Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der Morphologie.
Ausbildungsstufen für typische Verschiedenheiten zu nehmen. Besondere
Rücksicht auf diesen Unterschied hat Henri Milne Edwards genom-
men, dessen Auseinandersetzungen in präciser Weise die Tragweite der
Typenlehre und deren Anwendung auf das System darstellen. Seine
Charakterisirung der vier Typen enthält das, was man im Allgemeinen
von ihnen erwarten kann. Er theilt die Wirbelthiere nach der von
v. Baer hervorgehobenen Eigenthümlichkeit der Entwickelung in solche
mit, und in solche ohne Allantois, die Gliederthiere je nach dem Vor-
handensein oder Fehlen gegliederter Anhänge in zwei Gruppen, die
Mollusken in echte Mollusken und Molluscoiden, die Zoophyten in
strahlige und sarcodeartige. Ein weiterer Fortschritt war es, daß von
Siebold
die mit den strahligen Zoophyten gar keine Verwandtschaft
darbietenden Infusorien und Rhizopoden als Protozoen von jenen
trennte. Doch war es ein Fehler, daß er verleitet durch die höhere Ent-
wickelung der Instinkte bei den Insecten die mit gegliederten Bewegungs-
organen versehenen Gliederthiere, für welche er wie erwähnt den Namen
Arthropoden einführte, von den Würmern schied, sogar die ganze Gruppe
der Mollusken zwischen sie stellte. Endlich wiesen Frey und R. Leuckart
das Vorhandensein zweier wesentlich verschiedener Organisationstufen
innerhalb der Zoophyten nach und trennten dieselben in die beiden Grup-
pen der Coelenteraten und Echinodermen. Räumt man den letzteren
den Werth von Typen ein, so enthält das System, wie es sich auf
Grund der Typenlehre bis jetzt entwickelt hat, folgende Hauptgruppen:
Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Annulosen (mit Würmern
und Arthropoden), Mollusken (mit Molluscoiden und echten Mollus-
ken) und Wirbelthiere.

Weitaus den meisten Gesammtdarstellungen des Thierreichs ist in
neuerer Zeit diese Anordnung zu Grunde gelegt mit geringen Aende-
rungen innerhalb der kleineren Kreise. Einzelne abweichende Auffassungen
der Typen erschienen zwar, doch kommen sie wenn auch auf Umwegen
und mit geringen Modificationen auf die Cuvier'schen Typen zurück.
So schilderte z. B. Ed. Eichwald 1821 die Entwickelungsstufen des
Thierreichs und stellte deren 16 auf, ohne den Menschen, welcher die
17. Stufe bilden würde, indem er theilweise auf Aristotelische Bezeich-

Periode der Morphologie.
Ausbildungsſtufen für typiſche Verſchiedenheiten zu nehmen. Beſondere
Rückſicht auf dieſen Unterſchied hat Henri Milne Edwards genom-
men, deſſen Auseinanderſetzungen in präciſer Weiſe die Tragweite der
Typenlehre und deren Anwendung auf das Syſtem darſtellen. Seine
Charakteriſirung der vier Typen enthält das, was man im Allgemeinen
von ihnen erwarten kann. Er theilt die Wirbelthiere nach der von
v. Baer hervorgehobenen Eigenthümlichkeit der Entwickelung in ſolche
mit, und in ſolche ohne Allantois, die Gliederthiere je nach dem Vor-
handenſein oder Fehlen gegliederter Anhänge in zwei Gruppen, die
Mollusken in echte Mollusken und Molluscoiden, die Zoophyten in
ſtrahlige und ſarcodeartige. Ein weiterer Fortſchritt war es, daß von
Siebold
die mit den ſtrahligen Zoophyten gar keine Verwandtſchaft
darbietenden Infuſorien und Rhizopoden als Protozoen von jenen
trennte. Doch war es ein Fehler, daß er verleitet durch die höhere Ent-
wickelung der Inſtinkte bei den Inſecten die mit gegliederten Bewegungs-
organen verſehenen Gliederthiere, für welche er wie erwähnt den Namen
Arthropoden einführte, von den Würmern ſchied, ſogar die ganze Gruppe
der Mollusken zwiſchen ſie ſtellte. Endlich wieſen Frey und R. Leuckart
das Vorhandenſein zweier weſentlich verſchiedener Organiſationstufen
innerhalb der Zoophyten nach und trennten dieſelben in die beiden Grup-
pen der Coelenteraten und Echinodermen. Räumt man den letzteren
den Werth von Typen ein, ſo enthält das Syſtem, wie es ſich auf
Grund der Typenlehre bis jetzt entwickelt hat, folgende Hauptgruppen:
Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Annuloſen (mit Würmern
und Arthropoden), Mollusken (mit Molluscoiden und echten Mollus-
ken) und Wirbelthiere.

