Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der Systematik.
mit gerinnenden Massen hier zum ersten Male als wichtiges Untersu-
chungsmittel auf. Malpighi besaß zwar die Kunstfertigkeit der von
Swammerdam erfundenen Injection nicht in demselben Grade hoher
technischer Vollkommenheit, wie sie Ruysch sich angeeignet hatte. Es
verdient aber überhaupt die Einführung derselben in die Reihe der ge-
bräuchlichen Mittel hervorgehoben zu werden. Zu allen diesen kam
nun noch der Gebrauch des Mikroskops. Aber abgesehen von den
äußeren Beobachtungsmitteln findet sich bei Malpighi auch ein bedeu-
tender methodischer Fortschritt darin, daß er es geradezu ausspricht,
die vollkommneren Thiere bedürften zur Erklärung ihres anatomischen
Verhaltens des "Analogismus der einfacheren". An die Stelle des
trockenen Hervorhebens der Verschiedenheiten bricht also hier zum er-
stenmale der Gedanke durch, daß dem reich gegliederten Bau höherer
Thiere ein einfacherer gegenüberstehe, welcher durch eine allmähliche
Complication in jenen hinüberführe. Dieser Gedanke war es, welcher
Malpighi selbst bei den Insecten nicht stehen bleiben ließ, sondern ihn
veranlaßte, sich nach noch einfacheren oder den einfachsten Lebensfor-
men umzusehen. Zu diesem Behufe untersuchte er die Pflanzen ana-
tomisch mittelst des Mikroskops; und wenn ihm auch Robert Hooke
in dem Auffinden des zelligen Baues derselben vorangegangen war, so
erkannte er doch die Bedeutung dieser Zusammensetzungsweise zuerst
und schilderte die Betheiligung der von ihm Schläuche (utriculi) ge-
nannten Zellen am Aufbau des Pflanzenkörpers. Nicht zu verschwei-
gen ist es freilich, daß Malpighi trotz seines weiten Gesichtskreises in
einen vielleicht gerade durch diese Weite zu erklärenden Fehler gerieth,
welcher ihn vom Erkennen mancher Wahrheit abhielt; er verallgemei-
nerte zu schnell und zu viel. Wahrscheinlich in Folge unvollkommener
Injectionen und nicht völlig klarer mikroskopischer Bilder glaubte er
im Thierkörper fast überall kleine absondernde Drüsen wahrzunehmen;
und durch Analogie verleitet erblickte er auch in den Staubgefäßen der
Pflanzen nicht die Träger des Befruchtungsstoffes, sondern auch nur
absondernde Elemente. Dieser bei den verschiedensten Gelegenheiten
sich geltend machende Fehler hinderte ihn möglicherweise am Entdecken
der thierischen Zelle, der er doch bei der Untersuchung von Embryonen

Periode der Syſtematik.
mit gerinnenden Maſſen hier zum erſten Male als wichtiges Unterſu-
chungsmittel auf. Malpighi beſaß zwar die Kunſtfertigkeit der von
Swammerdam erfundenen Injection nicht in demſelben Grade hoher
techniſcher Vollkommenheit, wie ſie Ruyſch ſich angeeignet hatte. Es
verdient aber überhaupt die Einführung derſelben in die Reihe der ge-
bräuchlichen Mittel hervorgehoben zu werden. Zu allen dieſen kam
nun noch der Gebrauch des Mikroſkops. Aber abgeſehen von den
äußeren Beobachtungsmitteln findet ſich bei Malpighi auch ein bedeu-
tender methodiſcher Fortſchritt darin, daß er es geradezu ausſpricht,
die vollkommneren Thiere bedürften zur Erklärung ihres anatomiſchen
Verhaltens des „Analogismus der einfacheren“. An die Stelle des
trockenen Hervorhebens der Verſchiedenheiten bricht alſo hier zum er-
ſtenmale der Gedanke durch, daß dem reich gegliederten Bau höherer
Thiere ein einfacherer gegenüberſtehe, welcher durch eine allmähliche
Complication in jenen hinüberführe. Dieſer Gedanke war es, welcher
Malpighi ſelbſt bei den Inſecten nicht ſtehen bleiben ließ, ſondern ihn
veranlaßte, ſich nach noch einfacheren oder den einfachſten Lebensfor-
men umzuſehen. Zu dieſem Behufe unterſuchte er die Pflanzen ana-
