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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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es doch selbst so mit der größten und bedeutendsten Aufgabe
des Geistes, mit der Erkenntniß eines höchsten göttlichen
Mysteriums! -- Der in sich, im Gottbewußtsein noch nicht
ganz fest gewordenen Seele ist es eine Art von Trost und
Aufrichtung zu erfahren, auf welche Weise die Gotterkennt¬
niß bald heller bald trüber in Millionen anderer Seelen
sich gespiegelt hat, denn allerdings liegt darin immer das
Geheimnißvolle aller solchen Erkenntnisse, daß man bald
gewahr werden muß, daß sie immer nur mit einer gewissen
Beschränkung in der Menschheit sich offenbaren kann, ganz
so wie es bei Plato heißt 1:

"Den Künstler (poeta) und Vater dieses Alls aufzu¬
finden, ist schwierig; hat man ihn aber aufgefunden, so
ist es doch unmöglich, ihn vor allen Menschen zu nennen."

Blicken wir aber demnach mit einer gewissen Freudig¬
keit auf die Zeugnisse frühester Zeiten, welche das Erkennen
der Ewigkeit unsers innersten Wesens entschieden ausspre¬
chen, so muß freilich auch sogleich Alles zwiefach unbefrie¬
digend erscheinen, was in späterer Zeit über eine Theorie
offenbar geworden ist, welche bloß das, was in uns ge¬
boren und zeitlich entstanden ist, als unsterblich und
unvergänglich darzustellen bemüht war. Diese Lehre, welche
einer mit Erzeugung oder Geburt des Kindes erst gewor¬
denen
Seele eine Unsterblichkeit, oder, wie man sich auch
wohl unlogisch ausdrückte, Ewigkeit vindiciren wollte, konnte
vor der Entscheidung einer reinen Wissenschaft des Geistes
durchaus keinen Halt zeigen, und konnte nur als ein Dogma
dem Glauben empfohlen bleiben. -- Daß das, was wirklich
"ewig" sich erweisen soll, keinen Anfang in der Zeit
haben dürfe, mußte bei einigermaßen schärferm Bedenken
an und für sich deutlich sein, und es blieb also nur das
Dilemma übrig, entweder eine unbedingte Ewigkeit unend¬
licher Ideen innerhalb des höchsten ewigen Mysteriums zu
denken, oder der Idee selbst nur ein zeitliches Dasein zuzu¬

1 Timäus Steph. 28.

es doch ſelbſt ſo mit der größten und bedeutendſten Aufgabe
des Geiſtes, mit der Erkenntniß eines höchſten göttlichen
Myſteriums! — Der in ſich, im Gottbewußtſein noch nicht
ganz feſt gewordenen Seele iſt es eine Art von Troſt und
Aufrichtung zu erfahren, auf welche Weiſe die Gotterkennt¬
niß bald heller bald trüber in Millionen anderer Seelen
ſich geſpiegelt hat, denn allerdings liegt darin immer das
Geheimnißvolle aller ſolchen Erkenntniſſe, daß man bald
gewahr werden muß, daß ſie immer nur mit einer gewiſſen
Beſchränkung in der Menſchheit ſich offenbaren kann, ganz
ſo wie es bei Plato heißt 1:

„Den Künſtler (poëta) und Vater dieſes Alls aufzu¬
finden, iſt ſchwierig; hat man ihn aber aufgefunden, ſo
iſt es doch unmöglich, ihn vor allen Menſchen zu nennen.“

Blicken wir aber demnach mit einer gewiſſen Freudig¬
keit auf die Zeugniſſe früheſter Zeiten, welche das Erkennen
der Ewigkeit unſers innerſten Weſens entſchieden ausſpre¬
chen, ſo muß freilich auch ſogleich Alles zwiefach unbefrie¬
digend erſcheinen, was in ſpäterer Zeit über eine Theorie
offenbar geworden iſt, welche bloß das, was in uns ge¬
boren und zeitlich entſtanden iſt, als unſterblich und
unvergänglich darzuſtellen bemüht war. Dieſe Lehre, welche
einer mit Erzeugung oder Geburt des Kindes erſt gewor¬
denen
Seele eine Unſterblichkeit, oder, wie man ſich auch
wohl unlogiſch ausdrückte, Ewigkeit vindiciren wollte, konnte
vor der Entſcheidung einer reinen Wiſſenſchaft des Geiſtes
durchaus keinen Halt zeigen, und konnte nur als ein Dogma
dem Glauben empfohlen bleiben. — Daß das, was wirklich
„ewig“ ſich erweiſen ſoll, keinen Anfang in der Zeit
haben dürfe, mußte bei einigermaßen ſchärferm Bedenken
an und für ſich deutlich ſein, und es blieb alſo nur das
Dilemma übrig, entweder eine unbedingte Ewigkeit unend¬
licher Ideen innerhalb des höchſten ewigen Myſteriums zu
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[489/0505] es doch ſelbſt ſo mit der größten und bedeutendſten Aufgabe des Geiſtes, mit der Erkenntniß eines höchſten göttlichen Myſteriums! — Der in ſich, im Gottbewußtſein noch nicht ganz feſt gewordenen Seele iſt es eine Art von Troſt und Aufrichtung zu erfahren, auf welche Weiſe die Gotterkennt¬ niß bald heller bald trüber in Millionen anderer Seelen ſich geſpiegelt hat, denn allerdings liegt darin immer das Geheimnißvolle aller ſolchen Erkenntniſſe, daß man bald gewahr werden muß, daß ſie immer nur mit einer gewiſſen Beſchränkung in der Menſchheit ſich offenbaren kann, ganz ſo wie es bei Plato heißt 1: „Den Künſtler (poëta) und Vater dieſes Alls aufzu¬ finden, iſt ſchwierig; hat man ihn aber aufgefunden, ſo iſt es doch unmöglich, ihn vor allen Menſchen zu nennen.“ Blicken wir aber demnach mit einer gewiſſen Freudig¬ keit auf die Zeugniſſe früheſter Zeiten, welche das Erkennen der Ewigkeit unſers innerſten Weſens entſchieden ausſpre¬ chen, ſo muß freilich auch ſogleich Alles zwiefach unbefrie¬ digend erſcheinen, was in ſpäterer Zeit über eine Theorie offenbar geworden iſt, welche bloß das, was in uns ge¬ boren und zeitlich entſtanden iſt, als unſterblich und unvergänglich darzuſtellen bemüht war. Dieſe Lehre, welche einer mit Erzeugung oder Geburt des Kindes erſt gewor¬ denen Seele eine Unſterblichkeit, oder, wie man ſich auch wohl unlogiſch ausdrückte, Ewigkeit vindiciren wollte, konnte vor der Entſcheidung einer reinen Wiſſenſchaft des Geiſtes durchaus keinen Halt zeigen, und konnte nur als ein Dogma dem Glauben empfohlen bleiben. — Daß das, was wirklich „ewig“ ſich erweiſen ſoll, keinen Anfang in der Zeit haben dürfe, mußte bei einigermaßen ſchärferm Bedenken an und für ſich deutlich ſein, und es blieb alſo nur das Dilemma übrig, entweder eine unbedingte Ewigkeit unend¬ licher Ideen innerhalb des höchſten ewigen Myſteriums zu denken, oder der Idee ſelbſt nur ein zeitliches Daſein zuzu¬ 1 Timäus Steph. 28.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/505>, abgerufen am 24.11.2024.