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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
widersprechender Begriffe und falscher Vorstellungen, das sich um die
einfache, durchsichtige Wahrheit geschlungen hat. Nunmehr jedoch
müssen wir tiefer greifen. Die äussere Zusammengehörigkeit ist
weniger wichtig als die innere; jetzt erst langen wir bei der ent-
scheidenden Frage an: inwiefern gehört Christus als moralische
Erscheinung zum Judentum, inwiefern nicht? Um das ein für alle
Mal festzustellen, werden wir eine Reihe wichtiger Unterscheidungen
durchführen müssen, für die ich mir die vollste Aufmerksamkeit des
Lesers erbitte.

Religion.

Ganz allgemein, ja, vielleicht ohne Ausnahme, wird das Ver-
hältnis so dargestellt, als sei Christus der Vollender des Judentums,
das heisst also, der religiösen Ideen der Juden.1) Selbst die orthodoxen
Juden, wenn sie in ihm auch nicht gerade den Vollender verehren
können, sehen doch in ihm einen Seitenast an ihrem Baume und be-
trachten mit Stolz das ganze Christentum als einen Anhang des Juden-
tums. Das ist ein Irrtum, dessen bin ich tief überzeugt; es ist eine
angeerbte Wahnvorstellung, eine von jenen Meinungen, die wir mit
der Muttermilch einsaugen und über die in Folge dessen der Frei-
denkende eben so wenig zur Besinnung kommt wie der orthodox kirchlich
Gesinnte. Gewiss stand Christus in einem unmittelbaren Verhältnis
zum Judentum, und der Einfluss des Judentums zunächst auf die
Gestaltung seiner Persönlichkeit, in noch weit höherem Masse auf
die Entstehung und die Geschichte des Christentums ist ein so grosser,
bestimmter und wesentlicher, dass jeder Versuch, ihn abzuleugnen, zu
Widersinnigkeiten führen müsste; dieser Einfluss ist jedoch
nur zum kleinsten Teil ein religiöser.
Da liegt des Irr-
tums Kern.

Wir sind gewohnt, das jüdische Volk als das religiöse Volk par
excellence
zu betrachten: in Wahrheit ist es ein (im Verhältnis zu
den indoeuropäischen Rassen) religiös durchaus verkümmertes. In
dieser Beziehung hat bei den Juden das stattgefunden, was Darwin
"arrest of development" nennt, eine Verkümmerung der Anlagen, ein
Absterben in der Knospe. Übrigens waren alle Zweige des semitischen

1) Eine rühmliche Ausnahme macht der grosse Rechtslehrer Jhering, der in
seiner Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 300, schreibt: "Dem Boden seines Volkes
war Christi Lehre nicht entsprossen, das Christentum bezeichnet im Gegenteil eine
Überwindung des Judentums, es steckt bereits bei seinem ersten Ursprung
etwas vom Arier in ihm."

Das Erbe der alten Welt.
widersprechender Begriffe und falscher Vorstellungen, das sich um die
einfache, durchsichtige Wahrheit geschlungen hat. Nunmehr jedoch
müssen wir tiefer greifen. Die äussere Zusammengehörigkeit ist
weniger wichtig als die innere; jetzt erst langen wir bei der ent-
scheidenden Frage an: inwiefern gehört Christus als moralische
Erscheinung zum Judentum, inwiefern nicht? Um das ein für alle
Mal festzustellen, werden wir eine Reihe wichtiger Unterscheidungen
durchführen müssen, für die ich mir die vollste Aufmerksamkeit des
Lesers erbitte.

Religion.

Ganz allgemein, ja, vielleicht ohne Ausnahme, wird das Ver-
hältnis so dargestellt, als sei Christus der Vollender des Judentums,
das heisst also, der religiösen Ideen der Juden.1) Selbst die orthodoxen
Juden, wenn sie in ihm auch nicht gerade den Vollender verehren
können, sehen doch in ihm einen Seitenast an ihrem Baume und be-
trachten mit Stolz das ganze Christentum als einen Anhang des Juden-
tums. Das ist ein Irrtum, dessen bin ich tief überzeugt; es ist eine
angeerbte Wahnvorstellung, eine von jenen Meinungen, die wir mit
der Muttermilch einsaugen und über die in Folge dessen der Frei-
denkende eben so wenig zur Besinnung kommt wie der orthodox kirchlich
Gesinnte. Gewiss stand Christus in einem unmittelbaren Verhältnis
zum Judentum, und der Einfluss des Judentums zunächst auf die
Gestaltung seiner Persönlichkeit, in noch weit höherem Masse auf
die Entstehung und die Geschichte des Christentums ist ein so grosser,
bestimmter und wesentlicher, dass jeder Versuch, ihn abzuleugnen, zu
Widersinnigkeiten führen müsste; dieser Einfluss ist jedoch
nur zum kleinsten Teil ein religiöser.
Da liegt des Irr-
tums Kern.

