thum bis in das Mittelalter hineinreichten. Knüpft sich die Geschichte einer Wissenschaft, deren Objecte nicht erst durch künstlich angestellte Versuche und durch speculative Operationen zu entdecken sind, zu einem guten Theil an die allmähliche Aufklärung früher herrschender Irrthü- mer, so kann eine in's Einzelne gehende Aufzählung solcher hier um so mehr unterlassen werden, als die Besprechung der mittelalterlichen Quellen zur Geschichte der Zoologie ebenso wie die Geschichte der Kennt- niß einzelner Klassen mehrfach Gelegenheit bieten wird, auf die äußerst langsam erfolgende Beseitigung derartiger in's Volksbewußtsein einge- wurzelter Mythen hinzuweisen.
2. Kenntniß des thierischen Baues.
Verkehrt wäre es, im Alterthum schon zootomisches Material in genügender Menge zu erwarten, um die Bildung allgemeiner morpho- logischer Ansichten inductiv auf solchen sich erheben zu sehen. Um so merkwürdiger ist es, daß auch hier Aristoteles in wunderbar klarer Weise schon manche Gesetze erkannte, welche als erste Fälle einer be- wußten Anwendung des später sogenannten Gesetzes der Correlation der Theile sicher auch seine systematischen Ansichten bestätigen halfen. Es wurde früher darauf hingewiesen, wie zunächst die sich zufällig bie- tenden Erscheinungen bei dem Opfern und Schlachten von Thieren auf gewisse allgemeine anatomische Anschauungen führten. Das medicinische Bedürfniß nach Kenntniß des menschlichen Körpers ließ dann die Un- tersuchungen planmäßig weiter führen. Endlich kamen noch allgemeine philosophische und besonders psychologische Fragen auf, deren Beant- wortung (z. B. die Sinneswahrnehmungen) aus einer Betrachtung der betreffenden Organe herzuleiten für möglich gehalten wurde. Die beiden letzten Gesichtspunkte waren aber ihres subjectiven Hintergrun- des wegen bedenkliche Quellen von Täuschung. Die Uebertragung des bei Thieren Gefundenen auf den Menschen und die Deutung thierischer Organe nach der (oft nur hypothetisch vorausgesetzten) Leistung der für entsprechend gehaltenen menschlichen mußte häufig zu Irrthümern füh- ren. Die Sinnesorgane konnten ohne einen einigermaßen vorgeschritte- nen Entwickelungszustand der Physik keine richtigen Anhaltepunkte zur
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
thum bis in das Mittelalter hineinreichten. Knüpft ſich die Geſchichte einer Wiſſenſchaft, deren Objecte nicht erſt durch künſtlich angeſtellte Verſuche und durch ſpeculative Operationen zu entdecken ſind, zu einem guten Theil an die allmähliche Aufklärung früher herrſchender Irrthü- mer, ſo kann eine in's Einzelne gehende Aufzählung ſolcher hier um ſo mehr unterlaſſen werden, als die Beſprechung der mittelalterlichen Quellen zur Geſchichte der Zoologie ebenſo wie die Geſchichte der Kennt- niß einzelner Klaſſen mehrfach Gelegenheit bieten wird, auf die äußerſt langſam erfolgende Beſeitigung derartiger in's Volksbewußtſein einge- wurzelter Mythen hinzuweiſen.
