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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.
Grundlage der Classification und die Einführung von schärferen Defi-
nitionen nicht bloß für die Arten selbst, sondern auch für größere Grup-
pen und auch für Terminologie. In Bezug auf die letztere war
wie bemerkt fast gleichzeitig W. Charleton thätig. Was bei diesem
Folge eingehenden Nachdenkens ist, erscheint bei Ray beinahe als in-
stinctiver Drang. Es fällt bei ihm überhaupt die größere Präcision der
Sprache, die unzweideutige Verwendung der bei den einzelnen Be-
schreibungen benutzten Ausdrücke auf. Ganz besonders aber ist Ray
durch die zuerst bei ihm auftretende Definition der Species in dem
neuern systematischen Sinne für die Entwickelung der beschreibenden
Naturwissenschaften von der größten Bedeutung. Von verschiedenen
Schriftstellern ist dieses Verdienst, wie man es trotz mancher Nach-
theile doch nennen muß, schon viel früheren Zoologen, z. B. Albert
dem Großen zugeschrieben worden. Es läßt sich indessen unschwer
nachweisen, daß der Ausdruck Species bis zu Ray's Zeit ausschließlich
nur im logisch formalen Sinne gebraucht wurde und daß er daher je
nach der Reihenfolge der geschilderten und zu ordnenden Gegenstände
ebenso gut eine niedere wie eine höhere natürliche Gruppe umfaßte.
Den früher mitgetheilten Stellen aus Albert dem Großen, Gesner,
Sperling ließen sich hier ganz ähnliche aus Schriftstellern des siebzehn-
ten Jahrhunderts anschließen. Zugegeben muß freilich werden, daß es
wie oben angedeutet im Interesse der strengen Forschung gelegen hätte,
die Wissenschaft von einer künstlich erzeugten Einheit, wie der Begriff
der Art es ist, frei zu halten, da sich an dieselbe eine Reihe theils un-
erwiesener oder nicht erweisbarer, theils rein metaphysischer (oder viel-
leicht richtiger supranaturalistischer) Behauptungen anschlossen. Man
kann es wohl ein über das Ziel hinaus-Schießen nennen, wenn der
methodisch geforderten Einheit, von welcher aus das System aufzu-
bauen ist, eine Unbeugsamkeit beigelegt wurde, welche immer starrer
dogmatisch auszubilden Spätere sich nicht enthalten konnten und welche
zu bekämpfen außergewöhnliche Anstrengungen nöthig waren, zum
Theil sogar jetzt noch gemacht werden müssen. Jedenfalls waren die
älteren Zoologen mit Aristoteles ungleich unbefangener, wenn sie die
sich ihnen darbietenden thierischen Formen lediglich logisch formal nach

Periode der Syſtematik.
Grundlage der Claſſification und die Einführung von ſchärferen Defi-
nitionen nicht bloß für die Arten ſelbſt, ſondern auch für größere Grup-
pen und auch für Terminologie. In Bezug auf die letztere war
wie bemerkt faſt gleichzeitig W. Charleton thätig. Was bei dieſem
Folge eingehenden Nachdenkens iſt, erſcheint bei Ray beinahe als in-
ſtinctiver Drang. Es fällt bei ihm überhaupt die größere Präciſion der
Sprache, die unzweideutige Verwendung der bei den einzelnen Be-
ſchreibungen benutzten Ausdrücke auf. Ganz beſonders aber iſt Ray
durch die zuerſt bei ihm auftretende Definition der Species in dem
neuern ſyſtematiſchen Sinne für die Entwickelung der beſchreibenden
Naturwiſſenſchaften von der größten Bedeutung. Von verſchiedenen
Schriftſtellern iſt dieſes Verdienſt, wie man es trotz mancher Nach-
theile doch nennen muß, ſchon viel früheren Zoologen, z. B. Albert
dem Großen zugeſchrieben worden. Es läßt ſich indeſſen unſchwer
nachweiſen, daß der Ausdruck Species bis zu Ray's Zeit ausſchließlich
nur im logiſch formalen Sinne gebraucht wurde und daß er daher je
nach der Reihenfolge der geſchilderten und zu ordnenden Gegenſtände
ebenſo gut eine niedere wie eine höhere natürliche Gruppe umfaßte.
