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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie des Mittelalters.
schiedener Weise weiter verbreitet. Es fand sich aber Niemand, welcher
Neues zu schaffen Lust und Muth gehabt hätte. Nicht leicht ist es, von
einem allgemeinen culturhistorischen Standpunkte aus die Momente zu
entwickeln, welche die in so schönen Leistungen bewährte, allerdings fast
kindlich naiv zu nennende Liebe zur Natur, die theilnehmende Behand-
lung des ganzen Gebietes oder einzelner Theile desselben nun auf ein-
mal wieder einschlummern ließen.

Zunächst hatten nun wohl die Arbeiten des dreizehnten Jahrhun-
derts eine Nachwirkung. Von den vorhin geschilderten Werken sind
aus nahe liegenden Gründen die umfangreichen Arbeiten Albert's und
Vincenz's verhältnißmäßig am wenigsten verbreitet gewesen. Dagegen
erlebten die Schriften des Thomas von Cantimpree und des Engländers
Bartholomäus zahlreiche Abschriften und, was für ihr Eindringen in
weitere Kreise noch wirkungsvoller sein mußte, verschiedene Uebersetzun-
gen in lebende Sprachen. Die Uebersetzungen des Bartholomäus Ang-
licus
fallen in eine spätere Zeit. Dagegen sind im vierzehnten Jahr-
hundert zwei Bearbeitungen des Thomas Cantipratanus entstanden,
welche für ihre Zeit sowie für die Litteratur ihres Vaterlandes von Be-
deutung wurden: eine deutsche und eine niederländische. Die erstere ist
das Buch der Natur von Conrad von Megenberg, die zweite
das unter dem Titel: der "Naturen Bloeme" bekannte Gedicht von Ja-
kob
von Maerlant
.

Conrad von Megenberg's "Buch der Natur", welches jetzt
in einer leider nur mit Rücksicht auf die Entwickelung der Sprache sorg-
fältig bearbeiteten Ausgabe von Pfeiffer zugänglicher geworden
ist 240) bietet ein ungemein anziehendes Beispiel einer derb naiven mit-

240) Die erste ausführliche Beschreibung und Analyse des Buchs der Natur
gab Choulant in seiner Abhandlung: Die Anfänge wissenschaftlicher Naturge-
schichte und naturhistorischer Abbildung im christlichen Abendlande. Dresden 1856.
Auch vermuthet er richtig, daß es das Werk Thomas gewesen sei, was Conrad über-
setzt habe. Den Beweis hierfür gibt E. Meyer, Geschichte d. Botan. Bd. 4. S.
198. Die erwähnte Ausgabe erschien unter dem Titel: Das Buch der Natur von
Conrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Herausge-
geben von Franz Pfeiffer. Stuttgart, 1861. 80. Merkwürdig ist es, daß
Pfeiffer beide vorstehend erwähnte Bemerkungen über Conrad nicht kannte und erst

Die Zoologie des Mittelalters.
ſchiedener Weiſe weiter verbreitet. Es fand ſich aber Niemand, welcher
Neues zu ſchaffen Luſt und Muth gehabt hätte. Nicht leicht iſt es, von
einem allgemeinen culturhiſtoriſchen Standpunkte aus die Momente zu
entwickeln, welche die in ſo ſchönen Leiſtungen bewährte, allerdings faſt
kindlich naiv zu nennende Liebe zur Natur, die theilnehmende Behand-
lung des ganzen Gebietes oder einzelner Theile deſſelben nun auf ein-
mal wieder einſchlummern ließen.

Zunächſt hatten nun wohl die Arbeiten des dreizehnten Jahrhun-
derts eine Nachwirkung. Von den vorhin geſchilderten Werken ſind
aus nahe liegenden Gründen die umfangreichen Arbeiten Albert's und
Vincenz's verhältnißmäßig am wenigſten verbreitet geweſen. Dagegen
erlebten die Schriften des Thomas von Cantimpreé und des Engländers
Bartholomäus zahlreiche Abſchriften und, was für ihr Eindringen in
weitere Kreiſe noch wirkungsvoller ſein mußte, verſchiedene Ueberſetzun-
gen in lebende Sprachen. Die Ueberſetzungen des Bartholomäus Ang-
licus
fallen in eine ſpätere Zeit. Dagegen ſind im vierzehnten Jahr-
hundert zwei Bearbeitungen des Thomas Cantipratanus entſtanden,
welche für ihre Zeit ſowie für die Litteratur ihres Vaterlandes von Be-
deutung wurden: eine deutſche und eine niederländiſche. Die erſtere iſt
das Buch der Natur von Conrad von Megenberg, die zweite
das unter dem Titel: der „Naturen Bloeme“ bekannte Gedicht von Ja-
kob
von Maerlant
.

