jene bei ihm noch häufig falsch sind, hängt davon ab, daß er dem noch wenig entwickelten Zustand der formalen Logik und Beobachtungskunst entsprechend noch keine angemessenen Begriffe von den Erscheinungen zu bilden im Stande war und daß er das populäre Wissen von einer Sache noch nicht vom wissenschaftlichen Erkennen derselben trennte.
Aristoteles muß nun aber nicht bloß aus den angeführten Grün- den (die durch seine Zeit bedingten Mängel in Rechnung gezogen) ohne allen Zweifel als der größte Naturforscher des Alterthums angesehen werden; er verdient, gerade in Hinblick auf die ihm zu Gebote stehen- den geringen Mittel, eine gleiche Bezeichnung auch dem heutigen Em- pirismus gegenüber, welcher ein Zersplittern in endlose Einzelheiten, einen kaum zu befriedigenden Drang nach Anhäufung von immer neuen und neuen Erfahrungen als die Aufgabe und das Zeichen eines wahr- haft wissenschaftlichen Strebens erscheinen läßt, welchem aber leider nur gar zu häufig der geistige Hintergrund fehlt, von dem aus die Thatsachen erst zu wissenschaftlich verwerthbaren erhellt werden. Dieser war bei Aristoteles vorhanden, aber allerdings mit einem von den Ein- flüssen seiner Zeit bestimmten Lichte. Das erste Hinderniß einer tiefer gehenden Erfassung der belebten Natur bei Aristoteles liegt in der Mehrsinnigkeit des Wortes Ursache. Wenn auch der Causalitätsbegriff bei ihm hervortritt, so führt ihn doch sein logischer Formalismus zur Annahme vier verschiedener ursächlicher Momente; es sind dies: der Stoff, woraus, die Form, wonach, die Bewegung, wodurch, und der Zweck, wozu etwas entsteht oder geschieht. Aus diesen vier Theilfragen setzt sich dann die Gesammtfrage der Physik, das Warum zusammen80). Selbstverständlich liegt hier die Gefahr nahe, welcher auch Aristoteles nicht zu entgehen wußte, da wo eine oder die andere dieser Ursachen nicht zu ermitteln war, wenigstens für die letzte, den Zweck, etwas zu ersinnen. Hierdurch verlieren manche seiner Erörterungen jeden Boden. Ferner wird zwar von Historikern häufig auf eine Stelle verwiesen, wo er (wie oben schon angedeutet) ausdrücklich hervorhebt, daß man
80)Physic. II, 7. 198a. Die vier Ursachen sind ule, eidos, kinesis, und to ou eneka; auf sie alle führt der Physiker das dia ti zurück.
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
jene bei ihm noch häufig falſch ſind, hängt davon ab, daß er dem noch wenig entwickelten Zuſtand der formalen Logik und Beobachtungskunſt entſprechend noch keine angemeſſenen Begriffe von den Erſcheinungen zu bilden im Stande war und daß er das populäre Wiſſen von einer Sache noch nicht vom wiſſenſchaftlichen Erkennen derſelben trennte.
