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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
uns nun die physische Beschaffenheit als die Grundlage jeder Ver-
edelung erkennen. Was ist denn auch ein vom Physischen getrenntes
Moralische? was wäre eine Seele ohne Leib? Ich weiss es nicht. Birgt
unser Busen ein unsterbliches Teil, reichen wir Menschen mit unseren
Gedanken bis an ein Transcendentes, welches wir, wie ein Blinder,
mit sehnsuchtsvollen Händen betasten, ohne es je erschauen zu können,
ist unser Herz der Kampfplatz zwischen dem Endlichen und dem
Unendlichen, so muss auch die Beschaffenheit dieses Leibes -- der
Busen, das Hirn, das Herz -- von unermesslicher Tragweite sein. "Wie
auch immer der gewaltige, dunkle Hintergrund der Dinge in Wahr-
heit beschaffen sein mag, der Zugang zu ihm steht uns einzig in eben
diesem unserem armen Leben offen, und also schliesst auch unser
vergängliches Thun diese ernste, tiefe und unentrinnbare Bedeutung
ein", sagt Solon in dem schönen Dialog Heinrich's von Stein.1)
"Einzig in diesem Leben!" Womit leben wir aber, wenn nicht mit
unserem Leibe? Ja, hier brauchen wir gar nicht in irgend ein Jenseits,
(welches Manchem problematisch erscheinen wird) hinüberzuschauen,
wie es Stein's Solon in der angeführten Stelle thut: der Zugang auch
zu diesem irdischen Leben steht uns doch offenbar einzig und allein
durch unsern Leib offen, und dieses Leben wird für uns arm oder
reich, hässlich oder schön, schal oder kostbar sein, je nach der Be-
schaffenheit dieses unseres einzigen allumfassenden Lebensorganes.
Nun habe ich aber oben an Beispielen aus der methodischen Tier-
züchtung, sowie an Beispielen aus der menschlichen Geschichte deut-
lich gemacht, wie Rasse entsteht und progressiv veredelt wird, auch wie
sie anderseits vergeht; was ist nun diese Rasse, wenn nicht ein
Kollektivbegriff für eine Reihe einzelner Leiber? Es ist jedoch kein
willkürlicher Begriff, kein Gedankending, sondern diese Individualitäten
sind durch eine unsichtbare, dabei aber durchaus reelle, auf materiellen
Thatsachen beruhende Macht miteinander verkettet. Freilich besteht
die Rasse aus Individuen; doch das Individuum selbst kann nur
innerhalb bestimmter Bedingungen, welche in dem Wort "Rasse"
zusammengefasst werden, zu der vollen, edelsten Entfaltung seiner
Anlagen gelangen. Zu Grunde liegt ein zwar einfaches Gesetz, das
jedoch nach zwei Seiten zugleich hindeutet. Die gesamte organische
Natur, die vegetabilische sowohl wie die animalische beweist, dass die
Wahl der miteinander Zeugenden von entscheidendstem Einfluss auf

1) Helden und Welt: dramatische Bilder (Chemnitz 1883).

Das Völkerchaos.
uns nun die physische Beschaffenheit als die Grundlage jeder Ver-
edelung erkennen. Was ist denn auch ein vom Physischen getrenntes
Moralische? was wäre eine Seele ohne Leib? Ich weiss es nicht. Birgt
unser Busen ein unsterbliches Teil, reichen wir Menschen mit unseren
Gedanken bis an ein Transcendentes, welches wir, wie ein Blinder,
mit sehnsuchtsvollen Händen betasten, ohne es je erschauen zu können,
ist unser Herz der Kampfplatz zwischen dem Endlichen und dem
Unendlichen, so muss auch die Beschaffenheit dieses Leibes — der
Busen, das Hirn, das Herz — von unermesslicher Tragweite sein. »Wie
auch immer der gewaltige, dunkle Hintergrund der Dinge in Wahr-
heit beschaffen sein mag, der Zugang zu ihm steht uns einzig in eben
diesem unserem armen Leben offen, und also schliesst auch unser
vergängliches Thun diese ernste, tiefe und unentrinnbare Bedeutung
ein«, sagt Solon in dem schönen Dialog Heinrich’s von Stein.1)
»Einzig in diesem Leben!« Womit leben wir aber, wenn nicht mit
unserem Leibe? Ja, hier brauchen wir gar nicht in irgend ein Jenseits,
(welches Manchem problematisch erscheinen wird) hinüberzuschauen,
wie es Stein’s Solon in der angeführten Stelle thut: der Zugang auch
zu diesem irdischen Leben steht uns doch offenbar einzig und allein
durch unsern Leib offen, und dieses Leben wird für uns arm oder
reich, hässlich oder schön, schal oder kostbar sein, je nach der Be-
schaffenheit dieses unseres einzigen allumfassenden Lebensorganes.
Nun habe ich aber oben an Beispielen aus der methodischen Tier-
züchtung, sowie an Beispielen aus der menschlichen Geschichte deut-
lich gemacht, wie Rasse entsteht und progressiv veredelt wird, auch wie
sie anderseits vergeht; was ist nun diese Rasse, wenn nicht ein
Kollektivbegriff für eine Reihe einzelner Leiber? Es ist jedoch kein
willkürlicher Begriff, kein Gedankending, sondern diese Individualitäten
sind durch eine unsichtbare, dabei aber durchaus reelle, auf materiellen
Thatsachen beruhende Macht miteinander verkettet. Freilich besteht
die Rasse aus Individuen; doch das Individuum selbst kann nur
innerhalb bestimmter Bedingungen, welche in dem Wort »Rasse«
zusammengefasst werden, zu der vollen, edelsten Entfaltung seiner
Anlagen gelangen. Zu Grunde liegt ein zwar einfaches Gesetz, das
jedoch nach zwei Seiten zugleich hindeutet. Die gesamte organische
Natur, die vegetabilische sowohl wie die animalische beweist, dass die
Wahl der miteinander Zeugenden von entscheidendstem Einfluss auf

