Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntniß der Protozoen.
Anentera Ehrenberg's mit Ausnahme der Amoeben aus dem Kreise der
Infusorien entfernt und zu den Pflanzen gebracht werden. Die Poly-
thalamien fehlten bei Ehrenberg; er hatte sie für den Bryozoen verwandt
erklärt, weil es keine kalkschaligen Infusorien gäbe, hat dagegen die von
ihm neu aufgestellte Familie der Polycystinen für Polygastren gehalten,
weil es keine kieselschaligen Polythalamien gäbe. Die Dujardin'schen
Angaben bestätigten aber G. Deshayes und H. Milne Edwards
in Frankreich, H. J. Carter, Will. Crawfurd Williamson und
Will. B. Carpenter in England; und in Deutschland gab einmal
Max Sig. Schultze (geb. 1825) eine monographische Darstellung
vom Baue der Rhizopoden, worin er Dujardin's Auffassung bestätigte
und erweiterte, während Joh. Müller's letzte Arbeit nicht bloß die
Auffassung der Rhizopoden im Allgemeinen klärte, sondern besonders
die Verwandtschaft der Polycystinen mit den Polythalamien nachwies
und die Gruppe der Radiolarien für sie sowie für die von Meyen
und neuerdings von Huxley beobachteten Meerqualster einführte.
Die Vergleichung der fossilen Rhizopodenschalen, besonders der Num-
muliten, führte zur sorgfältigen Untersuchung der Schalenbildung auch
bei lebenden Foraminiferen, welche vorzüglich von Carpenter gefördert
wurde. -- Endlich muß noch der Spongien gedacht werden. Lange
Zeit wurden sie noch zu den Polypen gebracht (so von Lamarck, selbst
von Schweigger, welcher anführt, es seien Korallen ohne Polypen)
und nach ihrer äußern Gestalt classificirt. J. Fleming gründete zuerst
eine Trennung der einzelnen Formen auf die Natur der Hartgebilde
(Horn-, Kiesel- und Kalkschwämme), welchem Eintheilungsprincip im
Allgemeinen Blainville, Nardo, G. Johnston folgten. Eine nähere
Kenntniß des Schwammkörpers bahnte Grant 1826 an. Die Zu-
sammensetzung desselben aus Sarcode lehrte Dujardin kennen. Ein-
gehende Untersuchungen verdankt man H. J. Carter, Jam. Scott
Bowerbank
und über den Süßwasserschwamm Nathan. Lieber-
kühn
. Erst in allerneuester Zeit beginnt man, die Classe anhaltender
und eingehender zu untersuchen. Zu erwähnen ist noch, daß A. S.
Oersted
die Protozoen als selbständigen Kreis nicht anerkennt, sondern
sie entweder zu den Pflanzen oder zu den Würmern bringt, wie auch

Kenntniß der Protozoen.
Anentera Ehrenberg's mit Ausnahme der Amoeben aus dem Kreiſe der
Infuſorien entfernt und zu den Pflanzen gebracht werden. Die Poly-
thalamien fehlten bei Ehrenberg; er hatte ſie für den Bryozoen verwandt
erklärt, weil es keine kalkſchaligen Infuſorien gäbe, hat dagegen die von
ihm neu aufgeſtellte Familie der Polycyſtinen für Polygaſtren gehalten,
weil es keine kieſelſchaligen Polythalamien gäbe. Die Dujardin'ſchen
Angaben beſtätigten aber G. Deshayes und H. Milne Edwards
in Frankreich, H. J. Carter, Will. Crawfurd Williamſon und
Will. B. Carpenter in England; und in Deutſchland gab einmal
Max Sig. Schultze (geb. 1825) eine monographiſche Darſtellung
vom Baue der Rhizopoden, worin er Dujardin's Auffaſſung beſtätigte
und erweiterte, während Joh. Müller's letzte Arbeit nicht bloß die
Auffaſſung der Rhizopoden im Allgemeinen klärte, ſondern beſonders
die Verwandtſchaft der Polycyſtinen mit den Polythalamien nachwies
und die Gruppe der Radiolarien für ſie ſowie für die von Meyen
und neuerdings von Huxley beobachteten Meerqualſter einführte.
