Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erben. Maroccos ihre Genealogie bis zu germanischen Ahnen zurückverfolgenkönnen; Harun-al-Raschid's Regierung ist nur deswegen ein Glanz- punkt inmitten einer so traurigen Geschichte, weil die rein persische Familie der Barmekiden (welche der iranischen Religion des Zarathustra treu blieb),1) als civilisierendes und kulturelles Element dem Kalifen zur Seite steht. Kein Einziger der stets sogenannten "semitischen Kulturstaaten" des Altertums ist rein semitisch, kein einziger: weder der babylonische, noch der assyrische, noch der phönicische. Die Geschichte bezeugt es und die Anthropologie bestätigt es. Noch immer hören wir "Wunder und wilde Mär" über den reichen Segen, den wir dieser angeblich semitischen Kulturarbeit verdanken sollen; doch bei genauerem Zusehen finden wir den echten Semiten immer und überall dem wahrhaft schöpferischen Element nur "auf- gepfropft" (wie Wellhausen von den Israeliten sagte), und es ist in Folge dessen recht schwer zu entwirren, wie viel und was im Besonderen dem Semiten als solchem zuzuschreiben ist, was dagegen seinem Wirt.2) Heute weiss man zum Beispiel, dass die Semiten die 1) Renan: L'islamisme et la science (Discours et Conferences, 3e ed, p. 382). 2) Siehe Jhering's anregende, aber allerdings hochphantastische Vorgeschichte
der Indoeuropäer, wo die gesamte babylonische Kultur, trotzdem der Verfasser selber zugiebt, die Semiten hätten sie "überkommen", trotzdem er uns die Sumero- Akkadier als lebendige Kraft noch in späten Zeiten am Werke zeigt (S. 133, 243 u. s. w.), einfach als "semitische Kultur" bezeichnet wird! Ähnlich von Luschan in dem erwähnten Vortrag, wo er sich bemüssigt fühlt, am Schlusse in die Posaune zu stossen zu Ehren der "Semiten", in demselben Vortrag, in welchem er soeben nachgewiesen hat, die berühmtesten semitischen Völker ent- hielten nur wenig semitisches Blut ... o Logik der Naturforscher! Zum Schluss tischt er noch die alte Redensart von der "hohen Blüte der arabischen Wissen- schaft in Spanien" auf, wo wir alle in die Schule gegangen seien -- -- -- eine Märe, deren Nichtigkeit kein geringerer als Ernest Renan schon vor langen Jahren aufgedeckt hatte. "Der semitische Geist", schreibt dieser, "ist von Hause aus antiphilosophisch und antiwissenschaftlich. ... Man redet viel von einer arabischen Wissenschaft und einer arabischen Philosophie, und allerdings, die Araber waren während einem oder zwei Jahrhunderte unsere Lehrmeister; doch geschah das nur, weil die griechischen Originalschriften verschüttet lagen. Diese ganze arabische Wissenschaft und Philosophie war weiter nichts, als eine arm- selige Verdolmetschung hellenischen Wissens und Denkens. Sobald das authentische Griechenland aus dem Schatten hervortritt, verfallen diese jämmerlichen Produkte in Nichts, und nicht ohne Grund unternehmen alle Gelehrten der Renaissance einen wahren Kreuzzug gegen sie. Übrigens, näher betrachtet, war selbst diese also beschaffene, arabische Wissenschaft in gar keiner Beziehung arabisch. Nicht allein war ihre Grundlage rein griechisch, sondern unter denen, welche sich Die Erben. Maroccos ihre Genealogie bis zu germanischen Ahnen zurückverfolgenkönnen; Harun-al-Raschid’s Regierung ist nur deswegen ein Glanz- punkt inmitten einer so traurigen Geschichte, weil die rein persische Familie der Barmekiden (welche der iranischen Religion des Zarathustra treu blieb),1) als civilisierendes und kulturelles Element dem Kalifen zur Seite steht. Kein Einziger der stets sogenannten »semitischen Kulturstaaten« des Altertums ist rein semitisch, kein einziger: weder der babylonische, noch der assyrische, noch der phönicische. Die Geschichte bezeugt es und die Anthropologie bestätigt es. Noch immer hören wir »Wunder und wilde Mär« über den reichen Segen, den wir dieser angeblich semitischen Kulturarbeit verdanken sollen; doch bei genauerem Zusehen finden wir den echten Semiten immer und überall dem wahrhaft schöpferischen Element nur »auf- gepfropft« (wie Wellhausen von den Israeliten sagte), und es ist in Folge dessen recht schwer zu entwirren, wie viel und was im Besonderen dem Semiten als solchem zuzuschreiben ist, was dagegen seinem Wirt.2) Heute weiss man zum Beispiel, dass die Semiten die 1) Renan: L’islamisme et la science (Discours et Conférences, 3e éd, p. 382). 2) Siehe Jhering’s anregende, aber allerdings hochphantastische Vorgeschichte