Wir sind gewohnt, das jüdische Volk als das religiöse Volk par
excellence
zu betrachten: in Wahrheit ist es ein (im Verhältnis zu
den indoeuropäischen Rassen) religiös durchaus verkümmertes. In
dieser Beziehung hat bei den Juden das stattgefunden, was Darwin
»arrest of development« nennt, eine Verkümmerung der Anlagen, ein
Absterben in der Knospe. Übrigens waren alle Zweige des semitischen

1) Eine rühmliche Ausnahme macht der grosse Rechtslehrer Jhering, der in
seiner Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 300, schreibt: »Dem Boden seines Volkes
war Christi Lehre nicht entsprossen, das Christentum bezeichnet im Gegenteil eine
Überwindung des Judentums, es steckt bereits bei seinem ersten Ursprung
etwas vom Arier in ihm.«
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[220/0243] Das Erbe der alten Welt. widersprechender Begriffe und falscher Vorstellungen, das sich um die einfache, durchsichtige Wahrheit geschlungen hat. Nunmehr jedoch müssen wir tiefer greifen. Die äussere Zusammengehörigkeit ist weniger wichtig als die innere; jetzt erst langen wir bei der ent- scheidenden Frage an: inwiefern gehört Christus als moralische Erscheinung zum Judentum, inwiefern nicht? Um das ein für alle Mal festzustellen, werden wir eine Reihe wichtiger Unterscheidungen durchführen müssen, für die ich mir die vollste Aufmerksamkeit des Lesers erbitte. Ganz allgemein, ja, vielleicht ohne Ausnahme, wird das Ver- hältnis so dargestellt, als sei Christus der Vollender des Judentums, das heisst also, der religiösen Ideen der Juden. 1) Selbst die orthodoxen Juden, wenn sie in ihm auch nicht gerade den Vollender verehren können, sehen doch in ihm einen Seitenast an ihrem Baume und be- trachten mit Stolz das ganze Christentum als einen Anhang des Juden- tums. Das ist ein Irrtum, dessen bin ich tief überzeugt; es ist eine angeerbte Wahnvorstellung, eine von jenen Meinungen, die wir mit der Muttermilch einsaugen und über die in Folge dessen der Frei- denkende eben so wenig zur Besinnung kommt wie der orthodox kirchlich Gesinnte. Gewiss stand Christus in einem unmittelbaren Verhältnis zum Judentum, und der Einfluss des Judentums zunächst auf die Gestaltung seiner Persönlichkeit, in noch weit höherem Masse auf die Entstehung und die Geschichte des Christentums ist ein so grosser, bestimmter und wesentlicher, dass jeder Versuch, ihn abzuleugnen, zu Widersinnigkeiten führen müsste; dieser Einfluss ist jedoch nur zum kleinsten Teil ein religiöser. Da liegt des Irr- tums Kern. Wir sind gewohnt, das jüdische Volk als das religiöse Volk par excellence zu betrachten: in Wahrheit ist es ein (im Verhältnis zu den indoeuropäischen Rassen) religiös durchaus verkümmertes. In dieser Beziehung hat bei den Juden das stattgefunden, was Darwin »arrest of development« nennt, eine Verkümmerung der Anlagen, ein Absterben in der Knospe. Übrigens waren alle Zweige des semitischen 1) Eine rühmliche Ausnahme macht der grosse Rechtslehrer Jhering, der in seiner Vorgeschichte der Indoeuropäer, S. 300, schreibt: »Dem Boden seines Volkes war Christi Lehre nicht entsprossen, das Christentum bezeichnet im Gegenteil eine Überwindung des Judentums, es steckt bereits bei seinem ersten Ursprung etwas vom Arier in ihm.«

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/243>, abgerufen am 24.11.2024.