2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Verkehrt wäre es, im Alterthum ſchon zootomiſches Material in genügender Menge zu erwarten, um die Bildung allgemeiner morpho- logiſcher Anſichten inductiv auf ſolchen ſich erheben zu ſehen. Um ſo merkwürdiger iſt es, daß auch hier Ariſtoteles in wunderbar klarer Weiſe ſchon manche Geſetze erkannte, welche als erſte Fälle einer be- wußten Anwendung des ſpäter ſogenannten Geſetzes der Correlation der Theile ſicher auch ſeine ſyſtematiſchen Anſichten beſtätigen halfen. Es wurde früher darauf hingewieſen, wie zunächſt die ſich zufällig bie- tenden Erſcheinungen bei dem Opfern und Schlachten von Thieren auf gewiſſe allgemeine anatomiſche Anſchauungen führten. Das mediciniſche Bedürfniß nach Kenntniß des menſchlichen Körpers ließ dann die Un- terſuchungen planmäßig weiter führen. Endlich kamen noch allgemeine philoſophiſche und beſonders pſychologiſche Fragen auf, deren Beant- wortung (z. B. die Sinneswahrnehmungen) aus einer Betrachtung der betreffenden Organe herzuleiten für möglich gehalten wurde. Die beiden letzten Geſichtspunkte waren aber ihres ſubjectiven Hintergrun- des wegen bedenkliche Quellen von Täuſchung. Die Uebertragung des bei Thieren Gefundenen auf den Menſchen und die Deutung thieriſcher Organe nach der (oft nur hypothetiſch vorausgeſetzten) Leiſtung der für entſprechend gehaltenen menſchlichen mußte häufig zu Irrthümern füh- ren. Die Sinnesorgane konnten ohne einen einigermaßen vorgeſchritte- nen Entwickelungszuſtand der Phyſik keine richtigen Anhaltepunkte zur
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Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
thum bis in das Mittelalter hineinreichten. Knüpft ſich die Geſchichte
einer Wiſſenſchaft, deren Objecte nicht erſt durch künſtlich angeſtellte
Verſuche und durch ſpeculative Operationen zu entdecken ſind, zu einem
guten Theil an die allmähliche Aufklärung früher herrſchender Irrthü-
mer, ſo kann eine in's Einzelne gehende Aufzählung ſolcher hier um ſo
mehr unterlaſſen werden, als die Beſprechung der mittelalterlichen
Quellen zur Geſchichte der Zoologie ebenſo wie die Geſchichte der Kennt-
niß einzelner Klaſſen mehrfach Gelegenheit bieten wird, auf die äußerſt
langſam erfolgende Beſeitigung derartiger in's Volksbewußtſein einge-
wurzelter Mythen hinzuweiſen.
2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Verkehrt wäre es, im Alterthum ſchon zootomiſches Material in
genügender Menge zu erwarten, um die Bildung allgemeiner morpho-
logiſcher Anſichten inductiv auf ſolchen ſich erheben zu ſehen. Um ſo
merkwürdiger iſt es, daß auch hier Ariſtoteles in wunderbar klarer
Weiſe ſchon manche Geſetze erkannte, welche als erſte Fälle einer be-
wußten Anwendung des ſpäter ſogenannten Geſetzes der Correlation
der Theile ſicher auch ſeine ſyſtematiſchen Anſichten beſtätigen halfen.
Es wurde früher darauf hingewieſen, wie zunächſt die ſich zufällig bie-
tenden Erſcheinungen bei dem Opfern und Schlachten von Thieren auf
gewiſſe allgemeine anatomiſche Anſchauungen führten. Das mediciniſche
Bedürfniß nach Kenntniß des menſchlichen Körpers ließ dann die Un-
terſuchungen planmäßig weiter führen. Endlich kamen noch allgemeine
philoſophiſche und beſonders pſychologiſche Fragen auf, deren Beant-
wortung (z. B. die Sinneswahrnehmungen) aus einer Betrachtung
der betreffenden Organe herzuleiten für möglich gehalten wurde. Die
beiden letzten Geſichtspunkte waren aber ihres ſubjectiven Hintergrun-
des wegen bedenkliche Quellen von Täuſchung. Die Uebertragung des
bei Thieren Gefundenen auf den Menſchen und die Deutung thieriſcher
Organe nach der (oft nur hypothetiſch vorausgeſetzten) Leiſtung der für
entſprechend gehaltenen menſchlichen mußte häufig zu Irrthümern füh-
ren. Die Sinnesorgane konnten ohne einen einigermaßen vorgeſchritte-
nen Entwickelungszuſtand der Phyſik keine richtigen Anhaltepunkte zur
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/67>, abgerufen am 23.11.2024.
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