Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Völkerchaos.
ist ein anderes Wesen als das systematisierte Wissen, ein weit stabileres,
fester gegründetes, umfassenderes; es ist eben der Inbegriff aller
Wirklichkeit, während selbst die präziseste Wissenschaft schon das
verdünnte, verallgemeinerte, nicht mehr unmittelbare Wirkliche dar-
stellt. Ich verstehe hier unter Leben, was man sonst wohl auch
"Natur" nennt, wie wenn zum Beispiel die moderne Medizin lehrt:
durch das Fieber befördert die Natur den Stoffwechsel und verteidigt
den Menschen gegen die Krankheit, die ihn beschlichen hatte. Die
Natur ist eben, was man "selbstwirkend" nennt; ihre Wurzeln reichen
unendlich tiefer hinunter, als bis wohin das Wissen wird jemals
gelangen können. Und so meine ich nun, dass wir, die wir als
denkende, vielwissende, kühn träumende und forschende Wesen, doch
gewiss eben solche integrierende Bestandteile der Natur sind wie alle
anderen Wesen und Dinge und wie unser eigener Leib, mit grosser
Zuversicht uns dieser Natur, diesem Leben anvertrauen dürfen. Wenn
auch die Wissenschaft uns an gar vielen Stellen im Stiche lässt, wenn
sie, wetterwendisch wie ein moderner Parlamentspolitiker, heute ver-
lacht, was sie gestern als ewige Wahrheit lehrte, das darf uns nicht
erschrecken; so viel wir zum Leben brauchen, werden wir schon
erfahren. Überhaupt ist die Wissenschaft eine zwar herrliche, doch
nicht ungefährliche Freundin, sie ist eine grosse Gauklerin und ver-
führt den Geist leicht zu toller Schwärmerei; Wissenschaft und Kunst
sind wie die Rosse an Plato's Seelenwagen, der "gesunde Menschen-
verstand" (um dessen Verlust Professor Virchow klagte) bewährt sich
nicht zum wenigsten darin, dass er die Zügel straff spannt und diesen
edlen Tieren nicht gestattet, mit seinem natürlichen, gesunden Urteil
durchzugehen. Einfach vermöge unserer Eigenschaft als lebendige
Wesen steckt in uns eine unendlich reiche und sichere Fähigkeit,
dort, wo es Not thut, auch ohne Gelehrsamkeit das Richtige zu
treffen. Wer unbefangen und mit lauterem Sinn die Natur befragt --
"die Mütter", wie sie die alten Mythen nannten -- kann sicher sein,
eine Antwort zu erhalten, wie sie eine Mutter ihrem Sohne giebt,
nicht immer logisch untadelhaft, doch wesentlich richtig, verständlich
und auf das Beste des Sohnes mit sicherem Instinkte gerichtet. So
auch in der Frage, was Rasse zu bedeuten habe: eine der wichtigsten,
vielleicht die allerwichtigste Lebensfrage, die an den Menschen heran-
treten kann.

Unmittelbar überzeugend wie nichts anderes ist der Besitz vonBedeutung
von Rasse.

