schaffung der Dinge zu beginnen, aber dann zur religiösen Betrachtung sich zu erheben habe8).
Es wird nun im Physiologus nicht bloß diese Aufgabe gelöst und jeder Schilderung eines naturhistorischen Gegenstandes eine erklärende Betrachtung zugefügt, sondern er schließt sich hierin der Richtung fast der ganzen übrigen Litteratur jener Zeiten eng an, welche dem ur- sprünglichen Sinn des Wortes Physiologie gerade entgegen theils alles Natürliche direct an Göttliches oder wenigstens Biblisches anzuknüpfen, theils die geschichtlichen Erzählungen der Schrift und die kirchlichen Ge- bräuche durch Symbolisirungen und mystisch-allegorische Deutungen einer moralischen Nutzanwendung immer leichter und sicherer zugäng- lich zu machen suchte. Es wird sich zeigen, wie man hierbei ursprüng- lich einfacher verfuhr und wie man allmählich der älteren Vorlage als dem zu erklärenden Texte förmlicher gegenübertrat, wie es die häufig vorkommenden Wendungen beweisen: "der Physiologus sagt" und am Schlusse mancher Abschnitte: "ganz gut hat daher der Physiologus gesprochen".
Die Darstellung der Inhaltsübersicht wird erleichtert werden, wenn vorher ein Blick auf das vorhandene litterarische Material ge- worfen wird. Die verschiedenen Bearbeitungen des Physiologus, welche sich erhalten und bis jetzt eine Veröffentlichung erfahren haben, sind die folgenden. Als älteste Form desselben ist, wie sich zeigen wird, die griechische anzusehen. Pitra hat den ersten Abdruck eines grie- chischen Physiologus besorgt nach Handschriften aus dem 13. bis 15. Jahrhundert, welche mindestens zwei verschiedene Recensionen enthal- ten9). Die meisten Artikel sind prosaisch, einzelne aus einem metrischen Physiologus (Handschrift des 14. Jahrhunderts) ergänzt. Spricht auch entschieden die Neuheit dieser Handschriften gegen die Benutzbar- keit dieser Textesformen als älterer Ausgangspunkte, so wird dieser
8) e kata ton tes aletheias kanona gnostikes paradoseos phusiolo- gia ek tou peri kosmogonias ertetai logou[ - 1 Zeichen fehlt] enthende anabainousa epi to theologikon eidos. Clemens, Opp. ed. Potter, Oxonii 1715. Stromat. lib. IV. p. 564. vergl. Pitra, a. a. D. S. 2. Dies ist die sogenannte ano theoria.
9)Spicilegium Solesmense. Tom. III. p. 338-373.
Phyſiologus.
ſchaffung der Dinge zu beginnen, aber dann zur religiöſen Betrachtung ſich zu erheben habe8).
Es wird nun im Phyſiologus nicht bloß dieſe Aufgabe gelöſt und jeder Schilderung eines naturhiſtoriſchen Gegenſtandes eine erklärende Betrachtung zugefügt, ſondern er ſchließt ſich hierin der Richtung faſt der ganzen übrigen Litteratur jener Zeiten eng an, welche dem ur- ſprünglichen Sinn des Wortes Phyſiologie gerade entgegen theils alles Natürliche direct an Göttliches oder wenigſtens Bibliſches anzuknüpfen, theils die geſchichtlichen Erzählungen der Schrift und die kirchlichen Ge- bräuche durch Symboliſirungen und myſtiſch-allegoriſche Deutungen einer moraliſchen Nutzanwendung immer leichter und ſicherer zugäng- lich zu machen ſuchte. Es wird ſich zeigen, wie man hierbei urſprüng- lich einfacher verfuhr und wie man allmählich der älteren Vorlage als dem zu erklärenden Texte förmlicher gegenübertrat, wie es die häufig vorkommenden Wendungen beweiſen: „der Phyſiologus ſagt“ und am Schluſſe mancher Abſchnitte: „ganz gut hat daher der Phyſiologus geſprochen“.
