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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erscheinung Christi.
Gegenden fremde Stämme zur Ansiedlung nach Palästina übergeführt.
Die Gelehrten vermuten freilich (ohne Gewähr dafür geben zu können),
dass ein bedeutender Bruchteil der früheren gemischt-israelitischen Be-
völkerung im Lande verblieben war; jedenfalls hielt sich aber dieser Rest
nicht von den Fremden getrennt, sondern ging in ihre gemischte Volksart
auf.1) Das Schicksal dieser Länder war also ein ganz anderes als das Judäas.
Denn als später auch die Juden weggeführt wurden, blieb ihr Land
sozusagen leer, nämlich nur von wenigen, dazu jüdischen Bauern be-
wohnt, so dass bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangen-
schaft, in welcher sie ausserdem ihre Stammeseinheit bewahrt hatten,
die Juden diese Reinheit unschwer auch weiter aufrecht erhalten
konnten. Galiläa dagegen und die angrenzenden Länder waren, wie
gesagt, von den Assyriern systematisch kolonisiert worden und,
wie es nach dem biblischen Berichte scheint, aus sehr verschiedenen
Teilen des riesigen Reiches, unter anderm aus dem nördlichen ge-
birgigen Syrien. In den Jahrhunderten vor Christi Geburt sollen nun
ausserdem viele Phönicier und auch viele Griechen eingewandert sein.2)
Es ist nach dieser letzten Thatsache wahrscheinlich, dass auch rein-
arisches Blut dorthin verpflanzt wurde; sicher ist aber, dass ein
kunterbuntes Durcheinander der verschiedensten Rassen stattfand, und
dass die Ausländer sich am zahlreichsten in dem zugänglicheren und
dazu fruchtbareren Galiläa niedergelassen haben werden. Das alte
Testament selbst erzählt mit bestrickender Naivetät, wie diese Fremden
ursprünglich dazu kamen, den Kultus des Jahve kennen zu lernen
(II Kön. XVII, 24 fg.): in dem entvölkerten Lande vermehrten sich
die Raubtiere; man hielt diese Plage für eine Rache des vernach-
lässigten "Landesgottes" (Vers 26); es war aber Niemad mehr da, der
gewusst hätte, wie dieser verehrt werden wolle; und so sandten die
Kolonisten zum König von Assyrien und baten sich einen israelitischen
Priester aus der Gefangenschaft aus, und dieser kam, und "lehrte sie
die Weise des Landesgottes". Auf diese Art wurden die Bewohner
des nördlichen Palästina, von Samaria ab, Juden dem Glauben nach,
auch diejenigen unter ihnen, die keinen Tropfen israelitischen Blutes
in den Adern hatten. -- In späteren Zeiten mögen sich allerdings

1) Wie sehr "der unterscheidende Charakter der israelitischen Nation ver-
loren war" berichtet Robertson Smith: The prophets of Israel (1895), p. 153.
2) Albert Reville: Jesus de Nazareth I, 416. Man vergesse auch nicht, dass
Alexander der Grosse nach der Empörung des Jahres 331 das nahe Samarien mit
Macedoniern bevölkert hatte.

Die Erscheinung Christi.
Gegenden fremde Stämme zur Ansiedlung nach Palästina übergeführt.
Die Gelehrten vermuten freilich (ohne Gewähr dafür geben zu können),
dass ein bedeutender Bruchteil der früheren gemischt-israelitischen Be-
völkerung im Lande verblieben war; jedenfalls hielt sich aber dieser Rest
nicht von den Fremden getrennt, sondern ging in ihre gemischte Volksart
auf.1) Das Schicksal dieser Länder war also ein ganz anderes als das Judäas.
Denn als später auch die Juden weggeführt wurden, blieb ihr Land
sozusagen leer, nämlich nur von wenigen, dazu jüdischen Bauern be-
wohnt, so dass bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangen-
schaft, in welcher sie ausserdem ihre Stammeseinheit bewahrt hatten,
die Juden diese Reinheit unschwer auch weiter aufrecht erhalten
konnten. Galiläa dagegen und die angrenzenden Länder waren, wie
gesagt, von den Assyriern systematisch kolonisiert worden und,
wie es nach dem biblischen Berichte scheint, aus sehr verschiedenen
Teilen des riesigen Reiches, unter anderm aus dem nördlichen ge-
birgigen Syrien. In den Jahrhunderten vor Christi Geburt sollen nun
ausserdem viele Phönicier und auch viele Griechen eingewandert sein.2)
Es ist nach dieser letzten Thatsache wahrscheinlich, dass auch rein-
arisches Blut dorthin verpflanzt wurde; sicher ist aber, dass ein
kunterbuntes Durcheinander der verschiedensten Rassen stattfand, und
dass die Ausländer sich am zahlreichsten in dem zugänglicheren und
dazu fruchtbareren Galiläa niedergelassen haben werden. Das alte
Testament selbst erzählt mit bestrickender Naivetät, wie diese Fremden
ursprünglich dazu kamen, den Kultus des Jahve kennen zu lernen
(II Kön. XVII, 24 fg.): in dem entvölkerten Lande vermehrten sich
die Raubtiere; man hielt diese Plage für eine Rache des vernach-
lässigten »Landesgottes« (Vers 26); es war aber Niemad mehr da, der
gewusst hätte, wie dieser verehrt werden wolle; und so sandten die
Kolonisten zum König von Assyrien und baten sich einen israelitischen
Priester aus der Gefangenschaft aus, und dieser kam, und »lehrte sie
die Weise des Landesgottes«. Auf diese Art wurden die Bewohner
des nördlichen Palästina, von Samaria ab, Juden dem Glauben nach,
auch diejenigen unter ihnen, die keinen Tropfen israelitischen Blutes
in den Adern hatten. — In späteren Zeiten mögen sich allerdings

