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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Einleitung.
Sinnliche den Gedanken; die Speculation schloß sich daher der Form
starr an. Doch konnte sie sich der Leitung durch den Sprachgebrauch
nicht entziehen; und dieser führte durch so eine bedeutungsvolle Reihe
von Worten, wie "Gattung", "Gattungsgenossen", "verwandt"2), auf
die Muthmaßung oder wohl nur unbewußte Ahnung einer Zusammen-
gehörigkeit ähnlicher Thierformen in einem Sinne, welcher erst in
neuester Zeit Quell für viele anregende und fördernde Betrachtungen
geworden ist.

Mit der Erkennung und Unterscheidung der Thiere gieng aber von
Anfang an eine Reihe von Beobachtungen Hand in Hand, welche nicht
wie jene allein auf das Aeußere, sondern vorzüglich auf die innere Zu-
sammensetzung des Thierkörpers gerichtet waren. Zunächst kam es
wohl nur darauf an, die zur Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse
des Menschen brauchbaren Theile kennen und irgendwie kunstgerecht
sondern zu lernen. Dem sein Vieh oder sein Wild abbalgenden und
ausweidenden Hirten und Jäger folgte bald der Haruspex, welcher zwar
die Eingeweide und das Blut der Thiere3) nur um die Geheimnisse der
Zukunft befragte, durch die Uebung seines Handwerks aber doch eine
allgemeine Kenntniß ihrer Form und Lagerung erlangen mußte. Da-
bei konnte denn die auffallende Aehnlichkeit mancher Thiere mit einander

2) Wenn noch bei Homer genos anthropon, boon u. s. f. die auf gemein-
samer Zeugung ruhende Gesammtheit einzelner Formen bezeichnet, so wird von
Herodot an genos zur Bezeichnung der Familiensippschaft erweitert, woraus sich
allmählich der Begriff der Verwandtschaft im Allgemeinen entwickelte Es erhalten
daher die gene megista, die suggeneia, die morphe suggenetike des Aristoteles
einen Sinn, welcher unserem naturhistorischen Ausdruck "verwandt" um so mehr
entspricht, als ja auch uns die Bedeutung des Wortes "Gattung" bei Aussprache
und Lesung desselben kaum mehr gegenwärtig ist. Vor den Griechen fand sich nichts
dem ähnliches. Den alten Indern fehlte der Ausdruck für diesen weiteren Grad der
Zusammengehörigkeit. Die Sanskritworte kula und gotra lassen keinen "gemeinsa-
men Ursprung" durchblicken, und gati, welches der Wurzel nach zu genos gehört,
wird nur im philosophischen Sinne gebraucht.
3) auch der Menschen bei den Cimbern, s. Strabo, 7, 2: ek de tou pro-
kheomenou aimatos eis ton kratera manteian tina epoiounto, nämlich aus
dem Blute geschlachteter Gefangenen. Weissagung aus den Eingeweiden Erschlage-
ner findet sich noch im frühen Mittelalter.

Einleitung.
Sinnliche den Gedanken; die Speculation ſchloß ſich daher der Form
ſtarr an. Doch konnte ſie ſich der Leitung durch den Sprachgebrauch
nicht entziehen; und dieſer führte durch ſo eine bedeutungsvolle Reihe
von Worten, wie „Gattung“, „Gattungsgenoſſen“, „verwandt“2), auf
die Muthmaßung oder wohl nur unbewußte Ahnung einer Zuſammen-
gehörigkeit ähnlicher Thierformen in einem Sinne, welcher erſt in
neueſter Zeit Quell für viele anregende und fördernde Betrachtungen
geworden iſt.

Mit der Erkennung und Unterſcheidung der Thiere gieng aber von
Anfang an eine Reihe von Beobachtungen Hand in Hand, welche nicht
wie jene allein auf das Aeußere, ſondern vorzüglich auf die innere Zu-
ſammenſetzung des Thierkörpers gerichtet waren. Zunächſt kam es
wohl nur darauf an, die zur Befriedigung der wichtigſten Bedürfniſſe
des Menſchen brauchbaren Theile kennen und irgendwie kunſtgerecht
ſondern zu lernen. Dem ſein Vieh oder ſein Wild abbalgenden und
ausweidenden Hirten und Jäger folgte bald der Haruſpex, welcher zwar
die Eingeweide und das Blut der Thiere3) nur um die Geheimniſſe der
Zukunft befragte, durch die Uebung ſeines Handwerks aber doch eine
allgemeine Kenntniß ihrer Form und Lagerung erlangen mußte. Da-
bei konnte denn die auffallende Aehnlichkeit mancher Thiere mit einander

