Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Zootomische und vergleichend-anatomische Leistungen.
Grundlagen für deren Zustandekommen morphologisch auf einander
zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinsame der
Erscheinung auf eine gewisse Uebereinstimmung in dem Bau der be-
treffenden Organe zu beziehen. Das aus solchen Betrachtungen sich
ergebende Resultat konnte natürlich nur der Physiologie zu Gute kom-
men und würde selbst dann diese einseitige Richtung nicht verloren
haben, wenn dem Fabrizio noch bessere Hülfsmittel der Untersuchung
zu Gebote gestanden hätten, als das bloße anatomische Messer. In
der Führung desselben war er aber sicherlich geschickt und noch erinnert
der seinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der
frühesten zootomischen Untersuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter
hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des
Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des sich bil-
denden Vogels von Tag zu Tag schilderte und abbildete. Aber auch
ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher späte-
ren Untersuchungen gleicher Art eine so bedeutende Tragweite verlieh.
Die Stellung, welche Fabrizio zu der von seinem Schüler Harvey
zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann
nicht hier geschildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-
schauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meisten sei-
ner Zeitgenossen noch vielfach von den irrigen Anschauungen früherer
Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und
Lebensgeister zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte
der thierischen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden
Sinne von dem "Nutzen" des Muskelfleisches gilt128).

Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-
dere Wissenschaften nimmt auch der Zeitgenosse Harvey's Marco
Aurelio Severino
ein (geboren 1580 in Tarsia in Calabrien,
Professor der Anatomie und, wie es auch Fabrizio war, der Chirurgie
in Neapel, dort gestorben 1656). Doch ist ihm als besonderes Ver-
dienst anzurechnen, daß er zum erstenmale in einer ausdrücklich der

128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol.
Diesel-
ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol.

Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einander
zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der
Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be-
treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich
ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom-
men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren
haben, wenn dem Fabrizio noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung
zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In
der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert
der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der
früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter
hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des
Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil-
denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch
ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte-
ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh.
Die Stellung, welche Fabrizio zu der von ſeinem Schüler Harvey
zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann
nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-
ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei-
ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer
Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und
Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte
der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden
Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt128).

Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-
dere Wiſſenſchaften nimmt auch der Zeitgenoſſe Harvey's Marco
Aurelio Severino
ein (geboren 1580 in Tarſia in Calabrien,
Profeſſor der Anatomie und, wie es auch Fabrizio war, der Chirurgie
in Neapel, dort geſtorben 1656). Doch iſt ihm als beſonderes Ver-
dienſt anzurechnen, daß er zum erſtenmale in einer ausdrücklich der

128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol.
Dieſel-
ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0392" n="381"/><fw place="top" type="header">Zootomi&#x017F;che und vergleichend-anatomi&#x017F;che Lei&#x017F;tungen.</fw><lb/>
Grundlagen für deren Zu&#x017F;tandekommen morphologi&#x017F;ch auf einander<lb/>
zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemein&#x017F;ame der<lb/>
Er&#x017F;cheinung auf eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ueberein&#x017F;timmung in dem Bau der be-<lb/>
treffenden Organe zu beziehen. Das aus &#x017F;olchen Betrachtungen &#x017F;ich<lb/>
ergebende Re&#x017F;ultat konnte natürlich nur der Phy&#x017F;iologie zu Gute kom-<lb/>
men und würde &#x017F;elb&#x017F;t dann die&#x017F;e ein&#x017F;eitige Richtung nicht verloren<lb/>
haben, wenn dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> noch be&#x017F;&#x017F;ere Hülfsmittel der Unter&#x017F;uchung<lb/>
zu Gebote ge&#x017F;tanden hätten, als das bloße anatomi&#x017F;che Me&#x017F;&#x017F;er. In<lb/>
der Führung de&#x017F;&#x017F;elben war er aber &#x017F;icherlich ge&#x017F;chickt und noch erinnert<lb/>
der &#x017F;einen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der<lb/>
frühe&#x017F;ten zootomi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen der neueren Zeit. Mit <persName ref="http://d-nb.info/gnd/128678232">Coiter</persName><lb/>
hat <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des<lb/>
Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des &#x017F;ich bil-<lb/>
denden Vogels von Tag zu Tag &#x017F;childerte und abbildete. Aber auch<lb/>
ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher &#x017F;päte-<lb/>
ren Unter&#x017F;uchungen gleicher Art eine &#x017F;o bedeutende Tragweite verlieh.<lb/>
Die Stellung, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> zu der von &#x017F;einem Schüler <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118546481">Harvey</persName></hi><lb/>
zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann<lb/>
nicht hier ge&#x017F;childert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-<lb/>
&#x017F;chauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die mei&#x017F;ten &#x017F;ei-<lb/>
ner Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en noch vielfach von den irrigen An&#x017F;chauungen früherer<lb/>
Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und<lb/>
Lebensgei&#x017F;ter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte<lb/>
der thieri&#x017F;chen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden<lb/>
Sinne von dem &#x201E;Nutzen&#x201C; des Muskelflei&#x017F;ches gilt<note place="foot" n="128)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Hier</hi>. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabricii ab Aquapendente</persName></hi> Opera omnia anatomica<lb/>
et physiologica. Cum praefatione Joh. <hi rendition="#g">Bohnij</hi>. Lipsiae, 1687. Fol.</hi> Die&#x017F;el-<lb/>
ben herausgegeben von <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119396432">S. <hi rendition="#g">Albinus</hi></persName>. Lugdun. 1737. Fol.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-<lb/>
dere Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften nimmt auch der Zeitgeno&#x017F;&#x017F;e <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118546481">Harvey</persName>'s <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11747486X">Marco<lb/>
Aurelio Severino</persName></hi> ein (geboren 1580 in Tar&#x017F;ia in Calabrien,<lb/>
Profe&#x017F;&#x017F;or der Anatomie und, wie es auch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> war, der Chirurgie<lb/>
in Neapel, dort ge&#x017F;torben 1656). Doch i&#x017F;t ihm als be&#x017F;onderes Ver-<lb/>
dien&#x017F;t anzurechnen, daß er zum er&#x017F;tenmale in einer ausdrücklich der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[381/0392] Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen. Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einander zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be- treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom- men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren haben, wenn dem Fabrizio noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil- denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte- ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh. Die Stellung, welche Fabrizio zu der von ſeinem Schüler Harvey zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An- ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei- ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt 128). Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an- dere Wiſſenſchaften nimmt auch der Zeitgenoſſe Harvey's Marco Aurelio Severino ein (geboren 1580 in Tarſia in Calabrien, Profeſſor der Anatomie und, wie es auch Fabrizio war, der Chirurgie in Neapel, dort geſtorben 1656). Doch iſt ihm als beſonderes Ver- dienſt anzurechnen, daß er zum erſtenmale in einer ausdrücklich der 128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol. Dieſel- ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/392
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/392>, abgerufen am 15.06.2024.