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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Rom, in Griechenland, in Ägypten, eine Erscheinung unter anderen
des nationalen Lebens gewesen, und das Priestertum ein Glied in der
staatlichen Organisation; Hesekiel lehrte: nein, Israel ist nicht auf der
Welt, um wie andere Völker zu schaffen und zu kriegen, zu arbeiten
und zu ersinnen, sondern um Jahve's Heiligtum zu sein; beobachtet
es Jahve's Gesetz, so wird ihm Alles geschenkt werden; an Stelle des
Staates sollte nunmehr die Herrschaft des religiösen Gesetzes treten, die
sogenannte Nomokratie. Selbst das Deuteronomium hatte noch zuge-
geben, dass andere Völker andere Götter hätten; Amos, als vereinzelter
grosser Geist, hatte einen kosmischen Gott geahnt, der etwas mehr sei
als der blosse politische deus ex machina eines besonderen Völkchens:
Hesekiel verband nun die beiden Vorstellungen und schmiedete daraus
den Jahve des Judentums, den Monotheismus in grässlich verzerrter
Gestalt. Jawohl, Jahve ist der alleinige und allmächtige Gott, doch
lebt er einzig seinem eigenen Ruhme; mitleidig gnädig gegen die
Juden (denn durch sie will er seinen Ruhm verkünden und seine
Macht zeigen unter der einen Bedingung, dass sie sich einzig und
allein seinem Dienste widmen), doch allen anderen Völkern der Erde
ein grausamer Gott, der sie "mit Pestilenz und Blut" heimsuchen
will, "damit er herrlich, heilig und bekannt werde"! Alle diese anderen
Völker sollen vernichtet werden und Jahve befiehlt seinem Propheten, die
Vögel und die Tiere der Welt zusammenzurufen, "auf dass sie das Fleisch
der Starken fressen und das Blut der Fürsten saufen sollen". Nebenbei
enthält das Buch den Entwurf zu der Organisation einer Hierokratie
und zu einer neuen Kultuszwangsjacke: lauter Dinge, über die ein im
Exil lebender Priester sich der ungezügelten Phantasie hingeben konnte,
was unmöglich gewesen wäre, hätte er mitten in einem nationalen
Leben gestanden, wo jede neue Verordnung gegen Sitte und Her-
kommen anzukämpfen gehabt hätte. Doch nicht lange nach Hesekiel's
Tod eroberte der edle Perserkönig Cyrus die babylonischen Gebiete;
mit der Naivetät des wenig gewitzigten Indoeuropäers gestattete er
die Rückkehr der Juden und gewährte ihnen Unterstützung für den
Wiederaufbau ihres Tempels; unter dem Schutz arischer Toleranz wurde
der Herd aufgerichtet, aus dem semitische Intoleranz jahrtausendelang,
allem Edelsten zum Fluche, dem Christentum zu ewiger Schmach,
sich wie ein Gift über die Erde ergiessen sollte. Wer auf die Frage:
wer ist der Jude? eine klare Antwort geben will, vergesse das Eine
nie: dass der Jude, dank dem Hesekiel, der Lehrmeister aller Intoleranz,
alles Glaubensfanatismus, alles Mordens um der Religion willen ist,

