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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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als Swammerdam's Freund genannten Nicolaus Steno zu dan-
ken ist, daß die Muskeln nicht, wie es bis in die zweite Hälfte des
siebzehnten Jahrhunderts häufig genug noch durchklingt, bloßes Füll-
material oder Hülfsorgane des Getastes sind, sondern die eigentlichen
activen Bewegungsorgane. Steno wies nach, daß sich die Muskeln
bei ihrer Zusammenziehung selbst verkürzten. Borelli führte diese
Fundamentalerscheinung auf die Elasticität der Muskeln zurück, welche
unter dem Einfluß der Nerven in Thätigkeit trete. Hierdurch sowie
durch die übrigen in seiner Schrift über die Bewegungen der Thiere
enthaltenen Beobachtungen und Ableitungen legte er den Grund zu der
Mechanik des Thierkörpers. Die Kenntniß der Verdauungsorgane
erhielt durch den oben erwähnten Nehemia Grew eine Bereiche-
rung in seiner "Vergleichenden Anatomie der Magen und Därme",
welche er seiner Schilderung des Museums der Königlichen Gesellschaft
in London anhängte. Nimmt man die oben besprochenen Arbeiten auf
dem Gebiete der Zeugungs- und Entwickelungsgeschichte noch hinzu, so
ergibt sich, daß das ganze anatomische Lehrgebäude ein wesentlich an-
deres Ansehen erhalten hatte. Freilich war von eigentlicher Verglei-
chung nur vereinzelt ein Zug zu finden; und wenn man auch seit Willis
von "vergleichender Anatomie" sprach, auch bereits anfieng,
zooto-
mische Schilderungen systematisch den Beschreibungen des menschlichen
Baues anzufügen, wie es z. B. Samuel Collins in seinem Sy-
stem der Anatomie that, so war man doch von der Erkennung der ver-
schiedenen, im Thierreiche vorliegenden anatomischen Grundpläne noch
weit entfernt, da man selbst im glücklichen Falle eines möglichst weiten
Gesichtskreises alles Thierische mit menschlichem Maße maß. Davon,
bei Thierzergliederungen nur die Verschiedenheiten zu sehen, war man
allerdings etwas zurückgekommen; statt aber Einheit des Planes nach-
zuweisen, bezog man die Aehnlichkeit des anatomischen Baues auf eine
Uebereinstimmung der physiologischen Leistung.

Welche Bedeutung indessen der Anatomie der Thiere in der Zeit
beigelegt wurde, in welcher die ersten systematischen Versuche die ver-
schiedenen thierischen Formen zu ordnen bestrebt waren, beweisen neben
den zahlreichen Einzelarbeiten die beiden, ziemlich bald nach einander

als Swammerdam's Freund genannten Nicolaus Steno zu dan-
ken iſt, daß die Muskeln nicht, wie es bis in die zweite Hälfte des
ſiebzehnten Jahrhunderts häufig genug noch durchklingt, bloßes Füll-
material oder Hülfsorgane des Getaſtes ſind, ſondern die eigentlichen
activen Bewegungsorgane. Steno wies nach, daß ſich die Muskeln
bei ihrer Zuſammenziehung ſelbſt verkürzten. Borelli führte dieſe
Fundamentalerſcheinung auf die Elaſticität der Muskeln zurück, welche
unter dem Einfluß der Nerven in Thätigkeit trete. Hierdurch ſowie
durch die übrigen in ſeiner Schrift über die Bewegungen der Thiere
enthaltenen Beobachtungen und Ableitungen legte er den Grund zu der
Mechanik des Thierkörpers. Die Kenntniß der Verdauungsorgane
erhielt durch den oben erwähnten Nehemia Grew eine Bereiche-
rung in ſeiner „Vergleichenden Anatomie der Magen und Därme“,
welche er ſeiner Schilderung des Muſeums der Königlichen Geſellſchaft
in London anhängte. Nimmt man die oben beſprochenen Arbeiten auf
dem Gebiete der Zeugungs- und Entwickelungsgeſchichte noch hinzu, ſo
ergibt ſich, daß das ganze anatomiſche Lehrgebäude ein weſentlich an-
deres Anſehen erhalten hatte. Freilich war von eigentlicher Verglei-
chung nur vereinzelt ein Zug zu finden; und wenn man auch ſeit Willis
von „vergleichender Anatomie“ ſprach, auch bereits anfieng,
zooto-
miſche Schilderungen ſyſtematiſch den Beſchreibungen des menſchlichen
Baues anzufügen, wie es z. B. Samuel Collins in ſeinem Sy-
ſtem der Anatomie that, ſo war man doch von der Erkennung der ver-
ſchiedenen, im Thierreiche vorliegenden anatomiſchen Grundpläne noch
weit entfernt, da man ſelbſt im glücklichen Falle eines möglichſt weiten
Geſichtskreiſes alles Thieriſche mit menſchlichem Maße maß. Davon,
bei Thierzergliederungen nur die Verſchiedenheiten zu ſehen, war man
allerdings etwas zurückgekommen; ſtatt aber Einheit des Planes nach-
zuweiſen, bezog man die Aehnlichkeit des anatomiſchen Baues auf eine
Uebereinſtimmung der phyſiologiſchen Leiſtung.