1) Wie sehr »der unterscheidende Charakter der israelitischen Nation ver-
loren war« berichtet Robertson Smith: The prophets of Israel (1895), p. 153.
2) Albert Réville: Jésus de Nazareth I, 416. Man vergesse auch nicht, dass
Alexander der Grosse nach der Empörung des Jahres 331 das nahe Samarien mit
Macedoniern bevölkert hatte.
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[213/0236] Die Erscheinung Christi. Gegenden fremde Stämme zur Ansiedlung nach Palästina übergeführt. Die Gelehrten vermuten freilich (ohne Gewähr dafür geben zu können), dass ein bedeutender Bruchteil der früheren gemischt-israelitischen Be- völkerung im Lande verblieben war; jedenfalls hielt sich aber dieser Rest nicht von den Fremden getrennt, sondern ging in ihre gemischte Volksart auf. 1) Das Schicksal dieser Länder war also ein ganz anderes als das Judäas. Denn als später auch die Juden weggeführt wurden, blieb ihr Land sozusagen leer, nämlich nur von wenigen, dazu jüdischen Bauern be- wohnt, so dass bei der Rückkehr aus der babylonischen Gefangen- schaft, in welcher sie ausserdem ihre Stammeseinheit bewahrt hatten, die Juden diese Reinheit unschwer auch weiter aufrecht erhalten konnten. Galiläa dagegen und die angrenzenden Länder waren, wie gesagt, von den Assyriern systematisch kolonisiert worden und, wie es nach dem biblischen Berichte scheint, aus sehr verschiedenen Teilen des riesigen Reiches, unter anderm aus dem nördlichen ge- birgigen Syrien. In den Jahrhunderten vor Christi Geburt sollen nun ausserdem viele Phönicier und auch viele Griechen eingewandert sein. 2) Es ist nach dieser letzten Thatsache wahrscheinlich, dass auch rein- arisches Blut dorthin verpflanzt wurde; sicher ist aber, dass ein kunterbuntes Durcheinander der verschiedensten Rassen stattfand, und dass die Ausländer sich am zahlreichsten in dem zugänglicheren und dazu fruchtbareren Galiläa niedergelassen haben werden. Das alte Testament selbst erzählt mit bestrickender Naivetät, wie diese Fremden ursprünglich dazu kamen, den Kultus des Jahve kennen zu lernen (II Kön. XVII, 24 fg.): in dem entvölkerten Lande vermehrten sich die Raubtiere; man hielt diese Plage für eine Rache des vernach- lässigten »Landesgottes« (Vers 26); es war aber Niemad mehr da, der gewusst hätte, wie dieser verehrt werden wolle; und so sandten die Kolonisten zum König von Assyrien und baten sich einen israelitischen Priester aus der Gefangenschaft aus, und dieser kam, und »lehrte sie die Weise des Landesgottes«. Auf diese Art wurden die Bewohner des nördlichen Palästina, von Samaria ab, Juden dem Glauben nach, auch diejenigen unter ihnen, die keinen Tropfen israelitischen Blutes in den Adern hatten. — In späteren Zeiten mögen sich allerdings 1) Wie sehr »der unterscheidende Charakter der israelitischen Nation ver- loren war« berichtet Robertson Smith: The prophets of Israel (1895), p. 153. 2) Albert Réville: Jésus de Nazareth I, 416. Man vergesse auch nicht, dass Alexander der Grosse nach der Empörung des Jahres 331 das nahe Samarien mit Macedoniern bevölkert hatte.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/236>, abgerufen am 24.11.2024.