Die Vergleichung der foſſilen Rhizopodenſchalen, beſonders der Num-
muliten, führte zur ſorgfältigen Unterſuchung der Schalenbildung auch
bei lebenden Foraminiferen, welche vorzüglich von Carpenter gefördert
wurde. — Endlich muß noch der Spongien gedacht werden. Lange
Zeit wurden ſie noch zu den Polypen gebracht (ſo von Lamarck, ſelbſt
von Schweigger, welcher anführt, es ſeien Korallen ohne Polypen)
und nach ihrer äußern Geſtalt claſſificirt. J. Fleming gründete zuerſt
eine Trennung der einzelnen Formen auf die Natur der Hartgebilde
(Horn-, Kieſel- und Kalkſchwämme), welchem Eintheilungsprincip im
Allgemeinen Blainville, Nardo, G. Johnſton folgten. Eine nähere
Kenntniß des Schwammkörpers bahnte Grant 1826 an. Die Zu-
ſammenſetzung deſſelben aus Sarcode lehrte Dujardin kennen. Ein-
gehende Unterſuchungen verdankt man H. J. Carter, Jam. Scott
Bowerbank
und über den Süßwaſſerſchwamm Nathan. Lieber-
kühn
. Erſt in allerneueſter Zeit beginnt man, die Claſſe anhaltender
und eingehender zu unterſuchen. Zu erwähnen iſt noch, daß A. S.
Oerſted
die Protozoen als ſelbſtändigen Kreis nicht anerkennt, ſondern
ſie entweder zu den Pflanzen oder zu den Würmern bringt, wie auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0694" n="683"/><fw place="top" type="header">Kenntniß der Protozoen.</fw><lb/><hi rendition="#aq">Anentera</hi><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118529250">Ehrenberg</persName>'s mit Ausnahme der Amoeben aus dem Krei&#x017F;e der<lb/>
Infu&#x017F;orien entfernt und zu den Pflanzen gebracht werden. Die Poly-<lb/>
thalamien fehlten bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118529250">Ehrenberg</persName>; er hatte &#x017F;ie für den Bryozoen verwandt<lb/>
erklärt, weil es keine kalk&#x017F;chaligen Infu&#x017F;orien gäbe, hat dagegen die von<lb/>
ihm neu aufge&#x017F;tellte Familie der Polycy&#x017F;tinen für Polyga&#x017F;tren gehalten,<lb/>
weil es keine kie&#x017F;el&#x017F;chaligen Polythalamien gäbe. Die <persName ref="http://d-nb.info/gnd/102461627">Dujardin</persName>'&#x017F;chen<lb/>
Angaben be&#x017F;tätigten aber <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117632872">G. <hi rendition="#g">Deshayes</hi></persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116356839">H. Milne <hi rendition="#g">Edwards</hi></persName><lb/>
in Frankreich, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/130903825">H. J. <hi rendition="#g">Carter</hi></persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117580988">Will. Crawfurd <hi rendition="#g">William&#x017F;on</hi></persName> und<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117673528">Will. B. <hi rendition="#g">Carpenter</hi></persName> in England; und in <placeName>Deut&#x017F;chland</placeName> gab einmal<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/115754369">Max Sig. <hi rendition="#g">Schultze</hi></persName> (geb. 1825) eine monographi&#x017F;che Dar&#x017F;tellung<lb/>
vom Baue der Rhizopoden, worin er <persName ref="http://d-nb.info/gnd/102461627">Dujardin</persName>'s Auffa&#x017F;&#x017F;ung be&#x017F;tätigte<lb/>
und erweiterte, während <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118585053">Joh. <hi rendition="#g">Müller</hi></persName>'s letzte Arbeit nicht bloß die<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Rhizopoden im Allgemeinen klärte, &#x017F;ondern be&#x017F;onders<lb/>
die Verwandt&#x017F;chaft der Polycy&#x017F;tinen mit den Polythalamien nachwies<lb/>
und die Gruppe der Radiolarien für &#x017F;ie &#x017F;owie für die von <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/116962437">Meyen</persName></hi><lb/>
und neuerdings von <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118555103">Huxley</persName></hi> beobachteten Meerqual&#x017F;ter einführte.<lb/>
Die Vergleichung der fo&#x017F;&#x017F;ilen Rhizopoden&#x017F;chalen, be&#x017F;onders der Num-<lb/>
muliten, führte zur &#x017F;orgfältigen Unter&#x017F;uchung der Schalenbildung auch<lb/>
bei lebenden Foraminiferen, welche vorzüglich von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117673528">Carpenter</persName> gefördert<lb/>
wurde. &#x2014; Endlich muß noch der Spongien gedacht werden. Lange<lb/>
Zeit wurden &#x017F;ie noch zu den Polypen gebracht (&#x017F;o von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118726048">Lamarck</persName>, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117397601">Schweigger</persName>, welcher anführt, es &#x017F;eien Korallen ohne Polypen)<lb/>