Welche Bedeutung indeſſen der Anatomie der Thiere in der Zeit
beigelegt wurde, in welcher die erſten ſyſtematiſchen Verſuche die ver-
ſchiedenen thieriſchen Formen zu ordnen beſtrebt waren, beweiſen neben
den zahlreichen Einzelarbeiten die beiden, ziemlich bald nach einander

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[405/0416] Steno, Borelli, Grew. als Swammerdam's Freund genannten Nicolaus Steno zu dan- ken iſt, daß die Muskeln nicht, wie es bis in die zweite Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts häufig genug noch durchklingt, bloßes Füll- material oder Hülfsorgane des Getaſtes ſind, ſondern die eigentlichen activen Bewegungsorgane. Steno wies nach, daß ſich die Muskeln bei ihrer Zuſammenziehung ſelbſt verkürzten. Borelli führte dieſe Fundamentalerſcheinung auf die Elaſticität der Muskeln zurück, welche unter dem Einfluß der Nerven in Thätigkeit trete. Hierdurch ſowie durch die übrigen in ſeiner Schrift über die Bewegungen der Thiere enthaltenen Beobachtungen und Ableitungen legte er den Grund zu der Mechanik des Thierkörpers. Die Kenntniß der Verdauungsorgane erhielt durch den oben erwähnten Nehemia Grew eine Bereiche- rung in ſeiner „Vergleichenden Anatomie der Magen und Därme“, welche er ſeiner Schilderung des Muſeums der Königlichen Geſellſchaft in London anhängte. Nimmt man die oben beſprochenen Arbeiten auf dem Gebiete der Zeugungs- und Entwickelungsgeſchichte noch hinzu, ſo ergibt ſich, daß das ganze anatomiſche Lehrgebäude ein weſentlich an- deres Anſehen erhalten hatte. Freilich war von eigentlicher Verglei- chung nur vereinzelt ein Zug zu finden; und wenn man auch ſeit Willis von „vergleichender Anatomie“ ſprach, auch bereits anfieng, zooto- miſche Schilderungen ſyſtematiſch den Beſchreibungen des menſchlichen Baues anzufügen, wie es z. B. Samuel Collins in ſeinem Sy- ſtem der Anatomie that, ſo war man doch von der Erkennung der ver- ſchiedenen, im Thierreiche vorliegenden anatomiſchen Grundpläne noch weit entfernt, da man ſelbſt im glücklichen Falle eines möglichſt weiten Geſichtskreiſes alles Thieriſche mit menſchlichem Maße maß. Davon, bei Thierzergliederungen nur die Verſchiedenheiten zu ſehen, war man allerdings etwas zurückgekommen; ſtatt aber Einheit des Planes nach- zuweiſen, bezog man die Aehnlichkeit des anatomiſchen Baues auf eine Uebereinſtimmung der phyſiologiſchen Leiſtung. Welche Bedeutung indeſſen der Anatomie der Thiere in der Zeit beigelegt wurde, in welcher die erſten ſyſtematiſchen Verſuche die ver- ſchiedenen thieriſchen Formen zu ordnen beſtrebt waren, beweiſen neben den zahlreichen Einzelarbeiten die beiden, ziemlich bald nach einander

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/416>, abgerufen am 25.11.2024.