Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Ausgang des Mittelalters.
braucht hier nicht geschildert zu werden. Sie wurden die Lehrer Deutsch-
lands
.Die ganze Bedeutung des Humanismus ist allerdings, wenn
man nur an die Wiederherstellung der Schriften des classischen Alter-
thums in einer reineren Form denkt, der Natur der Sache nach für die
Naturwissenschaften nicht so groß, wie für andre Zweige des Wissens
doch erhielt durch ihn nicht bloß die allgemeine Bildung, welche noch
nicht von den Fachwissenschaften "verschlungen" wurde, kräftige Nah-
rung, es wurde auch der freie selbständige Geist angeregt. Auch klebte
freilich der Unterrichtsweise, selbst bis auf die neueste Zeit, ein Rest der
scholastischen Methode an, was bei dem zum Theil formalen Charakter
der Neuerung nicht zu verwundern war. Indeß fühlte man sich der
reinen Quelle der alten Bildung gegenüber. Sprache und Form der
Darstellung wurden besser und mit mehr Geschmack gehandhabt; man
konnte wieder direct an die Lehren der Alten anknüpfen, ohne daß Deu-
teleien und Umschreibungen den Sinn wie früher bis zur Unkenntlich-
keit entstellten.

Mitten in diese Umwälzungen fielen aber noch zwei andere Er-
scheinungen, von welchen die eine dem geistigen Leben eine völlig neue
Bewegung mittheilte, während die andere den Gesichtskreis, besonders
auch der Naturwissenschaften unendlich erweiterte: die Erfindung der
Buchdruckerkunst und die geographischen Entdeckungen. Durch erstere
wurde es möglich, daß Aristoteles ein Gemeingut aller sich wissenschaft-
lich mit Zoologie Beschäftigenden werden konnte. Und wenn es auch
keine Zoologen von Fach gab, so wirkte doch jedenfalls seine Verbrei-
tung durch den Druck wesentlich auf die Erhebung der Zoologie und die
Neubelebung der vergleichenden Anatomie im folgenden Jahrhundert.
Der griechische Text erschien 1497; die lateinische Uebersetzung Theo-
dor Gaza
's wurde noch im fünfzehnten Jahrhundert allein in Venedig
fünfmal gedruckt (o. J., 1476, 92, 97, 98). Der Einfluß der geogra-
phischen Entdeckungen ist mit dem der Erfindung der Buchdruckerkunst
nicht zu vergleichen. Sicher ist, daß neues Material an früher nicht
gekannten Thieren nur langsam und sehr allmählich der Zoologie zu-
floß. Es ist auch darauf aufmerksam zu machen, daß die Fahrten der
Portugiesen und Spanier nach Amerika sowohl als den afrikanischen

V. Carus, Gesch. d. Zool. 17

Ausgang des Mittelalters.
braucht hier nicht geſchildert zu werden. Sie wurden die Lehrer Deutſch-
lands
.Die ganze Bedeutung des Humanismus iſt allerdings, wenn
man nur an die Wiederherſtellung der Schriften des claſſiſchen Alter-
thums in einer reineren Form denkt, der Natur der Sache nach für die
Naturwiſſenſchaften nicht ſo groß, wie für andre Zweige des Wiſſens
doch erhielt durch ihn nicht bloß die allgemeine Bildung, welche noch
nicht von den Fachwiſſenſchaften „verſchlungen“ wurde, kräftige Nah-
rung, es wurde auch der freie ſelbſtändige Geiſt angeregt. Auch klebte
freilich der Unterrichtsweiſe, ſelbſt bis auf die neueſte Zeit, ein Reſt der
ſcholaſtiſchen Methode an, was bei dem zum Theil formalen Charakter
der Neuerung nicht zu verwundern war. Indeß fühlte man ſich der
reinen Quelle der alten Bildung gegenüber. Sprache und Form der
Darſtellung wurden beſſer und mit mehr Geſchmack gehandhabt; man
konnte wieder direct an die Lehren der Alten anknüpfen, ohne daß Deu-
teleien und Umſchreibungen den Sinn wie früher bis zur Unkenntlich-
keit entſtellten.