2) Wenn noch bei Homer γένος άνϑρώπων, βοῶν u. ſ. f. die auf gemein-
ſamer Zeugung ruhende Geſammtheit einzelner Formen bezeichnet, ſo wird von
Herodot an γένος zur Bezeichnung der Familienſippſchaft erweitert, woraus ſich
allmählich der Begriff der Verwandtſchaft im Allgemeinen entwickelte Es erhalten
daher die γένη μέγιστα, die συγγενεῖα, die μορφἠ συγγενετικἡ des Ariſtoteles
einen Sinn, welcher unſerem naturhiſtoriſchen Ausdruck „verwandt“ um ſo mehr
entſpricht, als ja auch uns die Bedeutung des Wortes „Gattung“ bei Ausſprache
und Leſung deſſelben kaum mehr gegenwärtig iſt. Vor den Griechen fand ſich nichts
dem ähnliches. Den alten Indern fehlte der Ausdruck für dieſen weiteren Grad der
Zuſammengehörigkeit. Die Sanskritworte kula und gotra laſſen keinen „gemeinſa-
men Urſprung“ durchblicken, und gâti, welches der Wurzel nach zu γένος gehört,
wird nur im philoſophiſchen Sinne gebraucht.
3) auch der Menſchen bei den Cimbern, ſ. Strabo, 7, 2: ἐκ δὲ τοῦ προ-
χεομένου αἵματος εἰς τὸν κρατῆρα μαντείαν τινὰ ἐποιοῦντο, nämlich aus
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ner findet ſich noch im frühen Mittelalter.
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[4/0015] Einleitung. Sinnliche den Gedanken; die Speculation ſchloß ſich daher der Form ſtarr an. Doch konnte ſie ſich der Leitung durch den Sprachgebrauch nicht entziehen; und dieſer führte durch ſo eine bedeutungsvolle Reihe von Worten, wie „Gattung“, „Gattungsgenoſſen“, „verwandt“ 2), auf die Muthmaßung oder wohl nur unbewußte Ahnung einer Zuſammen- gehörigkeit ähnlicher Thierformen in einem Sinne, welcher erſt in neueſter Zeit Quell für viele anregende und fördernde Betrachtungen geworden iſt. Mit der Erkennung und Unterſcheidung der Thiere gieng aber von Anfang an eine Reihe von Beobachtungen Hand in Hand, welche nicht wie jene allein auf das Aeußere, ſondern vorzüglich auf die innere Zu- ſammenſetzung des Thierkörpers gerichtet waren. Zunächſt kam es wohl nur darauf an, die zur Befriedigung der wichtigſten Bedürfniſſe des Menſchen brauchbaren Theile kennen und irgendwie kunſtgerecht ſondern zu lernen. Dem ſein Vieh oder ſein Wild abbalgenden und ausweidenden Hirten und Jäger folgte bald der Haruſpex, welcher zwar die Eingeweide und das Blut der Thiere 3) nur um die Geheimniſſe der Zukunft befragte, durch die Uebung ſeines Handwerks aber doch eine allgemeine Kenntniß ihrer Form und Lagerung erlangen mußte. Da- bei konnte denn die auffallende Aehnlichkeit mancher Thiere mit einander 2) Wenn noch bei Homer γένος άνϑρώπων, βοῶν u. ſ. f. die auf gemein- ſamer Zeugung ruhende Geſammtheit einzelner Formen bezeichnet, ſo wird von Herodot an γένος zur Bezeichnung der Familienſippſchaft erweitert, woraus ſich allmählich der Begriff der Verwandtſchaft im Allgemeinen entwickelte Es erhalten daher die γένη μέγιστα, die συγγενεῖα, die μορφἠ συγγενετικἡ des Ariſtoteles einen Sinn, welcher unſerem naturhiſtoriſchen Ausdruck „verwandt“ um ſo mehr entſpricht, als ja auch uns die Bedeutung des Wortes „Gattung“ bei Ausſprache und Leſung deſſelben kaum mehr gegenwärtig iſt. Vor den Griechen fand ſich nichts dem ähnliches. Den alten Indern fehlte der Ausdruck für dieſen weiteren Grad der Zuſammengehörigkeit. Die Sanskritworte kula und gotra laſſen keinen „gemeinſa- men Urſprung“ durchblicken, und gâti, welches der Wurzel nach zu γένος gehört, wird nur im philoſophiſchen Sinne gebraucht. 3) auch der Menſchen bei den Cimbern, ſ. Strabo, 7, 2: ἐκ δὲ τοῦ προ- χεομένου αἵματος εἰς τὸν κρατῆρα μαντείαν τινὰ ἐποιοῦντο, nämlich aus dem Blute geſchlachteter Gefangenen. Weiſſagung aus den Eingeweiden Erſchlage- ner findet ſich noch im frühen Mittelalter.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/15>, abgerufen am 21.11.2024.