endlich) steigern, wenn man jeder neuen Lebensform als Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und für sich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweise dem Wesen des Ewigen widerspricht, es irgend als ein früher noch nicht Dagewesenes zu denken, als welches jede Idee doch gedacht werden müßte, die erst aus Theilung oder als Vervielfältigung anderer Ideen entstanden angenommen würde. Mache man es sich also hier nochmals recht deut¬ lich, daß nicht bloß zunächst für alle bewußtlos sich darle¬ benden, sondern auch für die zur Freiheit des Bewußtseins bestimmten Ideen das Beispiel gelte, welches wir oben vom Gesetz einer mathematischen Gestaltung hergenommen hatten: daß nämlich, so wie das Gesetz des Dreiecks eines und dasselbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck dargestellt, so auch sie, obwohl in sich immer dem Wesen nach dieselben, doch in der Erscheinung unendliche Male sich darzuleben vermögen.
Auf diese Weise also entsteht und vergeht und entsteht immer wieder zunächst die unendliche Mannichfaltigkeit der im Unbewußtsein verharrenden Welt. Systeme von Welt¬ körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der Bewußtlosigkeit verharrenden Geschöpfen, wo immerfort Ge¬ neration an Generation sich reiht, sie zeigen nur eben so viele wiederholte Offenbarungen von einen und denselben unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Gesetz einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer wieder in neuen Gestaltungen sich abbildet, so bleiben doch die Urbilder in alle Ewigkeit dieselben. Ganz auf dieselbe Weise ist aber in dieser Beziehung auch die unendliche Man¬ nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geistes zu denken! Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit jeder, nicht nur eine Seele schlechthin, sondern jede einzelne
endlich) ſteigern, wenn man jeder neuen Lebensform als Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und für ſich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweiſe dem Weſen des Ewigen widerſpricht, es irgend als ein früher noch nicht Dageweſenes zu denken, als welches jede Idee doch gedacht werden müßte, die erſt aus Theilung oder als Vervielfältigung anderer Ideen entſtanden angenommen würde. Mache man es ſich alſo hier nochmals recht deut¬ lich, daß nicht bloß zunächſt für alle bewußtlos ſich darle¬ benden, ſondern auch für die zur Freiheit des Bewußtſeins beſtimmten Ideen das Beiſpiel gelte, welches wir oben vom Geſetz einer mathematiſchen Geſtaltung hergenommen hatten: daß nämlich, ſo wie das Geſetz des Dreiecks eines und daſſelbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck dargeſtellt, ſo auch ſie, obwohl in ſich immer dem Weſen nach dieſelben, doch in der Erſcheinung unendliche Male ſich darzuleben vermögen.
Auf dieſe Weiſe alſo entſteht und vergeht und entſteht immer wieder zunächſt die unendliche Mannichfaltigkeit der im Unbewußtſein verharrenden Welt. Syſteme von Welt¬ körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der Bewußtloſigkeit verharrenden Geſchöpfen, wo immerfort Ge¬ neration an Generation ſich reiht, ſie zeigen nur eben ſo viele wiederholte Offenbarungen von einen und denſelben unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Geſetz einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer wieder in neuen Geſtaltungen ſich abbildet, ſo bleiben doch die Urbilder in alle Ewigkeit dieſelben. Ganz auf dieſelbe Weiſe iſt aber in dieſer Beziehung auch die unendliche Man¬ nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geiſtes zu denken! Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit jeder, nicht nur eine Seele ſchlechthin, ſondern jede einzelne
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0489"n="473"/>