Den früher mitgetheilten Stellen aus Albert dem Großen, Gesner,
Sperling ließen ſich hier ganz ähnliche aus Schriftſtellern des ſiebzehn-
ten Jahrhunderts anſchließen. Zugegeben muß freilich werden, daß es
wie oben angedeutet im Intereſſe der ſtrengen Forſchung gelegen hätte,
die Wiſſenſchaft von einer künſtlich erzeugten Einheit, wie der Begriff
der Art es iſt, frei zu halten, da ſich an dieſelbe eine Reihe theils un-
erwieſener oder nicht erweisbarer, theils rein metaphyſiſcher (oder viel-
leicht richtiger ſupranaturaliſtiſcher) Behauptungen anſchloſſen. Man
kann es wohl ein über das Ziel hinaus-Schießen nennen, wenn der
methodiſch geforderten Einheit, von welcher aus das Syſtem aufzu-
bauen iſt, eine Unbeugſamkeit beigelegt wurde, welche immer ſtarrer
dogmatiſch auszubilden Spätere ſich nicht enthalten konnten und welche
zu bekämpfen außergewöhnliche Anſtrengungen nöthig waren, zum
Theil ſogar jetzt noch gemacht werden müſſen. Jedenfalls waren die
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[432/0443] Periode der Syſtematik. Grundlage der Claſſification und die Einführung von ſchärferen Defi- nitionen nicht bloß für die Arten ſelbſt, ſondern auch für größere Grup- pen und auch für Terminologie. In Bezug auf die letztere war wie bemerkt faſt gleichzeitig W. Charleton thätig. Was bei dieſem Folge eingehenden Nachdenkens iſt, erſcheint bei Ray beinahe als in- ſtinctiver Drang. Es fällt bei ihm überhaupt die größere Präciſion der Sprache, die unzweideutige Verwendung der bei den einzelnen Be- ſchreibungen benutzten Ausdrücke auf. Ganz beſonders aber iſt Ray durch die zuerſt bei ihm auftretende Definition der Species in dem neuern ſyſtematiſchen Sinne für die Entwickelung der beſchreibenden Naturwiſſenſchaften von der größten Bedeutung. Von verſchiedenen Schriftſtellern iſt dieſes Verdienſt, wie man es trotz mancher Nach- theile doch nennen muß, ſchon viel früheren Zoologen, z. B. Albert dem Großen zugeſchrieben worden. Es läßt ſich indeſſen unſchwer nachweiſen, daß der Ausdruck Species bis zu Ray's Zeit ausſchließlich nur im logiſch formalen Sinne gebraucht wurde und daß er daher je nach der Reihenfolge der geſchilderten und zu ordnenden Gegenſtände ebenſo gut eine niedere wie eine höhere natürliche Gruppe umfaßte. Den früher mitgetheilten Stellen aus Albert dem Großen, Gesner, Sperling ließen ſich hier ganz ähnliche aus Schriftſtellern des ſiebzehn- ten Jahrhunderts anſchließen. Zugegeben muß freilich werden, daß es wie oben angedeutet im Intereſſe der ſtrengen Forſchung gelegen hätte, die Wiſſenſchaft von einer künſtlich erzeugten Einheit, wie der Begriff der Art es iſt, frei zu halten, da ſich an dieſelbe eine Reihe theils un- erwieſener oder nicht erweisbarer, theils rein metaphyſiſcher (oder viel- leicht richtiger ſupranaturaliſtiſcher) Behauptungen anſchloſſen. Man kann es wohl ein über das Ziel hinaus-Schießen nennen, wenn der methodiſch geforderten Einheit, von welcher aus das Syſtem aufzu- bauen iſt, eine Unbeugſamkeit beigelegt wurde, welche immer ſtarrer dogmatiſch auszubilden Spätere ſich nicht enthalten konnten und welche zu bekämpfen außergewöhnliche Anſtrengungen nöthig waren, zum Theil ſogar jetzt noch gemacht werden müſſen. Jedenfalls waren die älteren Zoologen mit Ariſtoteles ungleich unbefangener, wenn ſie die ſich ihnen darbietenden thieriſchen Formen lediglich logiſch formal nach

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/443>, abgerufen am 15.08.2024.