Weitaus den meiſten Geſammtdarſtellungen des Thierreichs iſt in
neuerer Zeit dieſe Anordnung zu Grunde gelegt mit geringen Aende-
rungen innerhalb der kleineren Kreiſe. Einzelne abweichende Auffaſſungen
der Typen erſchienen zwar, doch kommen ſie wenn auch auf Umwegen
und mit geringen Modificationen auf die Cuvier'ſchen Typen zurück.
So ſchilderte z. B. Ed. Eichwald 1821 die Entwickelungsſtufen des
Thierreichs und ſtellte deren 16 auf, ohne den Menſchen, welcher die
17. Stufe bilden würde, indem er theilweiſe auf Ariſtoteliſche Bezeich-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0689" n="678"/><fw place="top" type="header">Periode der Morphologie.</fw><lb/>
Ausbildungs&#x017F;tufen für typi&#x017F;che Ver&#x017F;chiedenheiten zu nehmen. Be&#x017F;ondere<lb/>
Rück&#x017F;icht auf die&#x017F;en Unter&#x017F;chied hat <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116356839">Henri <hi rendition="#g">Milne Edwards</hi></persName> genom-<lb/>
men, de&#x017F;&#x017F;en Auseinander&#x017F;etzungen in präci&#x017F;er Wei&#x017F;e die Tragweite der<lb/>
Typenlehre und deren Anwendung auf das Sy&#x017F;tem dar&#x017F;tellen. Seine<lb/>
Charakteri&#x017F;irung der vier Typen enthält das, was man im Allgemeinen<lb/>
von ihnen erwarten kann. Er theilt die Wirbelthiere nach der von<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118505831">v. Baer</persName> hervorgehobenen Eigenthümlichkeit der Entwickelung in &#x017F;olche<lb/>
mit, und in &#x017F;olche ohne Allantois, die Gliederthiere je nach dem Vor-<lb/>
handen&#x017F;ein oder Fehlen gegliederter Anhänge in zwei Gruppen, die<lb/>
Mollusken in echte Mollusken und Molluscoiden, die Zoophyten in<lb/>
&#x017F;trahlige und &#x017F;arcodeartige. Ein weiterer Fort&#x017F;chritt war es, daß <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117388297">von<lb/>
Siebold</persName></hi> die mit den &#x017F;trahligen Zoophyten gar keine Verwandt&#x017F;chaft<lb/>
darbietenden Infu&#x017F;orien und Rhizopoden als Protozoen von jenen<lb/>
trennte. Doch war es ein Fehler, daß er verleitet durch die höhere Ent-<lb/>
wickelung der In&#x017F;tinkte bei den In&#x017F;ecten die mit gegliederten Bewegungs-<lb/>
organen ver&#x017F;ehenen Gliederthiere, für welche er wie erwähnt den Namen<lb/>
Arthropoden einführte, von den Würmern &#x017F;chied, &#x017F;ogar die ganze Gruppe<lb/>
der Mollusken zwi&#x017F;chen &#x017F;ie &#x017F;tellte. Endlich wie&#x017F;en <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119070561">Frey</persName></hi> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118572180">R. <hi rendition="#g">Leuckart</hi></persName><lb/>
das Vorhanden&#x017F;ein zweier we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedener Organi&#x017F;ationstufen<lb/>
innerhalb der Zoophyten nach und trennten die&#x017F;elben in die beiden Grup-<lb/>
pen der Coelenteraten und Echinodermen. Räumt man den letzteren<lb/>
den Werth von Typen ein, &#x017F;o enthält das Sy&#x017F;tem, wie es &#x017F;ich auf<lb/>
Grund der Typenlehre bis jetzt entwickelt hat, folgende Hauptgruppen:<lb/>
Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Annulo&#x017F;en (mit Würmern<lb/>
und Arthropoden), Mollusken (mit Molluscoiden und echten Mollus-<lb/>
ken) und Wirbelthiere.</p><lb/>
          <p>Weitaus den mei&#x017F;ten Ge&#x017F;ammtdar&#x017F;tellungen des Thierreichs i&#x017F;t in<lb/>
