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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Morphologie.
mer und Infusorien). -- Auch Grant hat eine Eintheilung der Thiere
nach dem Nervensysteme aufgestellt (in Todd's Cyclopaedia, 1835).
Dieselbe schließt sich enger an die Cuvier'schen Typen an, nur werden
dieselben durch die Form des Nervensystems charakterisirt; ähnlich ver-
fuhr auch R. Owen. Danach sind die Strahlthiere bei Grant Cyclo-
neura,
die Gliederthiere Diploneura (nach dem paarigen die
Ganglien
verbindenden Nervenstrange, also in einem anderen Sinne als bei
Rudolphi), bei Owen Homogangliata, die Mollusken sind bei Grant
Cyclogangliata, bei Owen Heterogangliata, die Wirbelthiere bei
Grant
Spinicerebrata, bei Owen Myelencephala.

Auch in der Systematik machte sich nun aber in den ersten Jahr-
zehnten dieses Jahrhunderts der Einfluß der Naturphilosophie geltend.
Ehe die moderne Richtung der Classification erwähnt wird, muß daher
mit ein Paar Worten der naturphilosophischen Systeme gedacht werden.
Charakteristisch für alle hierher gehörigen Versuche, das Thierreich zu
classificiren, ist die Willkürlichkeit, mit welcher die thierischen Formen
in bestimmte durch Abstractionen erhaltene Rubriken eingeordnet werden,
ohne der thierischen Gestalt mehr als es allgemeine Analogien gestatten
Rechnung zu tragen. Es tritt daher einerseits der Gedanke, den in seine Or-
gane auseinandergelegten Menschenleib im Thierreiche wiederzufinden,
oder die Wiederholung nicht thierischer Gestaltungsprocesse in gewissen
Thiergruppen zu finden, oder ein an ähnliche fremdartige Abstractionen sich
anlehnender Zahlenschematismus bei diesen Systemen in den Vordergrund.
Oken selbst, welcher indeß sein System öfters umgearbeitet hat, gieng in
seiner Zoologie von dem Gedanken aus, daß "jedes Naturreich
einwirke
und einen Haufen Thiere nach sich forme". Er erhielt also Elementen-
thiere (Schleimthiere, Infusorien), Irdenthiere (Steinthiere, Korallen,
welche der Eintheilung der Steine entsprechend in Erd-, Salz-, Brenz-
und Erzthiere zerfallen), Pflanzenthiere (analog in Wurzel-, Stengel-,
Laub- und Blüthenthiere sich theilend) und Thierthiere. In letzterem
"Reiche" werden die vier niederen auf höherer Ordnung wiederholt;
so
sind Schleimthiere hier Quallen, Steinthiere höherer Ordnung die
Schalthiere, Pflanzenthiere der höhern Stufe die Kerfe, endlich die
eigentlichen Thierthiere die Wirbelthiere. Oken bringt aber noch einen

Periode der Morphologie.
mer und Infuſorien). — Auch Grant hat eine Eintheilung der Thiere
nach dem Nervenſyſteme aufgeſtellt (in Todd's Cyclopaedia, 1835).
Dieſelbe ſchließt ſich enger an die Cuvier'ſchen Typen an, nur werden
dieſelben durch die Form des Nervenſyſtems charakteriſirt; ähnlich ver-
fuhr auch R. Owen. Danach ſind die Strahlthiere bei Grant Cyclo-
neura,
die Gliederthiere Diploneura (nach dem paarigen die
Ganglien
verbindenden Nervenſtrange, alſo in einem anderen Sinne als bei
Rudolphi), bei Owen Homogangliata, die Mollusken ſind bei Grant
Cyclogangliata, bei Owen Heterogangliata, die Wirbelthiere bei
Grant
Spinicerebrata, bei Owen Myelencephala.

