Außer den Thierschilderungen, deren litterar- und naturhistorische Begründung im Vorstehenden kurz zu geben versucht wurde, enthalten nun die späteren Physiologi eine in den früheren Bearbeitungen feh- lende Anwendung. So heißt es z. B. beim Onager: Der Wildesel hat daher die Figur des Teufels; wenn er merkt, daß Tag und Nacht gleich werden, d. h. wenn er sieht, daß die Völker, welche in der Dun- kelheit wandelten, zum reinen Lichte sich bekehren, so brüllt er Tag und Nacht zu den einzelnen Stunden und sucht seine verlorene Beute. Oder beim Biber: So sollen Alle, welche in Christo keusch leben wollen, alle Fehler ihres Herzens und Körpers herausschneiden und dem Teufel ins Gesicht werfen u. s. w. Der syrische Physiologus und der älteste erhaltene lateinische (A. Mai und Pitra, Ansileubus) haben noch keine derartigen Moralisationen, sondern nur Verweisungen auf die Bibel. Diese beiden Bearbeitungen werden daher jedenfalls zu den ältesten Formen gehören, in welchen der Physiologus noch erhalten ist. Die andern Recensionen, von denen mit Einrechnung der verschiedenen be- nutzten Handschriften kaum zwanzig publicirt sind, nach ihrem genealo- gischen Verhalten zu ordnen, ist vorläufig fast unausführbar, bis durch ein reicheres Material die offenbaren Lücken der allmählichen Verbrei- tungsgeschichte ausgefüllt sind. Um nur an Einzelnes hier zu erinnern, so stimmt zwar der syrische und ältere griechische (armenische, ohne die Moralisationen) in vielen Punkten überein; doch schon der sogenannte Epiphanius weicht wesentlich ab. Unter den lateinischen Bearbeitungen stellen die mit des Chrysostomus Namen versehenen eine eigene Familie dar, während die von Mai und Pitra, die von Cahier herausgegebe- nen, sowie eine ungedruckte der Leipziger Universitäts-Bibliothek (13-14. Jahrhundert) sich wieder in Einzelheiten enger an die grie- chischen anschließen. Ziemlich autochthon scheint auf den ersten Blick der isländische zu sein. In mehreren Zügen stimmt er zwar mit allen übrigen überein, vor Allem in der eigenthümlichen Auswahl der ge- schilderten Thiere. Doch enthält er einerseits auch Thiere, welche sonst nirgends vorkommen, wie den Eber, Bremsen u. a., andrerseits ent- fernt sich die Erzählung zuweilen völlig von allen übrigen; so z. B. die
Die Zoologie des Mittelalters.
Außer den Thierſchilderungen, deren litterar- und naturhiſtoriſche Begründung im Vorſtehenden kurz zu geben verſucht wurde, enthalten nun die ſpäteren Phyſiologi eine in den früheren Bearbeitungen feh- lende Anwendung. So heißt es z. B. beim Onager: Der Wildeſel hat daher die Figur des Teufels; wenn er merkt, daß Tag und Nacht gleich werden, d. h. wenn er ſieht, daß die Völker, welche in der Dun- kelheit wandelten, zum reinen Lichte ſich bekehren, ſo brüllt er Tag und Nacht zu den einzelnen Stunden und ſucht ſeine verlorene Beute. Oder beim Biber: So ſollen Alle, welche in Chriſto keuſch leben wollen, alle Fehler ihres Herzens und Körpers herausſchneiden und dem Teufel ins Geſicht werfen u. ſ. w. Der ſyriſche Phyſiologus und der älteſte erhaltene lateiniſche (A. Mai und Pitra, Anſileubus) haben noch keine derartigen Moraliſationen, ſondern nur Verweiſungen auf die Bibel. Dieſe beiden Bearbeitungen werden daher jedenfalls zu den älteſten Formen gehören, in welchen der Phyſiologus noch erhalten iſt. Die andern Recenſionen, von denen mit Einrechnung der verſchiedenen be- nutzten Handſchriften kaum zwanzig publicirt ſind, nach ihrem genealo- giſchen Verhalten zu ordnen, iſt vorläufig faſt unausführbar, bis