Mitten in dieſe Umwälzungen fielen aber noch zwei andere Er-
ſcheinungen, von welchen die eine dem geiſtigen Leben eine völlig neue
Bewegung mittheilte, während die andere den Geſichtskreis, beſonders
auch der Naturwiſſenſchaften unendlich erweiterte: die Erfindung der
Buchdruckerkunſt und die geographiſchen Entdeckungen. Durch erſtere
wurde es möglich, daß Ariſtoteles ein Gemeingut aller ſich wiſſenſchaft-
lich mit Zoologie Beſchäftigenden werden konnte. Und wenn es auch
keine Zoologen von Fach gab, ſo wirkte doch jedenfalls ſeine Verbrei-
tung durch den Druck weſentlich auf die Erhebung der Zoologie und die
Neubelebung der vergleichenden Anatomie im folgenden Jahrhundert.
Der griechiſche Text erſchien 1497; die lateiniſche Ueberſetzung Theo-
dor Gaza
's wurde noch im fünfzehnten Jahrhundert allein in Venedig
fünfmal gedruckt (o. J., 1476, 92, 97, 98). Der Einfluß der geogra-
phiſchen Entdeckungen iſt mit dem der Erfindung der Buchdruckerkunſt
nicht zu vergleichen. Sicher iſt, daß neues Material an früher nicht
gekannten Thieren nur langſam und ſehr allmählich der Zoologie zu-
floß. Es iſt auch darauf aufmerkſam zu machen, daß die Fahrten der
Portugieſen und Spanier nach Amerika ſowohl als den afrikaniſchen