Auch in der Syſtematik machte ſich nun aber in den erſten Jahr-
zehnten dieſes Jahrhunderts der Einfluß der Naturphiloſophie geltend.
Ehe die moderne Richtung der Claſſification erwähnt wird, muß daher
mit ein Paar Worten der naturphiloſophiſchen Syſteme gedacht werden.
Charakteriſtiſch für alle hierher gehörigen Verſuche, das Thierreich zu
claſſificiren, iſt die Willkürlichkeit, mit welcher die thieriſchen Formen
in beſtimmte durch Abſtractionen erhaltene Rubriken eingeordnet werden,
ohne der thieriſchen Geſtalt mehr als es allgemeine Analogien geſtatten
Rechnung zu tragen. Es tritt daher einerſeits der Gedanke, den in ſeine Or-
gane auseinandergelegten Menſchenleib im Thierreiche wiederzufinden,
oder die Wiederholung nicht thieriſcher Geſtaltungsproceſſe in gewiſſen
Thiergruppen zu finden, oder ein an ähnliche fremdartige Abſtractionen ſich
anlehnender Zahlenſchematismus bei dieſen Syſtemen in den Vordergrund.
Oken ſelbſt, welcher indeß ſein Syſtem öfters umgearbeitet hat, gieng in
ſeiner Zoologie von dem Gedanken aus, daß „jedes Naturreich
einwirke
und einen Haufen Thiere nach ſich forme“. Er erhielt alſo Elementen-
thiere (Schleimthiere, Infuſorien), Irdenthiere (Steinthiere, Korallen,
welche der Eintheilung der Steine entſprechend in Erd-, Salz-, Brenz-
und Erzthiere zerfallen), Pflanzenthiere (analog in Wurzel-, Stengel-,
Laub- und Blüthenthiere ſich theilend) und Thierthiere. In letzterem
„Reiche“ werden die vier niederen auf höherer Ordnung wiederholt;
ſo
ſind Schleimthiere hier Quallen, Steinthiere höherer Ordnung die
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[672/0683] Periode der Morphologie. mer und Infuſorien). — Auch Grant hat eine Eintheilung der Thiere nach dem Nervenſyſteme aufgeſtellt (in Todd's Cyclopaedia, 1835). Dieſelbe ſchließt ſich enger an die Cuvier'ſchen Typen an, nur werden dieſelben durch die Form des Nervenſyſtems charakteriſirt; ähnlich ver- fuhr auch R. Owen. Danach ſind die Strahlthiere bei Grant Cyclo- neura, die Gliederthiere Diploneura (nach dem paarigen die Ganglien verbindenden Nervenſtrange, alſo in einem anderen Sinne als bei Rudolphi), bei Owen Homogangliata, die Mollusken ſind bei Grant Cyclogangliata, bei Owen Heterogangliata, die Wirbelthiere bei Grant Spinicerebrata, bei Owen Myelencephala. Auch in der Syſtematik machte ſich nun aber in den erſten Jahr- zehnten dieſes Jahrhunderts der Einfluß der Naturphiloſophie geltend. Ehe die moderne Richtung der Claſſification erwähnt wird, muß daher mit ein Paar Worten der naturphiloſophiſchen Syſteme gedacht werden. Charakteriſtiſch für alle hierher gehörigen Verſuche, das Thierreich zu claſſificiren, iſt die Willkürlichkeit, mit welcher die thieriſchen Formen in beſtimmte durch Abſtractionen erhaltene Rubriken eingeordnet werden, ohne der thieriſchen Geſtalt mehr als es allgemeine Analogien geſtatten Rechnung zu tragen. Es tritt daher einerſeits der Gedanke, den in ſeine Or- gane auseinandergelegten Menſchenleib im Thierreiche wiederzufinden, oder die Wiederholung nicht thieriſcher Geſtaltungsproceſſe in gewiſſen Thiergruppen zu finden, oder ein an ähnliche fremdartige Abſtractionen ſich anlehnender Zahlenſchematismus bei dieſen Syſtemen in den Vordergrund. Oken ſelbſt, welcher indeß ſein Syſtem öfters umgearbeitet hat, gieng in ſeiner Zoologie von dem Gedanken aus, daß „jedes Naturreich einwirke und einen Haufen Thiere nach ſich forme“. Er erhielt alſo Elementen- thiere (Schleimthiere, Infuſorien), Irdenthiere (Steinthiere, Korallen, welche der Eintheilung der Steine entſprechend in Erd-, Salz-, Brenz- und Erzthiere zerfallen), Pflanzenthiere (analog in Wurzel-, Stengel-, Laub- und Blüthenthiere ſich theilend) und Thierthiere. In letzterem „Reiche“ werden die vier niederen auf höherer Ordnung wiederholt; ſo ſind Schleimthiere hier Quallen, Steinthiere höherer Ordnung die Schalthiere, Pflanzenthiere der höhern Stufe die Kerfe, endlich die eigentlichen Thierthiere die Wirbelthiere. Oken bringt aber noch einen

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/683>, abgerufen am 23.07.2024.