Etwas zusammenhängender ist das, was sich von Empedokles (um 440 v. Chr. blühend) erhalten hat. Seiner philosophischen Rich- tung nach gewissermaßen einen Uebergang von den Pythagoräern zu den Atomikern bildend, suchte er die Zusammensetzung der gleichartigen Theile des Thierkörpers, wie Fleisch, Blut, Knochen, nicht auf eines oder auf mehrere Elemente, sondern auf gewisse Mischungsverhältnisse derselben zurückzuführen, welche letztere er zuerst in der Vierzahl und so auffaßte, wie sie dann seit Aristoteles bis in das spätere Mittelalter (und volksthümlich bis in die neuere Zeit) als Elemente galten. Der Menge der veränderlichen Thiergestalten gegenüber war es wichtig, daß er zuerst dem Stoffe eine die Ursache der Bewegung enthaltende Kraft an die Seite stellte. Von einer streng folgerichtigen Anwendung dieses Begriffes war er jedoch natürlich noch fern. Den Bau der Thiere suchte er sich zwar zum Theil mechanisch zu erklären. So führt Aristo- teles tadelnd an75), Empedokles sage, es gäbe Vieles bei den Thieren nur darum, weil es sich bei der Entstehung so gefügt habe, das Rück- grat der Säugethiere z. B. sei zufällig beim Werden in einzelne Wirbel gebrochen. Wo ihm aber die Möglichkeit einer derartigen, wenn auch noch so wunderlichen Erklärung nicht nahe liegt, verliert er sich in ge- haltlose Speculationen. Er sagt, daß bei der Zeugung sowohl vom Männchen als vom Weibchen ein Antheil auf den Abkömmling komme; die Entstehung der Geschlechter erklärt er indeß dadurch, daß das, was in einen warmen Uterus gelange, männlich, das was in einen kälteren Uterus komme weiblich werde. Bei den Pflanzen sind seiner Ansicht nach die Geschlechter noch nicht getrennt. Die Unfruchtbarkeit der Maulesel leitet er davon ab, daß die Mischung beider Samenflüssigkei- ten dick werde. Blaue Augen enthalten mehr Wasser als Feuer, sehen daher am Tage nicht scharf76).
Anaxagoras, welcher zwar etwas älter als Empedokles doch später gewirkt zu haben scheint, trennte die bewegende Ursache völlig
75)De partibus anim. I, 1. 640 a. Die Ansicht von der Betheiligung der Elemente führt Aristoteles in derselben Schrift an, I, 1. 642 a.
76)Aristoteles, de generat. anim. I, 18. 41 und IV, 1. 10; I, 18. 45 und V, 1. 3; I, 23. 100; II, 8. 127; V, 1. 14.
2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Etwas zuſammenhängender iſt das, was ſich von Empedokles (um 440 v. Chr. blühend) erhalten hat. Seiner philoſophiſchen Rich- tung nach gewiſſermaßen einen Uebergang von den Pythagoräern zu den Atomikern bildend, ſuchte er die Zuſammenſetzung der gleichartigen Theile des Thierkörpers, wie Fleiſch, Blut, Knochen, nicht auf eines oder auf mehrere Elemente, ſondern auf gewiſſe Miſchungsverhältniſſe derſelben zurückzuführen, welche letztere er zuerſt in der Vierzahl und ſo auffaßte, wie ſie dann ſeit Ariſtoteles bis in das ſpätere Mittelalter (und volksthümlich bis in die neuere Zeit) als Elemente galten. Der Menge der veränderlichen Thiergeſtalten gegenüber war es wichtig, daß er zuerſt dem Stoffe eine die Urſache der Bewegung enthaltende Kraft an die Seite ſtellte. Von einer ſtreng folgerichtigen Anwendung dieſes Begriffes war er jedoch natürlich noch fern. Den Bau der Thiere ſuchte er ſich zwar zum Theil mechaniſch zu erklären. So führt Ariſto- teles tadelnd an75), Empedokles ſage, es gäbe Vieles bei den Thieren nur darum, weil es ſich bei der Entſtehung ſo gefügt habe, das Rück- grat der Säugethiere z. B. ſei zufällig beim Werden in einzelne Wirbel gebrochen. Wo ihm aber die Möglichkeit einer derartigen, wenn auch noch ſo wunderlichen Erklärung nicht nahe liegt, verliert er ſich in ge- haltloſe Speculationen. Er ſagt, daß bei der Zeugung ſowohl vom Männchen als vom Weibchen ein Antheil auf den Abkömmling komme; die Entſtehung der Geſchlechter erklärt er indeß dadurch, daß das, was in einen warmen Uterus gelange, männlich, das was in einen kälteren Uterus komme weiblich werde. Bei den Pflanzen ſind ſeiner Anſicht nach die Geſchlechter noch nicht getrennt. Die Unfruchtbarkeit der Mauleſel leitet er davon ab, daß die Miſchung beider Samenflüſſigkei- ten dick werde. Blaue Augen enthalten mehr Waſſer als Feuer, ſehen daher am Tage nicht ſcharf76).