"Rasse" im eigenen Bewusstsein. Wer einer ausgesprochenen,

Das Völkerchaos.
ist ein anderes Wesen als das systematisierte Wissen, ein weit stabileres,
fester gegründetes, umfassenderes; es ist eben der Inbegriff aller
Wirklichkeit, während selbst die präziseste Wissenschaft schon das
verdünnte, verallgemeinerte, nicht mehr unmittelbare Wirkliche dar-
stellt. Ich verstehe hier unter Leben, was man sonst wohl auch
»Natur« nennt, wie wenn zum Beispiel die moderne Medizin lehrt:
durch das Fieber befördert die Natur den Stoffwechsel und verteidigt
den Menschen gegen die Krankheit, die ihn beschlichen hatte. Die
Natur ist eben, was man »selbstwirkend« nennt; ihre Wurzeln reichen
unendlich tiefer hinunter, als bis wohin das Wissen wird jemals
gelangen können. Und so meine ich nun, dass wir, die wir als
denkende, vielwissende, kühn träumende und forschende Wesen, doch
gewiss eben solche integrierende Bestandteile der Natur sind wie alle
anderen Wesen und Dinge und wie unser eigener Leib, mit grosser
Zuversicht uns dieser Natur, diesem Leben anvertrauen dürfen. Wenn
auch die Wissenschaft uns an gar vielen Stellen im Stiche lässt, wenn
sie, wetterwendisch wie ein moderner Parlamentspolitiker, heute ver-
lacht, was sie gestern als ewige Wahrheit lehrte, das darf uns nicht
erschrecken; so viel wir zum Leben brauchen, werden wir schon
erfahren. Überhaupt ist die Wissenschaft eine zwar herrliche, doch
nicht ungefährliche Freundin, sie ist eine grosse Gauklerin und ver-
führt den Geist leicht zu toller Schwärmerei; Wissenschaft und Kunst
sind wie die Rosse an Plato’s Seelenwagen, der »gesunde Menschen-
verstand« (um dessen Verlust Professor Virchow klagte) bewährt sich
nicht zum wenigsten darin, dass er die Zügel straff spannt und diesen
edlen Tieren nicht gestattet, mit seinem natürlichen, gesunden Urteil
durchzugehen. Einfach vermöge unserer Eigenschaft als lebendige
Wesen steckt in uns eine unendlich reiche und sichere Fähigkeit,
dort, wo es Not thut, auch ohne Gelehrsamkeit das Richtige zu
treffen. Wer unbefangen und mit lauterem Sinn die Natur befragt —
»die Mütter«, wie sie die alten Mythen nannten — kann sicher sein,
eine Antwort zu erhalten, wie sie eine Mutter ihrem Sohne giebt,
nicht immer logisch untadelhaft, doch wesentlich richtig, verständlich
und auf das Beste des Sohnes mit sicherem Instinkte gerichtet. So
auch in der Frage, was Rasse zu bedeuten habe: eine der wichtigsten,
vielleicht die allerwichtigste Lebensfrage, die an den Menschen heran-
treten kann.

Unmittelbar überzeugend wie nichts anderes ist der Besitz vonBedeutung
von Rasse.

