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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Partikel sie ist, so wenig die Sonne afficirt wird, wenn
deren Bild im bewegten Wasser zittert, denn durch die Ein¬
körperung isolirt sich die Partikel der Weltseele, und die
Vereinigung mit dieser findet erst nach vollbrachter Wan¬
derung wieder Statt." -- Bei weiterer Ausbildung der Vor¬
stellung von solcher Seelenwanderung trifft man denn frei¬
lich sogleich wieder auf vielfältig Abstruses. Die Seele soll
mit verschiedenen Scheiden umkleidet sein, mit den feinsten
umhüllt verlasse sie den Gestorbenen u. s. w. -- Merkwürdig
ist es nur zu beachten, mit welcher Nothwendigkeit der
menschliche Geist zu jeder Zeit zu dem Gedanken gedrängt
wurde, die ewige göttliche Idee seines Wesens könne sich
unmöglich bloß in dem einen kurzen menschlichen Dasein
darzuleben bestimmt sein. Diese Vorstellungen sind daher
auch gar nicht etwa bloß dem Orient eigen; überall, selbst
in der dumpfen Seele nordamerikanischer Wilden, tauchen
sie auf, und v. Bohlen citirt eine Vorstellung dieser Art,
da wo er sagt 1: "Daher grub man bei einigen Wilden
Nordamerika's die Kinderleichen an den Heerstraßen ein,
in der Hoffnung, es möchten vorübergehende Weiber die
jungen Seelen auffangen." -- All dieses kann natürlich
hier nicht als irgend eine Autorität erwähnt werden, aber
es ist allemal merkwürdig, wie gewisse große tief im Be¬
wußtsein begründete Wahrheiten, welche in möglichster
Reinheit und Schärfe darzustellen nur die Aufgabe streng¬
ster Wissenschaft sein kann, in dunkeln Begriffen und man¬
nichfaltigen Symbolen zu jeder Periode des Menschheits¬
lebens sich kund geben. In so fern kann man denn allerdings
auch sagen, daß für den nach Gewißheit erkannter Wahr¬
heit sich sehnenden Geist, so lange er in seinem Schauen
selbst noch nicht ganz fest geworden ist, eine Art von Be¬
weis a posteriori darin liegt, die mannichfaltig verhüllten
Formen jener Erkenntniß, wie sie zu verschiedenen Zeiten
in andern Seelen sich erschlossen hatten, zu studiren. Ist

1 A. a. O. 1. Theil, Seite 170.

Partikel ſie iſt, ſo wenig die Sonne afficirt wird, wenn
deren Bild im bewegten Waſſer zittert, denn durch die Ein¬
körperung iſolirt ſich die Partikel der Weltſeele, und die
Vereinigung mit dieſer findet erſt nach vollbrachter Wan¬
derung wieder Statt.“ — Bei weiterer Ausbildung der Vor¬
ſtellung von ſolcher Seelenwanderung trifft man denn frei¬
lich ſogleich wieder auf vielfältig Abſtruſes. Die Seele ſoll
mit verſchiedenen Scheiden umkleidet ſein, mit den feinſten
umhüllt verlaſſe ſie den Geſtorbenen u. ſ. w. — Merkwürdig
iſt es nur zu beachten, mit welcher Nothwendigkeit der
menſchliche Geiſt zu jeder Zeit zu dem Gedanken gedrängt
wurde, die ewige göttliche Idee ſeines Weſens könne ſich
unmöglich bloß in dem einen kurzen menſchlichen Daſein
darzuleben beſtimmt ſein. Dieſe Vorſtellungen ſind daher
auch gar nicht etwa bloß dem Orient eigen; überall, ſelbſt
in der dumpfen Seele nordamerikaniſcher Wilden, tauchen
ſie auf, und v. Bohlen citirt eine Vorſtellung dieſer Art,
