Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Periode der encyklopädischen Darstellungen.
im Volksmunde, erhalten, theils durch einige neuerlich bekannt gewor-
dene Thatsachen Bestätigung gefunden haben. Die erste betrifft den
fälschlich sogenannten Vielfraß. Ueber dieses Thier haben Olaus Mag-
nus
und Matthias Michovius62) wohl zuerst die abenteuerlichen
Geschichten in Umlauf gesetzt, welche sich lange Zeit hindurch in Folge
einer volksetymologischen Auslegung seines von Deutschen unverstan-
denen Namens lebendig erhalten haben. Das zweite Thier, welches
Olaus Magnus wohl auch zuerst in die Fabelkreise der modernen
Völker eingeführt haben dürfte, ist die große Seeschlange, welche er
als bis anderthalb Meilen lang werdend schildert. Nicht so mythisch,
wie die beiden ersten, und nicht so vollständig der thatsächlichen Belege
entbehrend ist die Geschichte von den Kraken, welche bekanntlich im
Stande sein sollen, mit ihren ungeheuren Armen ganze Boote zu um-
fassen und in die Tiefe hinabzuziehen. In einer gewissen Weise klingt
hier bei Olaus Magnus eine Erinnerung an die Aspidochelone durch.
Er erzählt, die Kraken würden zuweilen so groß, daß die Schiffer sie
für eine Insel hielten, Anker auf sie würfen und auf ihnen zu landen
versuchten. Zieht man aber diesen Zusatz als vielleicht nur eine Art
von poetischer Ausschmückung der Erzählung ab, so bleibt doch in der-
selben ein Hinweis auf riesenhafte Tintenfische übrig, wie solche nach
einzelnen neuerdings sowohl in Museen als in Meeren gemachten Fun-
den, wie nach directen Beobachtungen allerdings doch vorkommen.

Den hauptsächlichsten Anstoß zu den oben erwähnten Entdeckungs-
fahrten nach dem Nordosten Europa's, mit der Aufgabe eine östliche
Durchfahrt nach China und Südost-Asien zu finden, hatte eine Schil-
derung des russischen Reiches gegeben, welches damals zu den fast gar
nicht gekannten Ländergebieten gehörte. Wie es auch noch in neuerer
Zeit Deutsche waren, welche dieses Reich durchforschten, so gab auch
ein Deutscher den ersten Aufschluß über dasselbe. Der Freiherr Si-
gismund von Herberstein
(geboren 1486, gest. 1556) war vom
Kaiser Maximilian I an den Hof des Czaren Basil IV gesandt worden
und hatte dann nach einem zweimaligen Aufenthalt in Rußland (1517

62) in seinem Werke De Sarmatia asiana et europaea. Cracov. 1532. Fol.

Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
im Volksmunde, erhalten, theils durch einige neuerlich bekannt gewor-
dene Thatſachen Beſtätigung gefunden haben. Die erſte betrifft den
fälſchlich ſogenannten Vielfraß. Ueber dieſes Thier haben Olaus Mag-
nus
und Matthias Michovius62) wohl zuerſt die abenteuerlichen
Geſchichten in Umlauf geſetzt, welche ſich lange Zeit hindurch in Folge
einer volksetymologiſchen Auslegung ſeines von Deutſchen unverſtan-
denen Namens lebendig erhalten haben. Das zweite Thier, welches
Olaus Magnus wohl auch zuerſt in die Fabelkreiſe der modernen
Völker eingeführt haben dürfte, iſt die große Seeſchlange, welche er
als bis anderthalb Meilen lang werdend ſchildert. Nicht ſo mythiſch,
wie die beiden erſten, und nicht ſo vollſtändig der thatſächlichen Belege
entbehrend iſt die Geſchichte von den Kraken, welche bekanntlich im
Stande ſein ſollen, mit ihren ungeheuren Armen ganze Boote zu um-
faſſen und in die Tiefe hinabzuziehen. In einer gewiſſen Weiſe klingt
hier bei Olaus Magnus eine Erinnerung an die Aspidochelone durch.
Er erzählt, die Kraken würden zuweilen ſo groß, daß die Schiffer ſie
für eine Inſel hielten, Anker auf ſie würfen und auf ihnen zu landen
verſuchten. Zieht man aber dieſen Zuſatz als vielleicht nur eine Art
von poetiſcher Ausſchmückung der Erzählung ab, ſo bleibt doch in der-
ſelben ein Hinweis auf rieſenhafte Tintenfiſche übrig, wie ſolche nach
einzelnen neuerdings ſowohl in Muſeen als in Meeren gemachten Fun-
den, wie nach directen Beobachtungen allerdings doch vorkommen.