Die Darſtellung der Inhaltsüberſicht wird erleichtert werden, wenn vorher ein Blick auf das vorhandene litterariſche Material ge- worfen wird. Die verſchiedenen Bearbeitungen des Phyſiologus, welche ſich erhalten und bis jetzt eine Veröffentlichung erfahren haben, ſind die folgenden. Als älteſte Form deſſelben iſt, wie ſich zeigen wird, die griechiſche anzuſehen. Pitra hat den erſten Abdruck eines grie- chiſchen Phyſiologus beſorgt nach Handſchriften aus dem 13. bis 15. Jahrhundert, welche mindeſtens zwei verſchiedene Recenſionen enthal- ten9). Die meiſten Artikel ſind proſaiſch, einzelne aus einem metriſchen Phyſiologus (Handſchrift des 14. Jahrhunderts) ergänzt. Spricht auch entſchieden die Neuheit dieſer Handſchriften gegen die Benutzbar- keit dieſer Textesformen als älterer Ausgangspunkte, ſo wird dieſer
8) ἡ κατὰ τὸν τῆς ἀληθείας κανόνα γνωστικῆς παραδόσεως φυσιολο- γία ἐκ τοῦ περὶ κοσμογονίας ἤρτηται λόγου[ – 1 Zeichen fehlt] ἐνθένδε ἀναβαίνουσα ἐπὶ τὸ θεολογικὸν εἰδος. Clémens, Opp. ed. Potter, Oxonii 1715. Stromat. lib. IV. p. 564. vergl. Pitra, a. a. D. S. 2. Dies iſt die ſogenannte ἄνω θεωρία.
9)Spicilegium Solesmense. Tom. III. p. 338-373.
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Phyſiologus.
ſchaffung der Dinge zu beginnen, aber dann zur religiöſen Betrachtung
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Es wird nun im Phyſiologus nicht bloß dieſe Aufgabe gelöſt und
jeder Schilderung eines naturhiſtoriſchen Gegenſtandes eine erklärende
Betrachtung zugefügt, ſondern er ſchließt ſich hierin der Richtung faſt
der ganzen übrigen Litteratur jener Zeiten eng an, welche dem ur-
ſprünglichen Sinn des Wortes Phyſiologie gerade entgegen theils alles
Natürliche direct an Göttliches oder wenigſtens Bibliſches anzuknüpfen,
theils die geſchichtlichen Erzählungen der Schrift und die kirchlichen Ge-
bräuche durch Symboliſirungen und myſtiſch-allegoriſche Deutungen
einer moraliſchen Nutzanwendung immer leichter und ſicherer zugäng-
lich zu machen ſuchte. Es wird ſich zeigen, wie man hierbei urſprüng-
lich einfacher verfuhr und wie man allmählich der älteren Vorlage als
dem zu erklärenden Texte förmlicher gegenübertrat, wie es die häufig
vorkommenden Wendungen beweiſen: „der Phyſiologus ſagt“ und am
Schluſſe mancher Abſchnitte: „ganz gut hat daher der Phyſiologus
geſprochen“.
Die Darſtellung der Inhaltsüberſicht wird erleichtert werden,
wenn vorher ein Blick auf das vorhandene litterariſche Material ge-
worfen wird. Die verſchiedenen Bearbeitungen des Phyſiologus,
welche ſich erhalten und bis jetzt eine Veröffentlichung erfahren haben,
ſind die folgenden. Als älteſte Form deſſelben iſt, wie ſich zeigen wird,
die griechiſche anzuſehen. Pitra hat den erſten Abdruck eines grie-
chiſchen Phyſiologus beſorgt nach Handſchriften aus dem 13. bis 15.
Jahrhundert, welche mindeſtens zwei verſchiedene Recenſionen enthal-
ten 9). Die meiſten Artikel ſind proſaiſch, einzelne aus einem metriſchen
Phyſiologus (Handſchrift des 14. Jahrhunderts) ergänzt. Spricht
auch entſchieden die Neuheit dieſer Handſchriften gegen die Benutzbar-
keit dieſer Textesformen als älterer Ausgangspunkte, ſo wird dieſer
8) ἡ κατὰ τὸν τῆς ἀληθείας κανόνα γνωστικῆς παραδόσεως φυσιολο-
γία ἐκ τοῦ περὶ κοσμογονίας ἤρτηται λόγου_ ἐνθένδε ἀναβαίνουσα ἐπὶ τὸ
θεολογικὸν εἰδος. Clémens, Opp. ed. Potter, Oxonii 1715. Stromat. lib. IV.
p. 564. vergl. Pitra, a. a. D. S. 2. Dies iſt die ſogenannte ἄνω θεωρία.
9) Spicilegium Solesmense. Tom. III. p. 338-373.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/122>, abgerufen am 25.11.2024.
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