Ariſtoteles muß nun aber nicht bloß aus den angeführten Grün- den (die durch ſeine Zeit bedingten Mängel in Rechnung gezogen) ohne allen Zweifel als der größte Naturforſcher des Alterthums angeſehen werden; er verdient, gerade in Hinblick auf die ihm zu Gebote ſtehen- den geringen Mittel, eine gleiche Bezeichnung auch dem heutigen Em- pirismus gegenüber, welcher ein Zerſplittern in endloſe Einzelheiten, einen kaum zu befriedigenden Drang nach Anhäufung von immer neuen und neuen Erfahrungen als die Aufgabe und das Zeichen eines wahr- haft wiſſenſchaftlichen Strebens erſcheinen läßt, welchem aber leider nur gar zu häufig der geiſtige Hintergrund fehlt, von dem aus die Thatſachen erſt zu wiſſenſchaftlich verwerthbaren erhellt werden. Dieſer war bei Ariſtoteles vorhanden, aber allerdings mit einem von den Ein- flüſſen ſeiner Zeit beſtimmten Lichte. Das erſte Hinderniß einer tiefer gehenden Erfaſſung der belebten Natur bei Ariſtoteles liegt in der Mehrſinnigkeit des Wortes Urſache. Wenn auch der Cauſalitätsbegriff bei ihm hervortritt, ſo führt ihn doch ſein logiſcher Formalismus zur Annahme vier verſchiedener urſächlicher Momente; es ſind dies: der Stoff, woraus, die Form, wonach, die Bewegung, wodurch, und der Zweck, wozu etwas entſteht oder geſchieht. Aus dieſen vier Theilfragen ſetzt ſich dann die Geſammtfrage der Phyſik, das Warum zuſammen80). Selbſtverſtändlich liegt hier die Gefahr nahe, welcher auch Ariſtoteles nicht zu entgehen wußte, da wo eine oder die andere dieſer Urſachen nicht zu ermitteln war, wenigſtens für die letzte, den Zweck, etwas zu erſinnen. Hierdurch verlieren manche ſeiner Erörterungen jeden Boden. Ferner wird zwar von Hiſtorikern häufig auf eine Stelle verwieſen, wo er (wie oben ſchon angedeutet) ausdrücklich hervorhebt, daß man
80)Physic. II, 7. 198a. Die vier Urſachen ſind ὕλη, εἶδος, κίνησις, und τὸ οὗ ἕνεκα; auf ſie alle führt der Phyſiker das διὰ τί zurück.
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Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
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wenig entwickelten Zuſtand der formalen Logik und Beobachtungskunſt
entſprechend noch keine angemeſſenen Begriffe von den Erſcheinungen
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Sache noch nicht vom wiſſenſchaftlichen Erkennen derſelben trennte.
Ariſtoteles muß nun aber nicht bloß aus den angeführten Grün-
den (die durch ſeine Zeit bedingten Mängel in Rechnung gezogen) ohne
allen Zweifel als der größte Naturforſcher des Alterthums angeſehen
werden; er verdient, gerade in Hinblick auf die ihm zu Gebote ſtehen-
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pirismus gegenüber, welcher ein Zerſplittern in endloſe Einzelheiten,
einen kaum zu befriedigenden Drang nach Anhäufung von immer neuen
und neuen Erfahrungen als die Aufgabe und das Zeichen eines wahr-
haft wiſſenſchaftlichen Strebens erſcheinen läßt, welchem aber leider
nur gar zu häufig der geiſtige Hintergrund fehlt, von dem aus die
Thatſachen erſt zu wiſſenſchaftlich verwerthbaren erhellt werden. Dieſer
war bei Ariſtoteles vorhanden, aber allerdings mit einem von den Ein-
flüſſen ſeiner Zeit beſtimmten Lichte. Das erſte Hinderniß einer tiefer
gehenden Erfaſſung der belebten Natur bei Ariſtoteles liegt in der
Mehrſinnigkeit des Wortes Urſache. Wenn auch der Cauſalitätsbegriff
bei ihm hervortritt, ſo führt ihn doch ſein logiſcher Formalismus zur
Annahme vier verſchiedener urſächlicher Momente; es ſind dies: der
Stoff, woraus, die Form, wonach, die Bewegung, wodurch, und der
Zweck, wozu etwas entſteht oder geſchieht. Aus dieſen vier Theilfragen
ſetzt ſich dann die Geſammtfrage der Phyſik, das Warum zuſammen 80).
Selbſtverſtändlich liegt hier die Gefahr nahe, welcher auch Ariſtoteles
nicht zu entgehen wußte, da wo eine oder die andere dieſer Urſachen
nicht zu ermitteln war, wenigſtens für die letzte, den Zweck, etwas zu
erſinnen. Hierdurch verlieren manche ſeiner Erörterungen jeden Boden.
Ferner wird zwar von Hiſtorikern häufig auf eine Stelle verwieſen,
wo er (wie oben ſchon angedeutet) ausdrücklich hervorhebt, daß man
80) Physic. II, 7. 198a. Die vier Urſachen ſind ὕλη, εἶδος, κίνησις, und
τὸ οὗ ἕνεκα; auf ſie alle führt der Phyſiker das διὰ τί zurück.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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