Conrad von Megenberg's „Buch der Natur“, welches jetzt
in einer leider nur mit Rückſicht auf die Entwickelung der Sprache ſorg-
fältig bearbeiteten Ausgabe von Pfeiffer zugänglicher geworden
iſt 240) bietet ein ungemein anziehendes Beiſpiel einer derb naiven mit-

240) Die erſte ausführliche Beſchreibung und Analyſe des Buchs der Natur
gab Choulant in ſeiner Abhandlung: Die Anfänge wiſſenſchaftlicher Naturge-
ſchichte und naturhiſtoriſcher Abbildung im chriſtlichen Abendlande. Dresden 1856.
Auch vermuthet er richtig, daß es das Werk Thomas geweſen ſei, was Conrad über-
ſetzt habe. Den Beweis hierfür gibt E. Meyer, Geſchichte d. Botan. Bd. 4. S.
198. Die erwähnte Ausgabe erſchien unter dem Titel: Das Buch der Natur von
Conrad von Megenberg. Die erſte Naturgeſchichte in deutſcher Sprache. Herausge-
geben von Franz Pfeiffer. Stuttgart, 1861. 80. Merkwürdig iſt es, daß
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[248/0259] Die Zoologie des Mittelalters. ſchiedener Weiſe weiter verbreitet. Es fand ſich aber Niemand, welcher Neues zu ſchaffen Luſt und Muth gehabt hätte. Nicht leicht iſt es, von einem allgemeinen culturhiſtoriſchen Standpunkte aus die Momente zu entwickeln, welche die in ſo ſchönen Leiſtungen bewährte, allerdings faſt kindlich naiv zu nennende Liebe zur Natur, die theilnehmende Behand- lung des ganzen Gebietes oder einzelner Theile deſſelben nun auf ein- mal wieder einſchlummern ließen. Zunächſt hatten nun wohl die Arbeiten des dreizehnten Jahrhun- derts eine Nachwirkung. Von den vorhin geſchilderten Werken ſind aus nahe liegenden Gründen die umfangreichen Arbeiten Albert's und Vincenz's verhältnißmäßig am wenigſten verbreitet geweſen. Dagegen erlebten die Schriften des Thomas von Cantimpreé und des Engländers Bartholomäus zahlreiche Abſchriften und, was für ihr Eindringen in weitere Kreiſe noch wirkungsvoller ſein mußte, verſchiedene Ueberſetzun- gen in lebende Sprachen. Die Ueberſetzungen des Bartholomäus Ang- licus fallen in eine ſpätere Zeit. Dagegen ſind im vierzehnten Jahr- hundert zwei Bearbeitungen des Thomas Cantipratanus entſtanden, welche für ihre Zeit ſowie für die Litteratur ihres Vaterlandes von Be- deutung wurden: eine deutſche und eine niederländiſche. Die erſtere iſt das Buch der Natur von Conrad von Megenberg, die zweite das unter dem Titel: der „Naturen Bloeme“ bekannte Gedicht von Ja- kob von Maerlant. Conrad von Megenberg's „Buch der Natur“, welches jetzt in einer leider nur mit Rückſicht auf die Entwickelung der Sprache ſorg- fältig bearbeiteten Ausgabe von Pfeiffer zugänglicher geworden iſt 240) bietet ein ungemein anziehendes Beiſpiel einer derb naiven mit- 240) Die erſte ausführliche Beſchreibung und Analyſe des Buchs der Natur gab Choulant in ſeiner Abhandlung: Die Anfänge wiſſenſchaftlicher Naturge- ſchichte und naturhiſtoriſcher Abbildung im chriſtlichen Abendlande. Dresden 1856. Auch vermuthet er richtig, daß es das Werk Thomas geweſen ſei, was Conrad über- ſetzt habe. Den Beweis hierfür gibt E. Meyer, Geſchichte d. Botan. Bd. 4. S. 198. Die erwähnte Ausgabe erſchien unter dem Titel: Das Buch der Natur von Conrad von Megenberg. Die erſte Naturgeſchichte in deutſcher Sprache. Herausge- geben von Franz Pfeiffer. Stuttgart, 1861. 80. Merkwürdig iſt es, daß Pfeiffer beide vorſtehend erwähnte Bemerkungen über Conrad nicht kannte und erſt

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/259>, abgerufen am 25.11.2024.