei

1) Wie schwer es wurde, die Wenden und die Polen zum Christentum zu
bekehren, kann man im ersten Abschnitt des sechsten Bandes von Neander’s All-
gemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche
lesen.
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[476/0499] Die Erben. die Thatsache, dass unter allen Christen einzig die Slaven (mit Aus- nahme der dem deutschen Einfluss unterlegenen Tschechen) niemals den Gottesdienst in einer anderen als ihrer heimatlichen Sprache ge- duldet haben! Schon die grossen »Slavenapostel«, Cyrillus und Methodius, hatten ihre Not hiermit; von den deutschen Prälaten, die an den »drei heiligen Sprachen« (griechisch, lateinisch, hebräisch) fest- hielten, verfolgt, dem römischen Papste als Ketzer denunziert, wussten sie dennoch diesen Punkt als ein besonderes Recht durchzusetzen: auch die streng römischkatholischen Slaven hatten alle ihre slavische Messe, und noch in den letzten Jahrzehnten unseres 19. Säculums gelang es Rom nicht, den Dalmatinern dieses Vorrecht zu entreissen. — Das Alles bildet jedoch nur die eine Seite slavischer Religiosität, die äussere (wenn auch nicht äusserliche); die andere ist noch auffallender. Auch in Russland, dort wo die Bevölkerung den grössten echtslavischen Prozentsatz aufweist (in Kleinrussland nämlich, in der vorhin genannten Heimat der schönsten Dichtungen), bekundet sich noch heute durch die unaufhörliche Sektenbildung ein ähnlich intensives, inneres Religions- leben wie in England und in Skandinavien. Die Verwandtschaft ist auffallend. Dagegen existiert in den sog. »lateinischen« Ländern auch nicht eine Spur davon. In solchen Dingen spiegelt sich die innerste Seelenbeschaffenheit. Und auch hier handelt es sich um eine dauernde Eigenschaft, welche trotz aller Blutmischungen in allen Jahrhunderten sich kundthat. Schon die ungeheuere Mühe, die es kostete, die Slaven zum Christentum zu bekehren, bezeugt ihre tiefe Religiosität: Italer und Gallier hat man am leichtesten, Sachsen schon nur mit dem Schwert, die Slaven erst im Laufe langer Zeiten und durch furcht- bare Grausamkeiten von dem Glauben ihrer Väter abgebracht. 1) Die berüchtigten Heidenhetzen dauerten ja bis an das Jahrhundert von Gutenberg. Sehr bezeichnend ist hier wieder das Verhalten jener sehr echten, physisch noch heute wenig verfälschten Slaven in Bosnien und der Herzegowina. Früh schon nahm der führende Teil der Nation die Lehren Bogumil’s an (denen der Katharer oder Patarener verwandt), d. h. sie verwarfen alles Jüdische im Christentum und behielten neben dem Neuen Testament einzig die Propheten und die Psalmen, sie erkannten auch keine Sakramente und vor Allem keinerlei 1) Wie schwer es wurde, die Wenden und die Polen zum Christentum zu bekehren, kann man im ersten Abschnitt des sechsten Bandes von Neander’s All- gemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche lesen.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/499>, abgerufen am 14.09.2024.