neuerer Zeit die&#x017F;e Anordnung zu Grunde gelegt mit geringen Aende-<lb/>
rungen innerhalb der kleineren Krei&#x017F;e. Einzelne abweichende Auffa&#x017F;&#x017F;ungen<lb/>
der Typen er&#x017F;chienen zwar, doch kommen &#x017F;ie wenn auch auf Umwegen<lb/>
und mit geringen Modificationen auf die <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118677578">Cuvier</persName>'&#x017F;chen Typen zurück.<lb/>
So &#x017F;childerte z. B. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116418273">Ed. <hi rendition="#g">Eichwald</hi></persName> 1821 die Entwickelungs&#x017F;tufen des<lb/>
Thierreichs und &#x017F;tellte deren 16 auf, ohne den Men&#x017F;chen, welcher die<lb/>
17. Stufe bilden würde, indem er theilwei&#x017F;e auf Ari&#x017F;toteli&#x017F;che Bezeich-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[678/0689] Periode der Morphologie. Ausbildungsſtufen für typiſche Verſchiedenheiten zu nehmen. Beſondere Rückſicht auf dieſen Unterſchied hat Henri Milne Edwards genom- men, deſſen Auseinanderſetzungen in präciſer Weiſe die Tragweite der Typenlehre und deren Anwendung auf das Syſtem darſtellen. Seine Charakteriſirung der vier Typen enthält das, was man im Allgemeinen von ihnen erwarten kann. Er theilt die Wirbelthiere nach der von v. Baer hervorgehobenen Eigenthümlichkeit der Entwickelung in ſolche mit, und in ſolche ohne Allantois, die Gliederthiere je nach dem Vor- handenſein oder Fehlen gegliederter Anhänge in zwei Gruppen, die Mollusken in echte Mollusken und Molluscoiden, die Zoophyten in ſtrahlige und ſarcodeartige. Ein weiterer Fortſchritt war es, daß von Siebold die mit den ſtrahligen Zoophyten gar keine Verwandtſchaft darbietenden Infuſorien und Rhizopoden als Protozoen von jenen trennte. Doch war es ein Fehler, daß er verleitet durch die höhere Ent- wickelung der Inſtinkte bei den Inſecten die mit gegliederten Bewegungs- organen verſehenen Gliederthiere, für welche er wie erwähnt den Namen Arthropoden einführte, von den Würmern ſchied, ſogar die ganze Gruppe der Mollusken zwiſchen ſie ſtellte. Endlich wieſen Frey und R. Leuckart das Vorhandenſein zweier weſentlich verſchiedener Organiſationstufen innerhalb der Zoophyten nach und trennten dieſelben in die beiden Grup- pen der Coelenteraten und Echinodermen. Räumt man den letzteren den Werth von Typen ein, ſo enthält das Syſtem, wie es ſich auf Grund der Typenlehre bis jetzt entwickelt hat, folgende Hauptgruppen: Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Annuloſen (mit Würmern und Arthropoden), Mollusken (mit Molluscoiden und echten Mollus- ken) und Wirbelthiere. Weitaus den meiſten Geſammtdarſtellungen des Thierreichs iſt in neuerer Zeit dieſe Anordnung zu Grunde gelegt mit geringen Aende- rungen innerhalb der kleineren Kreiſe. Einzelne abweichende Auffaſſungen der Typen erſchienen zwar, doch kommen ſie wenn auch auf Umwegen und mit geringen Modificationen auf die Cuvier'ſchen Typen zurück. So ſchilderte z. B. Ed. Eichwald 1821 die Entwickelungsſtufen des Thierreichs und ſtellte deren 16 auf, ohne den Menſchen, welcher die 17. Stufe bilden würde, indem er theilweiſe auf Ariſtoteliſche Bezeich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/689
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 678. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/689>, abgerufen am 22.07.2024.