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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
Vermischung zweier sehr fremdartiger Wesen nur dann zur Bildung
einer edlen Rasse führt, wenn sie höchst selten stattfindet und von
strenger Inzucht gefolgt wird (wie beim englischen Vollblutpferd und
beim Neufundländer), dagegen sonst Vermischung nur, wo sie zwischen
nahen Verwandten, zwischen Angehörigen desselben Grundtypus vor-
kommt, von Erfolg ist. -- Auch hier wiederum kann Keiner, der die
ausführlichen Ergebnisse der Tierzucht kennt, im Zweifel sein, dass
die Menschengeschichte vor uns und um uns herum demselben Gesetze
gehorcht. Natürlich tritt es hier zunächst nicht mit der gleichen
Deutlichkeit auf wie dort; wir sind nicht in der Lage, eine Anzahl
Menschen einzuhegen und durch etliche Generationen hindurch Ver-
suche mit ihnen anzustellen; ausserdem, was dem Pferde die Schnellig-
keit, was dem Hunde die merkwürdig plastisch bewegliche Gestalt
ist, das ist dem Menschen der Geist: hier drängt bei ihm alle Lebens-
kraft hin, hier konzentriert sich darum seine Variabilität, und gerade
diese Unterschiede in Charakter und Intelligenz sind dem Auge nicht
sichtbar.1) Doch hat die Geschichte Experimente im grossen Stil
durchgeführt, und Jeder, dessen Auge nicht an Einzelheiten kleben
bleibt, sondern grosse Komplexe zu übersehen gelernt hat, Jeder, der
das Seelenleben der Völker verfolgt, wird Bestätigungen für das hier ge-
nannte Gesetz in Hülle und Fülle entdecken. Entstehen z. B. die über-
schwänglich begabte attische und die unerhört kluge und starke römische
Rasse durch die Vermengung mehrerer Stämme, so sind dies mit-
einander nahe verwandte und edle, reine Stämme, und diese Elemente
werden durch die Staatenbildung dann Jahrhunderte lang von aussen
abgeschlossen, so dass sie Zeit haben, sich zu einem neuen festen Ge-
bilde zu amalgamieren; als dagegen diese Staaten jedem Fremden auf-
gerissen werden, geht die Rasse zu Grunde, und zwar in Athen langsam,
weil dort in Folge der politischen Lage nichts Besonderes zu holen
war, die Vermengung folglich nur nach und nach und dann noch

1) Nur darf nicht übersehen werden, dass wenn man in der Lage wäre,
künstliche Menschenzüchtungen anzustellen, man sicherlich auch körperlich die
ungeheuersten Unterschiede erzielen würde in Bezug auf Grösse, Behaarung,
Proportionen u. s. w. Man stelle nur einen Zwerg aus den Urwäldern am
mittleren Congo, wenig über einen Meter hoch, den ganzen Körper mit Haarflaum
bedeckt, neben einen preussischen Gardegrenadier: man wird sehen, welche
plastische Möglichkeiten in der menschlichen Körperbildung schlummern. -- Was
den Hund anbelangt, so ist noch daran zu erinnern, dass seine verschiedenen Rassen
"sicherlich von mehr als einer wilden Stammart herzuleiten sind". (Claus: Zoo-
logie
, 4. Aufl. II, 458); daher seine fast beängstigende Polymorphie.

Das Völkerchaos.
Vermischung zweier sehr fremdartiger Wesen nur dann zur Bildung
einer edlen Rasse führt, wenn sie höchst selten stattfindet und von
strenger Inzucht gefolgt wird (wie beim englischen Vollblutpferd und
beim Neufundländer), dagegen sonst Vermischung nur, wo sie zwischen
nahen Verwandten, zwischen Angehörigen desselben Grundtypus vor-
kommt, von Erfolg ist. — Auch hier wiederum kann Keiner, der die
ausführlichen Ergebnisse der Tierzucht kennt, im Zweifel sein, dass
die Menschengeschichte vor uns und um uns herum demselben Gesetze
gehorcht. Natürlich tritt es hier zunächst nicht mit der gleichen
Deutlichkeit auf wie dort; wir sind nicht in der Lage, eine Anzahl
Menschen einzuhegen und durch etliche Generationen hindurch Ver-
suche mit ihnen anzustellen; ausserdem, was dem Pferde die Schnellig-
keit, was dem Hunde die merkwürdig plastisch bewegliche Gestalt
ist, das ist dem Menschen der Geist: hier drängt bei ihm alle Lebens-
kraft hin, hier konzentriert sich darum seine Variabilität, und gerade
diese Unterschiede in Charakter und Intelligenz sind dem Auge nicht
sichtbar.1) Doch hat die Geschichte Experimente im grossen Stil
durchgeführt, und Jeder, dessen Auge nicht an Einzelheiten kleben
bleibt, sondern grosse Komplexe zu übersehen gelernt hat, Jeder, der
das Seelenleben der Völker verfolgt, wird Bestätigungen für das hier ge-
nannte Gesetz in Hülle und Fülle entdecken. Entstehen z. B. die über-
schwänglich begabte attische und die unerhört kluge und starke römische
Rasse durch die Vermengung mehrerer Stämme, so sind dies mit-
einander nahe verwandte und edle, reine Stämme, und diese Elemente
werden durch die Staatenbildung dann Jahrhunderte lang von aussen
abgeschlossen, so dass sie Zeit haben, sich zu einem neuen festen Ge-
bilde zu amalgamieren; als dagegen diese Staaten jedem Fremden auf-
gerissen werden, geht die Rasse zu Grunde, und zwar in Athen langsam,
weil dort in Folge der politischen Lage nichts Besonderes zu holen
war, die Vermengung folglich nur nach und nach und dann noch