Anaxagoras, welcher zwar etwas älter als Empedokles doch ſpäter gewirkt zu haben ſcheint, trennte die bewegende Urſache völlig
75)De partibus anim. I, 1. 640 a. Die Anſicht von der Betheiligung der Elemente führt Ariſtoteles in derſelben Schrift an, I, 1. 642 a.
76)Ariſtoteles, de generat. anim. I, 18. 41 und IV, 1. 10; I, 18. 45 und V, 1. 3; I, 23. 100; II, 8. 127; V, 1. 14.
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(um 440 v. Chr. blühend) erhalten hat. Seiner philoſophiſchen Rich-
tung nach gewiſſermaßen einen Uebergang von den Pythagoräern zu
den Atomikern bildend, ſuchte er die Zuſammenſetzung der gleichartigen
Theile des Thierkörpers, wie Fleiſch, Blut, Knochen, nicht auf eines
oder auf mehrere Elemente, ſondern auf gewiſſe Miſchungsverhältniſſe
derſelben zurückzuführen, welche letztere er zuerſt in der Vierzahl und ſo
auffaßte, wie ſie dann ſeit Ariſtoteles bis in das ſpätere Mittelalter
(und volksthümlich bis in die neuere Zeit) als Elemente galten. Der
Menge der veränderlichen Thiergeſtalten gegenüber war es wichtig, daß
er zuerſt dem Stoffe eine die Urſache der Bewegung enthaltende Kraft
an die Seite ſtellte. Von einer ſtreng folgerichtigen Anwendung dieſes
Begriffes war er jedoch natürlich noch fern. Den Bau der Thiere
ſuchte er ſich zwar zum Theil mechaniſch zu erklären. So führt Ariſto-
teles tadelnd an 75), Empedokles ſage, es gäbe Vieles bei den Thieren
nur darum, weil es ſich bei der Entſtehung ſo gefügt habe, das Rück-
grat der Säugethiere z. B. ſei zufällig beim Werden in einzelne Wirbel
gebrochen. Wo ihm aber die Möglichkeit einer derartigen, wenn auch
noch ſo wunderlichen Erklärung nicht nahe liegt, verliert er ſich in ge-
haltloſe Speculationen. Er ſagt, daß bei der Zeugung ſowohl vom
Männchen als vom Weibchen ein Antheil auf den Abkömmling komme;
die Entſtehung der Geſchlechter erklärt er indeß dadurch, daß das, was
in einen warmen Uterus gelange, männlich, das was in einen kälteren
Uterus komme weiblich werde. Bei den Pflanzen ſind ſeiner Anſicht
nach die Geſchlechter noch nicht getrennt. Die Unfruchtbarkeit der
Mauleſel leitet er davon ab, daß die Miſchung beider Samenflüſſigkei-
ten dick werde. Blaue Augen enthalten mehr Waſſer als Feuer, ſehen
daher am Tage nicht ſcharf 76).
Anaxagoras, welcher zwar etwas älter als Empedokles doch
ſpäter gewirkt zu haben ſcheint, trennte die bewegende Urſache völlig
75) De partibus anim. I, 1. 640 a. Die Anſicht von der Betheiligung der
Elemente führt Ariſtoteles in derſelben Schrift an, I, 1. 642 a.
76) Ariſtoteles, de generat. anim. I, 18. 41 und IV, 1. 10; I, 18. 45 und
V, 1. 3; I, 23. 100; II, 8. 127; V, 1. 14.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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