Die Erben.
Rom, in Griechenland, in Ägypten, eine Erscheinung unter anderen
des nationalen Lebens gewesen, und das Priestertum ein Glied in der
staatlichen Organisation; Hesekiel lehrte: nein, Israel ist nicht auf der
Welt, um wie andere Völker zu schaffen und zu kriegen, zu arbeiten
und zu ersinnen, sondern um Jahve’s Heiligtum zu sein; beobachtet
es Jahve’s Gesetz, so wird ihm Alles geschenkt werden; an Stelle des
Staates sollte nunmehr die Herrschaft des religiösen Gesetzes treten, die
sogenannte Nomokratie. Selbst das Deuteronomium hatte noch zuge-
geben, dass andere Völker andere Götter hätten; Amos, als vereinzelter
grosser Geist, hatte einen kosmischen Gott geahnt, der etwas mehr sei
als der blosse politische deus ex machina eines besonderen Völkchens:
Hesekiel verband nun die beiden Vorstellungen und schmiedete daraus
den Jahve des Judentums, den Monotheismus in grässlich verzerrter
Gestalt. Jawohl, Jahve ist der alleinige und allmächtige Gott, doch
lebt er einzig seinem eigenen Ruhme; mitleidig gnädig gegen die
Juden (denn durch sie will er seinen Ruhm verkünden und seine
Macht zeigen unter der einen Bedingung, dass sie sich einzig und
allein seinem Dienste widmen), doch allen anderen Völkern der Erde
ein grausamer Gott, der sie »mit Pestilenz und Blut« heimsuchen
will, »damit er herrlich, heilig und bekannt werde«! Alle diese anderen
Völker sollen vernichtet werden und Jahve befiehlt seinem Propheten, die
Vögel und die Tiere der Welt zusammenzurufen, »auf dass sie das Fleisch
der Starken fressen und das Blut der Fürsten saufen sollen«. Nebenbei
enthält das Buch den Entwurf zu der Organisation einer Hierokratie
und zu einer neuen Kultuszwangsjacke: lauter Dinge, über die ein im
Exil lebender Priester sich der ungezügelten Phantasie hingeben konnte,
was unmöglich gewesen wäre, hätte er mitten in einem nationalen
Leben gestanden, wo jede neue Verordnung gegen Sitte und Her-
kommen anzukämpfen gehabt hätte. Doch nicht lange nach Hesekiel’s
Tod eroberte der edle Perserkönig Cyrus die babylonischen Gebiete;
mit der Naivetät des wenig gewitzigten Indoeuropäers gestattete er
die Rückkehr der Juden und gewährte ihnen Unterstützung für den
Wiederaufbau ihres Tempels; unter dem Schutz arischer Toleranz wurde
der Herd aufgerichtet, aus dem semitische Intoleranz jahrtausendelang,
allem Edelsten zum Fluche, dem Christentum zu ewiger Schmach,
sich wie ein Gift über die Erde ergiessen sollte. Wer auf die Frage:
wer ist der Jude? eine klare Antwort geben will, vergesse das Eine
nie: dass der Jude, dank dem Hesekiel, der Lehrmeister aller Intoleranz,
alles Glaubensfanatismus, alles Mordens um der Religion willen ist,

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[428/0451] Die Erben. Rom, in Griechenland, in Ägypten, eine Erscheinung unter anderen des nationalen Lebens gewesen, und das Priestertum ein Glied in der staatlichen Organisation; Hesekiel lehrte: nein, Israel ist nicht auf der Welt, um wie andere Völker zu schaffen und zu kriegen, zu arbeiten und zu ersinnen, sondern um Jahve’s Heiligtum zu sein; beobachtet es Jahve’s Gesetz, so wird ihm Alles geschenkt werden; an Stelle des Staates sollte nunmehr die Herrschaft des religiösen Gesetzes treten, die sogenannte Nomokratie. Selbst das Deuteronomium hatte noch zuge- geben, dass andere Völker andere Götter hätten; Amos, als vereinzelter grosser Geist, hatte einen kosmischen Gott geahnt, der etwas mehr sei als der blosse politische deus ex machina eines besonderen Völkchens: Hesekiel verband nun die beiden Vorstellungen und schmiedete daraus den Jahve des Judentums, den Monotheismus in grässlich verzerrter Gestalt. Jawohl, Jahve ist der alleinige und allmächtige Gott, doch lebt er einzig seinem eigenen Ruhme; mitleidig gnädig gegen die Juden (denn durch sie will er seinen Ruhm verkünden und seine Macht zeigen unter der einen Bedingung, dass sie sich einzig und allein seinem Dienste widmen), doch allen anderen Völkern der Erde ein grausamer Gott, der sie »mit Pestilenz und Blut« heimsuchen will, »damit er herrlich, heilig und bekannt werde«! Alle diese anderen Völker sollen vernichtet werden und Jahve befiehlt seinem Propheten, die Vögel und die Tiere der Welt zusammenzurufen, »auf dass sie das Fleisch der Starken fressen und das Blut der Fürsten saufen sollen«. Nebenbei enthält das Buch den Entwurf zu der Organisation einer Hierokratie und zu einer neuen Kultuszwangsjacke: lauter Dinge, über die ein im Exil lebender Priester sich der ungezügelten Phantasie hingeben konnte, was unmöglich gewesen wäre, hätte er mitten in einem nationalen Leben gestanden, wo jede neue Verordnung gegen Sitte und Her- kommen anzukämpfen gehabt hätte. Doch nicht lange nach Hesekiel’s Tod eroberte der edle Perserkönig Cyrus die babylonischen Gebiete; mit der Naivetät des wenig gewitzigten Indoeuropäers gestattete er die Rückkehr der Juden und gewährte ihnen Unterstützung für den Wiederaufbau ihres Tempels; unter dem Schutz arischer Toleranz wurde der Herd aufgerichtet, aus dem semitische Intoleranz jahrtausendelang, allem Edelsten zum Fluche, dem Christentum zu ewiger Schmach, sich wie ein Gift über die Erde ergiessen sollte. Wer auf die Frage: wer ist der Jude? eine klare Antwort geben will, vergesse das Eine nie: dass der Jude, dank dem Hesekiel, der Lehrmeister aller Intoleranz, alles Glaubensfanatismus, alles Mordens um der Religion willen ist,

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/451>, abgerufen am 22.11.2024.