und nach ihrer äußern Ge&#x017F;talt cla&#x017F;&#x017F;ificirt. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117513210">J. <hi rendition="#g">Fleming</hi></persName> gründete zuer&#x017F;t<lb/>
eine Trennung der einzelnen Formen auf die Natur der Hartgebilde<lb/>
(Horn-, Kie&#x017F;el- und Kalk&#x017F;chwämme), welchem Eintheilungsprincip im<lb/>
Allgemeinen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116234563">Blainville</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116883227">Nardo</persName>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117655139">G. John&#x017F;ton</persName> folgten. Eine nähere<lb/>
Kenntniß des Schwammkörpers bahnte <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117553603">Grant</persName></hi> 1826 an. Die Zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;etzung de&#x017F;&#x017F;elben aus Sarcode lehrte <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/102461627">Dujardin</persName></hi> kennen. Ein-<lb/>
gehende Unter&#x017F;uchungen verdankt man <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/130903825">H. J. Carter</persName></hi>, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117623423">Jam. Scott<lb/><hi rendition="#g">Bowerbank</hi></persName> und über den Süßwa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chwamm <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116995920">Nathan. <hi rendition="#g">Lieber-<lb/>
kühn</hi></persName>. Er&#x017F;t in allerneue&#x017F;ter Zeit beginnt man, die Cla&#x017F;&#x017F;e anhaltender<lb/>
und eingehender zu unter&#x017F;uchen. Zu erwähnen i&#x017F;t noch, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117139653">A. S.<lb/><hi rendition="#g">Oer&#x017F;ted</hi></persName> die Protozoen als &#x017F;elb&#x017F;tändigen Kreis nicht anerkennt, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;ie entweder zu den Pflanzen oder zu den Würmern bringt, wie auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[683/0694] Kenntniß der Protozoen. Anentera Ehrenberg's mit Ausnahme der Amoeben aus dem Kreiſe der Infuſorien entfernt und zu den Pflanzen gebracht werden. Die Poly- thalamien fehlten bei Ehrenberg; er hatte ſie für den Bryozoen verwandt erklärt, weil es keine kalkſchaligen Infuſorien gäbe, hat dagegen die von ihm neu aufgeſtellte Familie der Polycyſtinen für Polygaſtren gehalten, weil es keine kieſelſchaligen Polythalamien gäbe. Die Dujardin'ſchen Angaben beſtätigten aber G. Deshayes und H. Milne Edwards in Frankreich, H. J. Carter, Will. Crawfurd Williamſon und Will. B. Carpenter in England; und in Deutſchland gab einmal Max Sig. Schultze (geb. 1825) eine monographiſche Darſtellung vom Baue der Rhizopoden, worin er Dujardin's Auffaſſung beſtätigte und erweiterte, während Joh. Müller's letzte Arbeit nicht bloß die Auffaſſung der Rhizopoden im Allgemeinen klärte, ſondern beſonders die Verwandtſchaft der Polycyſtinen mit den Polythalamien nachwies und die Gruppe der Radiolarien für ſie ſowie für die von Meyen und neuerdings von Huxley beobachteten Meerqualſter einführte. Die Vergleichung der foſſilen Rhizopodenſchalen, beſonders der Num- muliten, führte zur ſorgfältigen Unterſuchung der Schalenbildung auch bei lebenden Foraminiferen, welche vorzüglich von Carpenter gefördert wurde. — Endlich muß noch der Spongien gedacht werden. Lange Zeit wurden ſie noch zu den Polypen gebracht (ſo von Lamarck, ſelbſt von Schweigger, welcher anführt, es ſeien Korallen ohne Polypen) und nach ihrer äußern Geſtalt claſſificirt. J. Fleming gründete zuerſt eine Trennung der einzelnen Formen auf die Natur der Hartgebilde (Horn-, Kieſel- und Kalkſchwämme), welchem Eintheilungsprincip im Allgemeinen Blainville, Nardo, G. Johnſton folgten. Eine nähere Kenntniß des Schwammkörpers bahnte Grant 1826 an. Die Zu- ſammenſetzung deſſelben aus Sarcode lehrte Dujardin kennen. Ein- gehende Unterſuchungen verdankt man H. J. Carter, Jam. Scott Bowerbank und über den Süßwaſſerſchwamm Nathan. Lieber- kühn. Erſt in allerneueſter Zeit beginnt man, die Claſſe anhaltender und eingehender zu unterſuchen. Zu erwähnen iſt noch, daß A. S. Oerſted die Protozoen als ſelbſtändigen Kreis nicht anerkennt, ſondern ſie entweder zu den Pflanzen oder zu den Würmern bringt, wie auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/694
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/694>, abgerufen am 22.07.2024.