Den hauptſächlichſten Anſtoß zu den oben erwähnten Entdeckungs-
fahrten nach dem Nordoſten Europa's, mit der Aufgabe eine öſtliche
Durchfahrt nach China und Südoſt-Aſien zu finden, hatte eine Schil-
derung des ruſſiſchen Reiches gegeben, welches damals zu den faſt gar
nicht gekannten Ländergebieten gehörte. Wie es auch noch in neuerer
Zeit Deutſche waren, welche dieſes Reich durchforſchten, ſo gab auch
ein Deutſcher den erſten Aufſchluß über daſſelbe. Der Freiherr Si-
gismund von Herberſtein
(geboren 1486, geſt. 1556) war vom
Kaiſer Maximilian I an den Hof des Czaren Baſil IV geſandt worden
und hatte dann nach einem zweimaligen Aufenthalt in Rußland (1517

62) in ſeinem Werke De Sarmatia asiana et europaea. Cracov. 1532. Fol.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="336"/><fw place="top" type="header">Periode der encyklopädi&#x017F;chen Dar&#x017F;tellungen.</fw><lb/>
im Volksmunde, erhalten, theils durch einige neuerlich bekannt gewor-<lb/>
dene That&#x017F;achen Be&#x017F;tätigung gefunden haben. Die er&#x017F;te betrifft den<lb/>
fäl&#x017F;chlich &#x017F;ogenannten Vielfraß. Ueber die&#x017F;es Thier haben <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118576194">Olaus Mag-<lb/>
nus</persName> und <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/100305598">Matthias Michovius</persName></hi><note place="foot" n="62)">in &#x017F;einem Werke <hi rendition="#aq">De Sarmatia asiana et europaea. Cracov. 1532. Fol.</hi></note> wohl zuer&#x017F;t die abenteuerlichen<lb/>
Ge&#x017F;chichten in Umlauf ge&#x017F;etzt, welche &#x017F;ich lange Zeit hindurch in Folge<lb/>
einer volksetymologi&#x017F;chen Auslegung &#x017F;eines von Deut&#x017F;chen unver&#x017F;tan-<lb/>
denen Namens lebendig erhalten haben. Das zweite Thier, welches<lb/>
Olaus Magnus wohl auch zuer&#x017F;t in die Fabelkrei&#x017F;e der modernen<lb/>
Völker eingeführt haben dürfte, i&#x017F;t die große See&#x017F;chlange, welche er<lb/>
als bis anderthalb Meilen lang werdend &#x017F;childert. Nicht &#x017F;o mythi&#x017F;ch,<lb/>
wie die beiden er&#x017F;ten, und nicht &#x017F;o voll&#x017F;tändig der that&#x017F;ächlichen Belege<lb/>
entbehrend i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte von den Kraken, welche bekanntlich im<lb/>
Stande &#x017F;ein &#x017F;ollen, mit ihren ungeheuren Armen ganze Boote zu um-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en und in die Tiefe hinabzuziehen. In einer gewi&#x017F;&#x017F;en Wei&#x017F;e klingt<lb/>
hier bei Olaus Magnus eine Erinnerung an die Aspidochelone durch.<lb/>
Er erzählt, die Kraken würden zuweilen &#x017F;o groß, daß die Schiffer &#x017F;ie<lb/>
für eine In&#x017F;el hielten, Anker auf &#x017F;ie würfen und auf ihnen zu landen<lb/>
ver&#x017F;uchten. Zieht man aber die&#x017F;en Zu&#x017F;atz als vielleicht nur eine Art<lb/>
von poeti&#x017F;cher Aus&#x017F;chmückung der Erzählung ab, &#x017F;o bleibt doch in der-<lb/>
&#x017F;elben ein Hinweis auf rie&#x017F;enhafte Tintenfi&#x017F;che übrig, wie &#x017F;olche nach<lb/>
einzelnen neuerdings &#x017F;owohl in Mu&#x017F;een als in Meeren gemachten Fun-<lb/>
den, wie nach directen Beobachtungen allerdings doch vorkommen.</p><lb/>
          <p>Den haupt&#x017F;ächlich&#x017F;ten An&#x017F;toß zu den oben erwähnten Entdeckungs-<lb/>
fahrten nach dem Nordo&#x017F;ten Europa's, mit der Aufgabe eine ö&#x017F;tliche<lb/>
Durchfahrt nach China und Südo&#x017F;t-A&#x017F;ien zu finden, hatte eine Schil-<lb/>