durch ein reicheres Material die offenbaren Lücken der allmählichen Verbrei- tungsgeſchichte ausgefüllt ſind. Um nur an Einzelnes hier zu erinnern, ſo ſtimmt zwar der ſyriſche und ältere griechiſche (armeniſche, ohne die Moraliſationen) in vielen Punkten überein; doch ſchon der ſogenannte Epiphanius weicht weſentlich ab. Unter den lateiniſchen Bearbeitungen ſtellen die mit des Chryſoſtomus Namen verſehenen eine eigene Familie dar, während die von Mai und Pitra, die von Cahier herausgegebe- nen, ſowie eine ungedruckte der Leipziger Univerſitäts-Bibliothek (13-14. Jahrhundert) ſich wieder in Einzelheiten enger an die grie- chiſchen anſchließen. Ziemlich autochthon ſcheint auf den erſten Blick der isländiſche zu ſein. In mehreren Zügen ſtimmt er zwar mit allen übrigen überein, vor Allem in der eigenthümlichen Auswahl der ge- ſchilderten Thiere. Doch enthält er einerſeits auch Thiere, welche ſonſt nirgends vorkommen, wie den Eber, Bremſen u. a., andrerſeits ent- fernt ſich die Erzählung zuweilen völlig von allen übrigen; ſo z. B. die
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Die Zoologie des Mittelalters.
Außer den Thierſchilderungen, deren litterar- und naturhiſtoriſche
Begründung im Vorſtehenden kurz zu geben verſucht wurde, enthalten
nun die ſpäteren Phyſiologi eine in den früheren Bearbeitungen feh-
lende Anwendung. So heißt es z. B. beim Onager: Der Wildeſel
hat daher die Figur des Teufels; wenn er merkt, daß Tag und Nacht
gleich werden, d. h. wenn er ſieht, daß die Völker, welche in der Dun-
kelheit wandelten, zum reinen Lichte ſich bekehren, ſo brüllt er Tag und
Nacht zu den einzelnen Stunden und ſucht ſeine verlorene Beute. Oder
beim Biber: So ſollen Alle, welche in Chriſto keuſch leben wollen,
alle Fehler ihres Herzens und Körpers herausſchneiden und dem Teufel
ins Geſicht werfen u. ſ. w. Der ſyriſche Phyſiologus und der älteſte
erhaltene lateiniſche (A. Mai und Pitra, Anſileubus) haben noch keine
derartigen Moraliſationen, ſondern nur Verweiſungen auf die Bibel.
Dieſe beiden Bearbeitungen werden daher jedenfalls zu den älteſten
Formen gehören, in welchen der Phyſiologus noch erhalten iſt. Die
andern Recenſionen, von denen mit Einrechnung der verſchiedenen be-
nutzten Handſchriften kaum zwanzig publicirt ſind, nach ihrem genealo-
giſchen Verhalten zu ordnen, iſt vorläufig faſt unausführbar, bis durch
ein reicheres Material die offenbaren Lücken der allmählichen Verbrei-
tungsgeſchichte ausgefüllt ſind. Um nur an Einzelnes hier zu erinnern,
ſo ſtimmt zwar der ſyriſche und ältere griechiſche (armeniſche, ohne die
Moraliſationen) in vielen Punkten überein; doch ſchon der ſogenannte
Epiphanius weicht weſentlich ab. Unter den lateiniſchen Bearbeitungen
ſtellen die mit des Chryſoſtomus Namen verſehenen eine eigene Familie
dar, während die von Mai und Pitra, die von Cahier herausgegebe-
nen, ſowie eine ungedruckte der Leipziger Univerſitäts-Bibliothek
(13-14. Jahrhundert) ſich wieder in Einzelheiten enger an die grie-
chiſchen anſchließen. Ziemlich autochthon ſcheint auf den erſten Blick
der isländiſche zu ſein. In mehreren Zügen ſtimmt er zwar mit allen
übrigen überein, vor Allem in der eigenthümlichen Auswahl der ge-
ſchilderten Thiere. Doch enthält er einerſeits auch Thiere, welche ſonſt
nirgends vorkommen, wie den Eber, Bremſen u. a., andrerſeits ent-
fernt ſich die Erzählung zuweilen völlig von allen übrigen; ſo z. B. die
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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