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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.
legen. Die Auseinandersetzungen Pacchioni's über einen vermeintlichen
Bewegungsmechanismus in der harten Hirnhaut wurzelte zum großen
Theil in der alten Lehre von der Bewegung der Lebensgeister durch das
Gehirn. An Stelle dieser hatte schon Glisson eine der "Faser" innewoh-
nende besondere Eigenthümlichkeit gesetzt und war zum erstenmale mit
der "Irritabilität" hervorgetreten, welche allmählich unter den Händen
Fr. Hoffmann's, Gorter's und später Haller's zur Grundlage eines phy-
siologischen, durch den in ihm herrschenden Dynamismus die weiteren
Fortschritte nicht sehr unterstützenden Systems wurde. Die Anatomie
des Menschen erfuhr in Deutschland nur wenig Förderung, da gerade
in der hier vorliegenden Zeit die Zergliederung von Leichen nur selten
und schwierig zu erreichen war. Doch war das Compendium des als
Chirurgen so bekannten Lorenz Heister (erschien zuerst 1717) mit dem
Handbuche Winslow's, welcher unter günstigeren Verhältnissen Anato-
mie in Paris lehrte, ein halbes Jahrhundert lang in Ansehen. Blühen-
der war der Zustand der Anatomie in Italien, wo Valsalva, Santo-
rini und Morgagni arbeiteten, und in Holland, besonders Leyden, wo
Bernhard Siegfried Albinus nicht bloß die Zergliederungen immer
regelmäßiger und zahlreicher vornahm, sondern auch die anatomischen
Abbildungen zu künstlerischen Aufgaben erhob. In Bezug auf Ent-
wickelungsgeschichte hatte der ältere (Walther) Needham in seiner
Schrift de formato foetu schon auf die Punkte hingewiesen, welche bei
einer Vergleichung des Vogeleies mit dem Ei der Säugethiere in Be-
rücksichtigung zu nehmen sind. -- Ist auch das erste Drittel des acht-
zehnten Jahrhunderts durch keine umgestaltende Entdeckung auf dem
Gebiete der Anatomie ausgezeichnet, so wurden doch durch zahlreiche
Arbeiten vor Allem die Entdeckungen Harvey's immer sicherer bestä-
tigt und verwerthet und an der Hand positiver Thatsachen ein Vorur-
theil nach dem andern abgestreift.

Auch die Anatomie der Thiere, welche hundert und fünfzig Jahre
früher auf Anregung der menschlichen Anatomie neue Leistungen hatte
entstehen sehen, blieb nicht bei dem bisher Errungenen stehen. Den
Schritten Perrault's folgte Michael Sarrasin, welcher in Nord-
Amerika verschiedene Säugethiere zergliederte, Biber, Vielfraß, Original

Periode der Syſtematik.
legen. Die Auseinanderſetzungen Pacchioni's über einen vermeintlichen
Bewegungsmechanismus in der harten Hirnhaut wurzelte zum großen
Theil in der alten Lehre von der Bewegung der Lebensgeiſter durch das
Gehirn. An Stelle dieſer hatte ſchon Gliſſon eine der „Faſer“ innewoh-
nende beſondere Eigenthümlichkeit geſetzt und war zum erſtenmale mit
der „Irritabilität“ hervorgetreten, welche allmählich unter den Händen
Fr. Hoffmann's, Gorter's und ſpäter Haller's zur Grundlage eines phy-
ſiologiſchen, durch den in ihm herrſchenden Dynamismus die weiteren
Fortſchritte nicht ſehr unterſtützenden Syſtems wurde. Die Anatomie
des Menſchen erfuhr in Deutſchland nur wenig Förderung, da gerade
in der hier vorliegenden Zeit die Zergliederung von Leichen nur ſelten
und ſchwierig zu erreichen war. Doch war das Compendium des als
Chirurgen ſo bekannten Lorenz Heiſter (erſchien zuerſt 1717) mit dem
Handbuche Winslow's, welcher unter günſtigeren Verhältniſſen Anato-
mie in Paris lehrte, ein halbes Jahrhundert lang in Anſehen. Blühen-
der war der Zuſtand der Anatomie in Italien, wo Valſalva, Santo-
rini und Morgagni arbeiteten, und in Holland, beſonders Leyden, wo
Bernhard Siegfried Albinus nicht bloß die Zergliederungen immer
regelmäßiger und zahlreicher vornahm, ſondern auch die anatomiſchen
Abbildungen zu künſtleriſchen Aufgaben erhob. In Bezug auf Ent-
wickelungsgeſchichte hatte der ältere (Walther) Needham in ſeiner
Schrift de formato foetu ſchon auf die Punkte hingewieſen, welche bei
einer Vergleichung des Vogeleies mit dem Ei der Säugethiere in Be-
rückſichtigung zu nehmen ſind. — Iſt auch das erſte Drittel des acht-
zehnten Jahrhunderts durch keine umgeſtaltende Entdeckung auf dem
Gebiete der Anatomie ausgezeichnet, ſo wurden doch durch zahlreiche
Arbeiten vor Allem die Entdeckungen Harvey's immer ſicherer beſtä-
tigt und verwerthet und an der Hand poſitiver Thatſachen ein Vorur-
theil nach dem andern abgeſtreift.