der Indoeuropäer, wo die gesamte babylonische Kultur, trotzdem der Verfasser selber zugiebt, die Semiten hätten sie »überkommen«, trotzdem er uns die Sumero- Akkadier als lebendige Kraft noch in späten Zeiten am Werke zeigt (S. 133, 243 u. s. w.), einfach als »semitische Kultur« bezeichnet wird! Ähnlich von Luschan in dem erwähnten Vortrag, wo er sich bemüssigt fühlt, am Schlusse in die Posaune zu stossen zu Ehren der »Semiten«, in demselben Vortrag, in welchem er soeben nachgewiesen hat, die berühmtesten semitischen Völker ent- hielten nur wenig semitisches Blut … o Logik der Naturforscher! Zum Schluss tischt er noch die alte Redensart von der »hohen Blüte der arabischen Wissen- schaft in Spanien« auf, wo wir alle in die Schule gegangen seien — — — eine Märe, deren Nichtigkeit kein geringerer als Ernest Renan schon vor langen Jahren aufgedeckt hatte. »Der semitische Geist«, schreibt dieser, »ist von Hause aus antiphilosophisch und antiwissenschaftlich. … Man redet viel von einer arabischen Wissenschaft und einer arabischen Philosophie, und allerdings, die Araber waren während einem oder zwei Jahrhunderte unsere Lehrmeister; doch geschah das nur, weil die griechischen Originalschriften verschüttet lagen. Diese ganze arabische Wissenschaft und Philosophie war weiter nichts, als eine arm- selige Verdolmetschung hellenischen Wissens und Denkens. Sobald das authentische Griechenland aus dem Schatten hervortritt, verfallen diese jämmerlichen Produkte in Nichts, und nicht ohne Grund unternehmen alle Gelehrten der Renaissance einen wahren Kreuzzug gegen sie. 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Die Erben.
Maroccos ihre Genealogie bis zu germanischen Ahnen zurückverfolgen
können; Harun-al-Raschid’s Regierung ist nur deswegen ein Glanz-
punkt inmitten einer so traurigen Geschichte, weil die rein persische
Familie der Barmekiden (welche der iranischen Religion des Zarathustra
treu blieb), 1) als civilisierendes und kulturelles Element dem Kalifen
zur Seite steht. Kein Einziger der stets sogenannten »semitischen
Kulturstaaten« des Altertums ist rein semitisch, kein einziger: weder
der babylonische, noch der assyrische, noch der phönicische. Die
Geschichte bezeugt es und die Anthropologie bestätigt es. Noch
immer hören wir »Wunder und wilde Mär« über den reichen
Segen, den wir dieser angeblich semitischen Kulturarbeit verdanken
sollen; doch bei genauerem Zusehen finden wir den echten Semiten
immer und überall dem wahrhaft schöpferischen Element nur »auf-
gepfropft« (wie Wellhausen von den Israeliten sagte), und es ist
in Folge dessen recht schwer zu entwirren, wie viel und was im
Besonderen dem Semiten als solchem zuzuschreiben ist, was dagegen
seinem Wirt. 2) Heute weiss man zum Beispiel, dass die Semiten die
1) Renan: L’islamisme et la science (Discours et Conférences, 3e éd, p. 382).
2) Siehe Jhering’s anregende, aber allerdings hochphantastische Vorgeschichte
der Indoeuropäer, wo die gesamte babylonische Kultur, trotzdem der Verfasser
selber zugiebt, die Semiten hätten sie »überkommen«, trotzdem er uns die Sumero-
Akkadier als lebendige Kraft noch in späten Zeiten am Werke zeigt (S. 133,
243 u. s. w.), einfach als »semitische Kultur« bezeichnet wird! Ähnlich von Luschan
in dem erwähnten Vortrag, wo er sich bemüssigt fühlt, am Schlusse in die
Posaune zu stossen zu Ehren der »Semiten«, in demselben Vortrag, in
welchem er soeben nachgewiesen hat, die berühmtesten semitischen Völker ent-
hielten nur wenig semitisches Blut … o Logik der Naturforscher! Zum Schluss
tischt er noch die alte Redensart von der »hohen Blüte der arabischen Wissen-
schaft in Spanien« auf, wo wir alle in die Schule gegangen seien — — — eine
Märe, deren Nichtigkeit kein geringerer als Ernest Renan schon vor langen Jahren
aufgedeckt hatte. »Der semitische Geist«, schreibt dieser, »ist von Hause aus
antiphilosophisch und antiwissenschaftlich. … Man redet viel von einer
arabischen Wissenschaft und einer arabischen Philosophie, und allerdings, die
Araber waren während einem oder zwei Jahrhunderte unsere Lehrmeister; doch
geschah das nur, weil die griechischen Originalschriften verschüttet lagen. Diese
ganze arabische Wissenschaft und Philosophie war weiter nichts, als eine arm-
selige Verdolmetschung hellenischen Wissens und Denkens. Sobald das authentische
Griechenland aus dem Schatten hervortritt, verfallen diese jämmerlichen Produkte
in Nichts, und nicht ohne Grund unternehmen alle Gelehrten der Renaissance
einen wahren Kreuzzug gegen sie. Übrigens, näher betrachtet, war selbst diese
also beschaffene, arabische Wissenschaft in gar keiner Beziehung arabisch. Nicht
allein war ihre Grundlage rein griechisch, sondern unter denen, welche sich
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