derung des ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Reiches gegeben, welches damals zu den fa&#x017F;t gar<lb/>
nicht gekannten Ländergebieten gehörte. Wie es auch noch in neuerer<lb/>
Zeit Deut&#x017F;che waren, welche die&#x017F;es Reich durchfor&#x017F;chten, &#x017F;o gab auch<lb/>
ein Deut&#x017F;cher den er&#x017F;ten Auf&#x017F;chluß über da&#x017F;&#x017F;elbe. Der Freiherr <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118710656">Si-<lb/>
gismund von Herber&#x017F;tein</persName></hi> (geboren 1486, ge&#x017F;t. 1556) war vom<lb/>
Kai&#x017F;er <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118579371">Maximilian</persName> <hi rendition="#aq">I</hi> an den Hof des Czaren <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118764411">Ba&#x017F;il</persName> <hi rendition="#aq">IV</hi> ge&#x017F;andt worden<lb/>
und hatte dann nach einem zweimaligen Aufenthalt in Rußland (1517<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0347] Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen. im Volksmunde, erhalten, theils durch einige neuerlich bekannt gewor- dene Thatſachen Beſtätigung gefunden haben. Die erſte betrifft den fälſchlich ſogenannten Vielfraß. Ueber dieſes Thier haben Olaus Mag- nus und Matthias Michovius 62) wohl zuerſt die abenteuerlichen Geſchichten in Umlauf geſetzt, welche ſich lange Zeit hindurch in Folge einer volksetymologiſchen Auslegung ſeines von Deutſchen unverſtan- denen Namens lebendig erhalten haben. Das zweite Thier, welches Olaus Magnus wohl auch zuerſt in die Fabelkreiſe der modernen Völker eingeführt haben dürfte, iſt die große Seeſchlange, welche er als bis anderthalb Meilen lang werdend ſchildert. Nicht ſo mythiſch, wie die beiden erſten, und nicht ſo vollſtändig der thatſächlichen Belege entbehrend iſt die Geſchichte von den Kraken, welche bekanntlich im Stande ſein ſollen, mit ihren ungeheuren Armen ganze Boote zu um- faſſen und in die Tiefe hinabzuziehen. In einer gewiſſen Weiſe klingt hier bei Olaus Magnus eine Erinnerung an die Aspidochelone durch. Er erzählt, die Kraken würden zuweilen ſo groß, daß die Schiffer ſie für eine Inſel hielten, Anker auf ſie würfen und auf ihnen zu landen verſuchten. Zieht man aber dieſen Zuſatz als vielleicht nur eine Art von poetiſcher Ausſchmückung der Erzählung ab, ſo bleibt doch in der- ſelben ein Hinweis auf rieſenhafte Tintenfiſche übrig, wie ſolche nach einzelnen neuerdings ſowohl in Muſeen als in Meeren gemachten Fun- den, wie nach directen Beobachtungen allerdings doch vorkommen. Den hauptſächlichſten Anſtoß zu den oben erwähnten Entdeckungs- fahrten nach dem Nordoſten Europa's, mit der Aufgabe eine öſtliche Durchfahrt nach China und Südoſt-Aſien zu finden, hatte eine Schil- derung des ruſſiſchen Reiches gegeben, welches damals zu den faſt gar nicht gekannten Ländergebieten gehörte. Wie es auch noch in neuerer Zeit Deutſche waren, welche dieſes Reich durchforſchten, ſo gab auch ein Deutſcher den erſten Aufſchluß über daſſelbe. Der Freiherr Si- gismund von Herberſtein (geboren 1486, geſt. 1556) war vom Kaiſer Maximilian I an den Hof des Czaren Baſil IV geſandt worden und hatte dann nach einem zweimaligen Aufenthalt in Rußland (1517 62) in ſeinem Werke De Sarmatia asiana et europaea. Cracov. 1532. Fol.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/347
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/347>, abgerufen am 22.11.2024.