Auch die Anatomie der Thiere, welche hundert und fünfzig Jahre
früher auf Anregung der menſchlichen Anatomie neue Leiſtungen hatte
entſtehen ſehen, blieb nicht bei dem bisher Errungenen ſtehen. Den
Schritten Perrault's folgte Michael Sarraſin, welcher in Nord-
Amerika verſchiedene Säugethiere zergliederte, Biber, Vielfraß, Original

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[450/0461] Periode der Syſtematik. legen. Die Auseinanderſetzungen Pacchioni's über einen vermeintlichen Bewegungsmechanismus in der harten Hirnhaut wurzelte zum großen Theil in der alten Lehre von der Bewegung der Lebensgeiſter durch das Gehirn. An Stelle dieſer hatte ſchon Gliſſon eine der „Faſer“ innewoh- nende beſondere Eigenthümlichkeit geſetzt und war zum erſtenmale mit der „Irritabilität“ hervorgetreten, welche allmählich unter den Händen Fr. Hoffmann's, Gorter's und ſpäter Haller's zur Grundlage eines phy- ſiologiſchen, durch den in ihm herrſchenden Dynamismus die weiteren Fortſchritte nicht ſehr unterſtützenden Syſtems wurde. Die Anatomie des Menſchen erfuhr in Deutſchland nur wenig Förderung, da gerade in der hier vorliegenden Zeit die Zergliederung von Leichen nur ſelten und ſchwierig zu erreichen war. Doch war das Compendium des als Chirurgen ſo bekannten Lorenz Heiſter (erſchien zuerſt 1717) mit dem Handbuche Winslow's, welcher unter günſtigeren Verhältniſſen Anato- mie in Paris lehrte, ein halbes Jahrhundert lang in Anſehen. Blühen- der war der Zuſtand der Anatomie in Italien, wo Valſalva, Santo- rini und Morgagni arbeiteten, und in Holland, beſonders Leyden, wo Bernhard Siegfried Albinus nicht bloß die Zergliederungen immer regelmäßiger und zahlreicher vornahm, ſondern auch die anatomiſchen Abbildungen zu künſtleriſchen Aufgaben erhob. In Bezug auf Ent- wickelungsgeſchichte hatte der ältere (Walther) Needham in ſeiner Schrift de formato foetu ſchon auf die Punkte hingewieſen, welche bei einer Vergleichung des Vogeleies mit dem Ei der Säugethiere in Be- rückſichtigung zu nehmen ſind. — Iſt auch das erſte Drittel des acht- zehnten Jahrhunderts durch keine umgeſtaltende Entdeckung auf dem Gebiete der Anatomie ausgezeichnet, ſo wurden doch durch zahlreiche Arbeiten vor Allem die Entdeckungen Harvey's immer ſicherer beſtä- tigt und verwerthet und an der Hand poſitiver Thatſachen ein Vorur- theil nach dem andern abgeſtreift. Auch die Anatomie der Thiere, welche hundert und fünfzig Jahre früher auf Anregung der menſchlichen Anatomie neue Leiſtungen hatte entſtehen ſehen, blieb nicht bei dem bisher Errungenen ſtehen. Den Schritten Perrault's folgte Michael Sarraſin, welcher in Nord- Amerika verſchiedene Säugethiere zergliederte, Biber, Vielfraß, Original

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/461>, abgerufen am 23.11.2024.