1) Nur darf nicht übersehen werden, dass wenn man in der Lage wäre,
künstliche Menschenzüchtungen anzustellen, man sicherlich auch körperlich die
ungeheuersten Unterschiede erzielen würde in Bezug auf Grösse, Behaarung,
Proportionen u. s. w. Man stelle nur einen Zwerg aus den Urwäldern am
mittleren Congo, wenig über einen Meter hoch, den ganzen Körper mit Haarflaum
bedeckt, neben einen preussischen Gardegrenadier: man wird sehen, welche
plastische Möglichkeiten in der menschlichen Körperbildung schlummern. — Was
den Hund anbelangt, so ist noch daran zu erinnern, dass seine verschiedenen Rassen
»sicherlich von mehr als einer wilden Stammart herzuleiten sind«. (Claus: Zoo-
logie
, 4. Aufl. II, 458); daher seine fast beängstigende Polymorphie.
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[285/0308] Das Völkerchaos. Vermischung zweier sehr fremdartiger Wesen nur dann zur Bildung einer edlen Rasse führt, wenn sie höchst selten stattfindet und von strenger Inzucht gefolgt wird (wie beim englischen Vollblutpferd und beim Neufundländer), dagegen sonst Vermischung nur, wo sie zwischen nahen Verwandten, zwischen Angehörigen desselben Grundtypus vor- kommt, von Erfolg ist. — Auch hier wiederum kann Keiner, der die ausführlichen Ergebnisse der Tierzucht kennt, im Zweifel sein, dass die Menschengeschichte vor uns und um uns herum demselben Gesetze gehorcht. Natürlich tritt es hier zunächst nicht mit der gleichen Deutlichkeit auf wie dort; wir sind nicht in der Lage, eine Anzahl Menschen einzuhegen und durch etliche Generationen hindurch Ver- suche mit ihnen anzustellen; ausserdem, was dem Pferde die Schnellig- keit, was dem Hunde die merkwürdig plastisch bewegliche Gestalt ist, das ist dem Menschen der Geist: hier drängt bei ihm alle Lebens- kraft hin, hier konzentriert sich darum seine Variabilität, und gerade diese Unterschiede in Charakter und Intelligenz sind dem Auge nicht sichtbar. 1) Doch hat die Geschichte Experimente im grossen Stil durchgeführt, und Jeder, dessen Auge nicht an Einzelheiten kleben bleibt, sondern grosse Komplexe zu übersehen gelernt hat, Jeder, der das Seelenleben der Völker verfolgt, wird Bestätigungen für das hier ge- nannte Gesetz in Hülle und Fülle entdecken. Entstehen z. B. die über- schwänglich begabte attische und die unerhört kluge und starke römische Rasse durch die Vermengung mehrerer Stämme, so sind dies mit- einander nahe verwandte und edle, reine Stämme, und diese Elemente werden durch die Staatenbildung dann Jahrhunderte lang von aussen abgeschlossen, so dass sie Zeit haben, sich zu einem neuen festen Ge- bilde zu amalgamieren; als dagegen diese Staaten jedem Fremden auf- gerissen werden, geht die Rasse zu Grunde, und zwar in Athen langsam, weil dort in Folge der politischen Lage nichts Besonderes zu holen war, die Vermengung folglich nur nach und nach und dann noch 1) Nur darf nicht übersehen werden, dass wenn man in der Lage wäre, künstliche Menschenzüchtungen anzustellen, man sicherlich auch körperlich die ungeheuersten Unterschiede erzielen würde in Bezug auf Grösse, Behaarung, Proportionen u. s. w. Man stelle nur einen Zwerg aus den Urwäldern am mittleren Congo, wenig über einen Meter hoch, den ganzen Körper mit Haarflaum bedeckt, neben einen preussischen Gardegrenadier: man wird sehen, welche plastische Möglichkeiten in der menschlichen Körperbildung schlummern. — Was den Hund anbelangt, so ist noch daran zu erinnern, dass seine verschiedenen Rassen »sicherlich von mehr als einer wilden Stammart herzuleiten sind«. (Claus: Zoo- logie, 4. Aufl. II, 458); daher seine fast beängstigende Polymorphie.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/308>, abgerufen am 28.11.2024.