1) Helden und Welt: dramatische Bilder (Chemnitz 1883).
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[311/0334] Das Völkerchaos. uns nun die physische Beschaffenheit als die Grundlage jeder Ver- edelung erkennen. Was ist denn auch ein vom Physischen getrenntes Moralische? was wäre eine Seele ohne Leib? Ich weiss es nicht. Birgt unser Busen ein unsterbliches Teil, reichen wir Menschen mit unseren Gedanken bis an ein Transcendentes, welches wir, wie ein Blinder, mit sehnsuchtsvollen Händen betasten, ohne es je erschauen zu können, ist unser Herz der Kampfplatz zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, so muss auch die Beschaffenheit dieses Leibes — der Busen, das Hirn, das Herz — von unermesslicher Tragweite sein. »Wie auch immer der gewaltige, dunkle Hintergrund der Dinge in Wahr- heit beschaffen sein mag, der Zugang zu ihm steht uns einzig in eben diesem unserem armen Leben offen, und also schliesst auch unser vergängliches Thun diese ernste, tiefe und unentrinnbare Bedeutung ein«, sagt Solon in dem schönen Dialog Heinrich’s von Stein. 1) »Einzig in diesem Leben!« Womit leben wir aber, wenn nicht mit unserem Leibe? Ja, hier brauchen wir gar nicht in irgend ein Jenseits, (welches Manchem problematisch erscheinen wird) hinüberzuschauen, wie es Stein’s Solon in der angeführten Stelle thut: der Zugang auch zu diesem irdischen Leben steht uns doch offenbar einzig und allein durch unsern Leib offen, und dieses Leben wird für uns arm oder reich, hässlich oder schön, schal oder kostbar sein, je nach der Be- schaffenheit dieses unseres einzigen allumfassenden Lebensorganes. Nun habe ich aber oben an Beispielen aus der methodischen Tier- züchtung, sowie an Beispielen aus der menschlichen Geschichte deut- lich gemacht, wie Rasse entsteht und progressiv veredelt wird, auch wie sie anderseits vergeht; was ist nun diese Rasse, wenn nicht ein Kollektivbegriff für eine Reihe einzelner Leiber? Es ist jedoch kein willkürlicher Begriff, kein Gedankending, sondern diese Individualitäten sind durch eine unsichtbare, dabei aber durchaus reelle, auf materiellen Thatsachen beruhende Macht miteinander verkettet. Freilich besteht die Rasse aus Individuen; doch das Individuum selbst kann nur innerhalb bestimmter Bedingungen, welche in dem Wort »Rasse« zusammengefasst werden, zu der vollen, edelsten Entfaltung seiner Anlagen gelangen. Zu Grunde liegt ein zwar einfaches Gesetz, das jedoch nach zwei Seiten zugleich hindeutet. Die gesamte organische Natur, die vegetabilische sowohl wie die animalische beweist, dass die Wahl der miteinander Zeugenden von entscheidendstem Einfluss auf 1) Helden und Welt: dramatische Bilder (Chemnitz 1883).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/334>, abgerufen am 26.11.2024.