tomiſch mittelſt des Mikroſkops; und wenn ihm auch Robert Hooke
in dem Auffinden des zelligen Baues derſelben vorangegangen war, ſo
erkannte er doch die Bedeutung dieſer Zuſammenſetzungsweiſe zuerſt
und ſchilderte die Betheiligung der von ihm Schläuche (utriculi) ge-
nannten Zellen am Aufbau des Pflanzenkörpers. Nicht zu verſchwei-
gen iſt es freilich, daß Malpighi trotz ſeines weiten Geſichtskreiſes in
einen vielleicht gerade durch dieſe Weite zu erklärenden Fehler gerieth,
welcher ihn vom Erkennen mancher Wahrheit abhielt; er verallgemei-
nerte zu ſchnell und zu viel. Wahrſcheinlich in Folge unvollkommener
Injectionen und nicht völlig klarer mikroſkopiſcher Bilder glaubte er
im Thierkörper faſt überall kleine abſondernde Drüſen wahrzunehmen;
und durch Analogie verleitet erblickte er auch in den Staubgefäßen der
Pflanzen nicht die Träger des Befruchtungsſtoffes, ſondern auch nur
abſondernde Elemente. Dieſer bei den verſchiedenſten Gelegenheiten
ſich geltend machende Fehler hinderte ihn möglicherweiſe am Entdecken
der thieriſchen Zelle, der er doch bei der Unterſuchung von Embryonen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="396"/><fw place="top" type="header">Periode der Sy&#x017F;tematik.</fw><lb/>
mit gerinnenden Ma&#x017F;&#x017F;en hier zum er&#x017F;ten Male als wichtiges Unter&#x017F;u-<lb/>
chungsmittel auf. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName> be&#x017F;aß zwar die Kun&#x017F;tfertigkeit der von<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119475308">Swammerdam</persName> erfundenen Injection nicht in dem&#x017F;elben Grade hoher<lb/>
techni&#x017F;cher Vollkommenheit, wie &#x017F;ie <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11671235X">Ruy&#x017F;ch</persName></hi> &#x017F;ich angeeignet hatte. Es<lb/>
verdient aber überhaupt die Einführung der&#x017F;elben in die Reihe der ge-<lb/>
bräuchlichen Mittel hervorgehoben zu werden. Zu allen die&#x017F;en kam<lb/>
nun noch der Gebrauch des Mikro&#x017F;kops. Aber abge&#x017F;ehen von den<lb/>
äußeren Beobachtungsmitteln findet &#x017F;ich bei <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName> auch ein bedeu-<lb/>
tender methodi&#x017F;cher Fort&#x017F;chritt darin, daß er es geradezu aus&#x017F;pricht,<lb/>
die vollkommneren Thiere bedürften zur Erklärung ihres anatomi&#x017F;chen<lb/>
Verhaltens des &#x201E;Analogismus der einfacheren&#x201C;. An die Stelle des<lb/>
trockenen Hervorhebens der Ver&#x017F;chiedenheiten bricht al&#x017F;o hier zum er-<lb/>
&#x017F;tenmale der Gedanke durch, daß dem reich gegliederten Bau höherer<lb/>
Thiere ein einfacherer gegenüber&#x017F;tehe, welcher durch eine allmähliche<lb/>
Complication in jenen hinüberführe. Die&#x017F;er Gedanke war es, welcher<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName> &#x017F;elb&#x017F;t bei den In&#x017F;ecten nicht &#x017F;tehen bleiben ließ, &#x017F;ondern ihn<lb/>
veranlaßte, &#x017F;ich nach noch einfacheren oder den einfach&#x017F;ten Lebensfor-<lb/>
men umzu&#x017F;ehen. Zu die&#x017F;em Behufe unter&#x017F;uchte er die Pflanzen ana-<lb/>
tomi&#x017F;ch mittel&#x017F;t des Mikro&#x017F;kops; und wenn ihm auch <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118774883">Robert Hooke</persName></hi><lb/>
in dem Auffinden des zelligen Baues der&#x017F;elben vorangegangen war, &#x017F;o<lb/>
erkannte er doch die Bedeutung die&#x017F;er Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzungswei&#x017F;e zuer&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;childerte die Betheiligung der von ihm Schläuche (<hi rendition="#aq">utriculi</hi>) ge-<lb/>