da wo er ſagt 1: „Daher grub man bei einigen Wilden
Nordamerika's die Kinderleichen an den Heerſtraßen ein,
in der Hoffnung, es möchten vorübergehende Weiber die
jungen Seelen auffangen.“ — All dieſes kann natürlich
hier nicht als irgend eine Autorität erwähnt werden, aber
es iſt allemal merkwürdig, wie gewiſſe große tief im Be¬
wußtſein begründete Wahrheiten, welche in möglichſter
Reinheit und Schärfe darzuſtellen nur die Aufgabe ſtreng¬
ſter Wiſſenſchaft ſein kann, in dunkeln Begriffen und man¬
nichfaltigen Symbolen zu jeder Periode des Menſchheits¬
lebens ſich kund geben. In ſo fern kann man denn allerdings
auch ſagen, daß für den nach Gewißheit erkannter Wahr¬
heit ſich ſehnenden Geiſt, ſo lange er in ſeinem Schauen
ſelbſt noch nicht ganz feſt geworden iſt, eine Art von Be¬
weis a posteriori darin liegt, die mannichfaltig verhüllten
Formen jener Erkenntniß, wie ſie zu verſchiedenen Zeiten
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1 A. a. O. 1. Theil, Seite 170.
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[488/0504] Partikel ſie iſt, ſo wenig die Sonne afficirt wird, wenn deren Bild im bewegten Waſſer zittert, denn durch die Ein¬ körperung iſolirt ſich die Partikel der Weltſeele, und die Vereinigung mit dieſer findet erſt nach vollbrachter Wan¬ derung wieder Statt.“ — Bei weiterer Ausbildung der Vor¬ ſtellung von ſolcher Seelenwanderung trifft man denn frei¬ lich ſogleich wieder auf vielfältig Abſtruſes. Die Seele ſoll mit verſchiedenen Scheiden umkleidet ſein, mit den feinſten umhüllt verlaſſe ſie den Geſtorbenen u. ſ. w. — Merkwürdig iſt es nur zu beachten, mit welcher Nothwendigkeit der menſchliche Geiſt zu jeder Zeit zu dem Gedanken gedrängt wurde, die ewige göttliche Idee ſeines Weſens könne ſich unmöglich bloß in dem einen kurzen menſchlichen Daſein darzuleben beſtimmt ſein. Dieſe Vorſtellungen ſind daher auch gar nicht etwa bloß dem Orient eigen; überall, ſelbſt in der dumpfen Seele nordamerikaniſcher Wilden, tauchen ſie auf, und v. Bohlen citirt eine Vorſtellung dieſer Art, da wo er ſagt 1: „Daher grub man bei einigen Wilden Nordamerika's die Kinderleichen an den Heerſtraßen ein, in der Hoffnung, es möchten vorübergehende Weiber die jungen Seelen auffangen.“ — All dieſes kann natürlich hier nicht als irgend eine Autorität erwähnt werden, aber es iſt allemal merkwürdig, wie gewiſſe große tief im Be¬ wußtſein begründete Wahrheiten, welche in möglichſter Reinheit und Schärfe darzuſtellen nur die Aufgabe ſtreng¬ ſter Wiſſenſchaft ſein kann, in dunkeln Begriffen und man¬ nichfaltigen Symbolen zu jeder Periode des Menſchheits¬ lebens ſich kund geben. In ſo fern kann man denn allerdings auch ſagen, daß für den nach Gewißheit erkannter Wahr¬ heit ſich ſehnenden Geiſt, ſo lange er in ſeinem Schauen ſelbſt noch nicht ganz feſt geworden iſt, eine Art von Be¬ weis a posteriori darin liegt, die mannichfaltig verhüllten Formen jener Erkenntniß, wie ſie zu verſchiedenen Zeiten in andern Seelen ſich erſchloſſen hatten, zu ſtudiren. Iſt 1 A. a. O. 1. Theil, Seite 170.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/504>, abgerufen am 24.11.2024.