V. Carus, Geſch. d. Zool. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0268" n="257"/><fw place="top" type="header">Ausgang des Mittelalters.</fw><lb/>
braucht hier nicht ge&#x017F;childert zu werden. Sie wurden die Lehrer <placeName>Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands</placeName>.Die ganze Bedeutung des Humanismus i&#x017F;t allerdings, wenn<lb/>
man nur an die Wiederher&#x017F;tellung der Schriften des cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Alter-<lb/>
thums in einer reineren Form denkt, der Natur der Sache nach für die<lb/>
Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften nicht &#x017F;o groß, wie für andre Zweige des Wi&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
doch erhielt durch ihn nicht bloß die allgemeine Bildung, welche noch<lb/>
nicht von den Fachwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x201E;ver&#x017F;chlungen&#x201C; wurde, kräftige Nah-<lb/>
rung, es wurde auch der freie &#x017F;elb&#x017F;tändige Gei&#x017F;t angeregt. Auch klebte<lb/>
freilich der Unterrichtswei&#x017F;e, &#x017F;elb&#x017F;t bis auf die neue&#x017F;te Zeit, ein Re&#x017F;t der<lb/>
&#x017F;chola&#x017F;ti&#x017F;chen Methode an, was bei dem zum Theil formalen Charakter<lb/>
der Neuerung nicht zu verwundern war. Indeß fühlte man &#x017F;ich der<lb/>
reinen Quelle der alten Bildung gegenüber. Sprache und Form der<lb/>
Dar&#x017F;tellung wurden be&#x017F;&#x017F;er und mit mehr Ge&#x017F;chmack gehandhabt; man<lb/>
konnte wieder direct an die Lehren der Alten anknüpfen, ohne daß Deu-<lb/>
teleien und Um&#x017F;chreibungen den Sinn wie früher bis zur Unkenntlich-<lb/>
keit ent&#x017F;tellten.</p><lb/>
          <p>Mitten in die&#x017F;e Umwälzungen fielen aber noch zwei andere Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen, von welchen die eine dem gei&#x017F;tigen Leben eine völlig neue<lb/>
Bewegung mittheilte, während die andere den Ge&#x017F;ichtskreis, be&#x017F;onders<lb/>
auch der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften unendlich erweiterte: die Erfindung der<lb/>
Buchdruckerkun&#x017F;t und die geographi&#x017F;chen Entdeckungen. Durch er&#x017F;tere<lb/>
wurde es möglich, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> ein Gemeingut aller &#x017F;ich wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
lich mit Zoologie Be&#x017F;chäftigenden werden konnte. Und wenn es auch<lb/>
keine Zoologen von Fach gab, &#x017F;o wirkte doch jedenfalls &#x017F;eine Verbrei-<lb/>
tung durch den Druck we&#x017F;entlich auf die Erhebung der Zoologie und die<lb/>
Neubelebung der vergleichenden Anatomie im folgenden Jahrhundert.<lb/>
Der griechi&#x017F;che Text er&#x017F;chien 1497; die lateini&#x017F;che Ueber&#x017F;etzung <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11882497X">Theo-<lb/>
dor Gaza</persName>'s wurde noch im fünfzehnten Jahrhundert allein in Venedig<lb/>
fünfmal gedruckt (o. J., 1476, 92, 97, 98). Der Einfluß der geogra-<lb/>
phi&#x017F;chen Entdeckungen i&#x017F;t mit dem der Erfindung der Buchdruckerkun&#x017F;t<lb/>
nicht zu vergleichen. Sicher i&#x017F;t, daß neues Material an früher nicht<lb/>
gekannten Thieren nur lang&#x017F;am und &#x017F;ehr allmählich der Zoologie zu-<lb/>
floß. Es i&#x017F;t auch darauf aufmerk&#x017F;am zu machen, daß die Fahrten der<lb/>
Portugie&#x017F;en und Spanier nach Amerika &#x017F;owohl als den afrikani&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/104288647">V. <hi rendition="#g">Carus</hi></persName>, Ge&#x017F;ch. d. Zool. 17</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0268] Ausgang des Mittelalters. braucht hier nicht geſchildert zu werden. Sie wurden die Lehrer Deutſch- lands.Die ganze Bedeutung des Humanismus iſt allerdings, wenn man nur an die Wiederherſtellung der Schriften des claſſiſchen Alter- thums in einer reineren Form denkt, der Natur der Sache nach für die Naturwiſſenſchaften nicht ſo groß, wie für andre Zweige des Wiſſens doch erhielt durch ihn nicht bloß die allgemeine Bildung, welche noch nicht von den Fachwiſſenſchaften „verſchlungen“ wurde, kräftige Nah- rung, es wurde auch der freie ſelbſtändige Geiſt angeregt. Auch klebte freilich der Unterrichtsweiſe, ſelbſt bis auf die neueſte Zeit, ein Reſt der ſcholaſtiſchen Methode an, was bei dem zum Theil formalen Charakter der Neuerung nicht zu verwundern war. Indeß fühlte man ſich der reinen Quelle der alten Bildung gegenüber. Sprache und Form der Darſtellung wurden beſſer und mit mehr Geſchmack gehandhabt; man konnte wieder direct an die Lehren der Alten anknüpfen, ohne daß Deu- teleien und Umſchreibungen den Sinn wie früher bis zur Unkenntlich- keit entſtellten. Mitten in dieſe Umwälzungen fielen aber noch zwei andere Er- ſcheinungen, von welchen die eine dem geiſtigen Leben eine völlig neue Bewegung mittheilte, während die andere den Geſichtskreis, beſonders auch der Naturwiſſenſchaften unendlich erweiterte: die Erfindung der Buchdruckerkunſt und die geographiſchen Entdeckungen. Durch erſtere wurde es möglich, daß Ariſtoteles ein Gemeingut aller ſich wiſſenſchaft- lich mit Zoologie Beſchäftigenden werden konnte. Und wenn es auch keine Zoologen von Fach gab, ſo wirkte doch jedenfalls ſeine Verbrei- tung durch den Druck weſentlich auf die Erhebung der Zoologie und die Neubelebung der vergleichenden Anatomie im folgenden Jahrhundert. Der griechiſche Text erſchien 1497; die lateiniſche Ueberſetzung Theo- dor Gaza's wurde noch im fünfzehnten Jahrhundert allein in Venedig fünfmal gedruckt (o. J., 1476, 92, 97, 98). Der Einfluß der geogra- phiſchen Entdeckungen iſt mit dem der Erfindung der Buchdruckerkunſt nicht zu vergleichen. Sicher iſt, daß neues Material an früher nicht gekannten Thieren nur langſam und ſehr allmählich der Zoologie zu- floß. Es iſt auch darauf aufmerkſam zu machen, daß die Fahrten der Portugieſen und Spanier nach Amerika ſowohl als den afrikaniſchen V. Carus, Geſch. d. Zool. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/268
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/268>, abgerufen am 05.06.2024.