»Rasse« im eigenen Bewusstsein. Wer einer ausgesprochenen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0294" n="271"/><fw place="top" type="header">Das Völkerchaos.</fw><lb/>
ist ein anderes Wesen als das systematisierte Wissen, ein weit stabileres,<lb/>
fester gegründetes, umfassenderes; es ist eben der Inbegriff aller<lb/>
Wirklichkeit, während selbst die präziseste Wissenschaft schon das<lb/>
verdünnte, verallgemeinerte, nicht mehr unmittelbare Wirkliche dar-<lb/>
stellt. Ich verstehe hier unter Leben, was man sonst wohl auch<lb/>
»Natur« nennt, wie wenn zum Beispiel die moderne Medizin lehrt:<lb/>
durch das Fieber befördert die <hi rendition="#g">Natur</hi> den Stoffwechsel und verteidigt<lb/>
den Menschen gegen die Krankheit, die ihn beschlichen hatte. Die<lb/>
Natur ist eben, was man »selbstwirkend« nennt; ihre Wurzeln reichen<lb/>
unendlich tiefer hinunter, als bis wohin das Wissen wird jemals<lb/>
gelangen können. Und so meine ich nun, dass wir, die wir als<lb/>
denkende, vielwissende, kühn träumende und forschende Wesen, doch<lb/>
gewiss eben solche integrierende Bestandteile der Natur sind wie alle<lb/>
anderen Wesen und Dinge und wie unser eigener Leib, mit grosser<lb/>
Zuversicht uns dieser Natur, diesem Leben anvertrauen dürfen. Wenn<lb/>
auch die Wissenschaft uns an gar vielen Stellen im Stiche lässt, wenn<lb/>
sie, wetterwendisch wie ein moderner Parlamentspolitiker, heute ver-<lb/>
lacht, was sie gestern als ewige Wahrheit lehrte, das darf uns nicht<lb/>
erschrecken; so viel wir zum Leben brauchen, werden wir schon<lb/>
erfahren. Überhaupt ist die Wissenschaft eine zwar herrliche, doch<lb/>
nicht ungefährliche Freundin, sie ist eine grosse Gauklerin und ver-<lb/>
führt den Geist leicht zu toller Schwärmerei; Wissenschaft und Kunst<lb/>
sind wie die Rosse an Plato&#x2019;s Seelenwagen, der »gesunde Menschen-<lb/>
verstand« (um dessen Verlust Professor Virchow klagte) bewährt sich<lb/>
nicht zum wenigsten darin, dass er die Zügel straff spannt und diesen<lb/>
edlen Tieren nicht gestattet, mit seinem natürlichen, gesunden Urteil<lb/>
durchzugehen. Einfach vermöge unserer Eigenschaft als lebendige<lb/>
Wesen steckt in uns eine unendlich reiche und sichere Fähigkeit,<lb/>
dort, wo es Not thut, auch ohne Gelehrsamkeit das Richtige zu<lb/>
treffen. Wer unbefangen und mit lauterem Sinn die Natur befragt &#x2014;<lb/>
»die Mütter«, wie sie die alten Mythen nannten &#x2014; kann sicher sein,<lb/>
eine Antwort zu erhalten, wie sie eine Mutter ihrem Sohne giebt,<lb/>
nicht immer logisch untadelhaft, doch wesentlich richtig, verständlich<lb/>
und auf das Beste des Sohnes mit sicherem Instinkte gerichtet. So<lb/>
auch in der Frage, was <hi rendition="#g">Rasse</hi> zu bedeuten habe: eine der wichtigsten,<lb/>
vielleicht die allerwichtigste Lebensfrage, die an den Menschen heran-<lb/>
treten kann.</p><lb/>
            <p>Unmittelbar überzeugend wie nichts anderes ist der Besitz von<note place="right">Bedeutung<lb/>
von Rasse.</note><lb/>
»Rasse« im eigenen Bewusstsein. Wer einer ausgesprochenen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0294] Das Völkerchaos. ist ein anderes Wesen als das systematisierte Wissen, ein weit stabileres, fester gegründetes, umfassenderes; es ist eben der Inbegriff aller Wirklichkeit, während selbst die präziseste Wissenschaft schon das verdünnte, verallgemeinerte, nicht mehr unmittelbare Wirkliche dar- stellt. Ich verstehe hier unter Leben, was man sonst wohl auch »Natur« nennt, wie wenn zum Beispiel die moderne Medizin lehrt: durch das Fieber befördert die Natur den Stoffwechsel und verteidigt den Menschen gegen die Krankheit, die ihn beschlichen hatte. Die Natur ist eben, was man »selbstwirkend« nennt; ihre Wurzeln reichen unendlich tiefer hinunter, als bis wohin das Wissen wird jemals gelangen können. Und so meine ich nun, dass wir, die wir als denkende, vielwissende, kühn träumende und forschende Wesen, doch gewiss eben solche integrierende Bestandteile der Natur sind wie alle anderen Wesen und Dinge und wie unser eigener Leib, mit grosser Zuversicht uns dieser Natur, diesem Leben anvertrauen dürfen. Wenn auch die Wissenschaft uns an gar vielen Stellen im Stiche lässt, wenn sie, wetterwendisch wie ein moderner Parlamentspolitiker, heute ver- lacht, was sie gestern als ewige Wahrheit lehrte, das darf uns nicht erschrecken; so viel wir zum Leben brauchen, werden wir schon erfahren. Überhaupt ist die Wissenschaft eine zwar herrliche, doch nicht ungefährliche Freundin, sie ist eine grosse Gauklerin und ver- führt den Geist leicht zu toller Schwärmerei; Wissenschaft und Kunst sind wie die Rosse an Plato’s Seelenwagen, der »gesunde Menschen- verstand« (um dessen Verlust Professor Virchow klagte) bewährt sich nicht zum wenigsten darin, dass er die Zügel straff spannt und diesen edlen Tieren nicht gestattet, mit seinem natürlichen, gesunden Urteil durchzugehen. Einfach vermöge unserer Eigenschaft als lebendige Wesen steckt in uns eine unendlich reiche und sichere Fähigkeit, dort, wo es Not thut, auch ohne Gelehrsamkeit das Richtige zu treffen. Wer unbefangen und mit lauterem Sinn die Natur befragt — »die Mütter«, wie sie die alten Mythen nannten — kann sicher sein, eine Antwort zu erhalten, wie sie eine Mutter ihrem Sohne giebt, nicht immer logisch untadelhaft, doch wesentlich richtig, verständlich und auf das Beste des Sohnes mit sicherem Instinkte gerichtet. So auch in der Frage, was Rasse zu bedeuten habe: eine der wichtigsten, vielleicht die allerwichtigste Lebensfrage, die an den Menschen heran- treten kann. Unmittelbar überzeugend wie nichts anderes ist der Besitz von »Rasse« im eigenen Bewusstsein. Wer einer ausgesprochenen, Bedeutung von Rasse.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/294
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/294>, abgerufen am 26.11.2024.