nannten Zellen am Aufbau des Pflanzenkörpers. Nicht zu ver&#x017F;chwei-<lb/>
gen i&#x017F;t es freilich, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119403099">Malpighi</persName> trotz &#x017F;eines weiten Ge&#x017F;ichtskrei&#x017F;es in<lb/>
einen vielleicht gerade durch die&#x017F;e Weite zu erklärenden Fehler gerieth,<lb/>
welcher ihn vom Erkennen mancher Wahrheit abhielt; er verallgemei-<lb/>
nerte zu &#x017F;chnell und zu viel. Wahr&#x017F;cheinlich in Folge unvollkommener<lb/>
Injectionen und nicht völlig klarer mikro&#x017F;kopi&#x017F;cher Bilder glaubte er<lb/>
im Thierkörper fa&#x017F;t überall kleine ab&#x017F;ondernde Drü&#x017F;en wahrzunehmen;<lb/>
und durch Analogie verleitet erblickte er auch in den Staubgefäßen der<lb/>
Pflanzen nicht die Träger des Befruchtungs&#x017F;toffes, &#x017F;ondern auch nur<lb/>
ab&#x017F;ondernde Elemente. Die&#x017F;er bei den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Gelegenheiten<lb/>
&#x017F;ich geltend machende Fehler hinderte ihn möglicherwei&#x017F;e am Entdecken<lb/>
der thieri&#x017F;chen Zelle, der er doch bei der Unter&#x017F;uchung von Embryonen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0407] Periode der Syſtematik. mit gerinnenden Maſſen hier zum erſten Male als wichtiges Unterſu- chungsmittel auf. Malpighi beſaß zwar die Kunſtfertigkeit der von Swammerdam erfundenen Injection nicht in demſelben Grade hoher techniſcher Vollkommenheit, wie ſie Ruyſch ſich angeeignet hatte. Es verdient aber überhaupt die Einführung derſelben in die Reihe der ge- bräuchlichen Mittel hervorgehoben zu werden. Zu allen dieſen kam nun noch der Gebrauch des Mikroſkops. Aber abgeſehen von den äußeren Beobachtungsmitteln findet ſich bei Malpighi auch ein bedeu- tender methodiſcher Fortſchritt darin, daß er es geradezu ausſpricht, die vollkommneren Thiere bedürften zur Erklärung ihres anatomiſchen Verhaltens des „Analogismus der einfacheren“. An die Stelle des trockenen Hervorhebens der Verſchiedenheiten bricht alſo hier zum er- ſtenmale der Gedanke durch, daß dem reich gegliederten Bau höherer Thiere ein einfacherer gegenüberſtehe, welcher durch eine allmähliche Complication in jenen hinüberführe. Dieſer Gedanke war es, welcher Malpighi ſelbſt bei den Inſecten nicht ſtehen bleiben ließ, ſondern ihn veranlaßte, ſich nach noch einfacheren oder den einfachſten Lebensfor- men umzuſehen. Zu dieſem Behufe unterſuchte er die Pflanzen ana- tomiſch mittelſt des Mikroſkops; und wenn ihm auch Robert Hooke in dem Auffinden des zelligen Baues derſelben vorangegangen war, ſo erkannte er doch die Bedeutung dieſer Zuſammenſetzungsweiſe zuerſt und ſchilderte die Betheiligung der von ihm Schläuche (utriculi) ge- nannten Zellen am Aufbau des Pflanzenkörpers. Nicht zu verſchwei- gen iſt es freilich, daß Malpighi trotz ſeines weiten Geſichtskreiſes in einen vielleicht gerade durch dieſe Weite zu erklärenden Fehler gerieth, welcher ihn vom Erkennen mancher Wahrheit abhielt; er verallgemei- nerte zu ſchnell und zu viel. Wahrſcheinlich in Folge unvollkommener Injectionen und nicht völlig klarer mikroſkopiſcher Bilder glaubte er im Thierkörper faſt überall kleine abſondernde Drüſen wahrzunehmen; und durch Analogie verleitet erblickte er auch in den Staubgefäßen der Pflanzen nicht die Träger des Befruchtungsſtoffes, ſondern auch nur abſondernde Elemente. Dieſer bei den verſchiedenſten Gelegenheiten ſich geltend machende Fehler hinderte ihn möglicherweiſe am Entdecken der thieriſchen Zelle, der er doch bei der Unterſuchung von Embryonen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/407
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/407>, abgerufen am 24.07.2024.