endlich) ſteigern, wenn man jeder neuen Lebensform als<lb/>
Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und<lb/>
doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen<lb/>
Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und<lb/>
für ſich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweiſe dem<lb/>
Weſen des Ewigen widerſpricht, es irgend als ein früher<lb/>
noch nicht Dageweſenes zu denken, als welches jede Idee<lb/>
doch gedacht werden müßte, die erſt aus Theilung oder als<lb/>
Vervielfältigung anderer Ideen entſtanden angenommen<lb/>
würde. Mache man es ſich alſo hier nochmals recht deut¬<lb/>
lich, daß nicht bloß zunächſt für alle bewußtlos ſich darle¬<lb/>
benden, ſondern auch für die zur Freiheit des Bewußtſeins<lb/>
beſtimmten Ideen das Beiſpiel gelte, welches wir oben<lb/>
vom Geſetz einer mathematiſchen Geſtaltung hergenommen<lb/>
hatten: daß nämlich, ſo wie das Geſetz des Dreiecks eines<lb/>
und daſſelbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer<lb/>
wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck<lb/>
dargeſtellt, ſo auch ſie, obwohl in ſich immer dem Weſen<lb/>
nach dieſelben, doch in der Erſcheinung unendliche Male<lb/>ſich darzuleben vermögen.</p><lb/><p>Auf dieſe Weiſe alſo entſteht und vergeht und entſteht<lb/>
immer wieder zunächſt die unendliche Mannichfaltigkeit der<lb/>
im Unbewußtſein verharrenden Welt. Syſteme von Welt¬<lb/>
körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der<lb/>
Bewußtloſigkeit verharrenden Geſchöpfen, wo immerfort Ge¬<lb/>
neration an Generation ſich reiht, ſie zeigen nur eben ſo<lb/>
viele wiederholte Offenbarungen von einen und denſelben<lb/>
unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Geſetz<lb/>
einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer<lb/>
wieder in neuen Geſtaltungen ſich abbildet, ſo bleiben doch<lb/>
die Urbilder in alle Ewigkeit dieſelben. Ganz auf dieſelbe<lb/>
Weiſe iſt aber in dieſer Beziehung auch die unendliche Man¬<lb/>
nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geiſtes zu denken!<lb/>
Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit<lb/>
jeder, nicht nur eine Seele ſchlechthin, ſondern jede einzelne<lb/></p></div></body></text></TEI>
[473/0489]
endlich) ſteigern, wenn man jeder neuen Lebensform als
Bedingung ihres Seins eine eigenthümliche, neue, und
doch ewige Idee andichten wollte. Von einem göttlichen
Urbilde kann niemals zugegeben werden, daß es an und
für ſich als ein neues aufträte, da es begreiflicherweiſe dem
Weſen des Ewigen widerſpricht, es irgend als ein früher
noch nicht Dageweſenes zu denken, als welches jede Idee
doch gedacht werden müßte, die erſt aus Theilung oder als
Vervielfältigung anderer Ideen entſtanden angenommen
würde. Mache man es ſich alſo hier nochmals recht deut¬
lich, daß nicht bloß zunächſt für alle bewußtlos ſich darle¬
benden, ſondern auch für die zur Freiheit des Bewußtſeins
beſtimmten Ideen das Beiſpiel gelte, welches wir oben
vom Geſetz einer mathematiſchen Geſtaltung hergenommen
hatten: daß nämlich, ſo wie das Geſetz des Dreiecks eines
und daſſelbe bleibt, obwohl unzählige Male immer und immer
wieder in der Wirklichkeit als zeitlich vergängliches Dreieck
dargeſtellt, ſo auch ſie, obwohl in ſich immer dem Weſen
nach dieſelben, doch in der Erſcheinung unendliche Male
ſich darzuleben vermögen.
Auf dieſe Weiſe alſo entſteht und vergeht und entſteht
immer wieder zunächſt die unendliche Mannichfaltigkeit der
im Unbewußtſein verharrenden Welt. Syſteme von Welt¬
körpern mit allen ihren unermeßlichen in der Nacht der
Bewußtloſigkeit verharrenden Geſchöpfen, wo immerfort Ge¬
neration an Generation ſich reiht, ſie zeigen nur eben ſo
viele wiederholte Offenbarungen von einen und denſelben
unendlichen in Gott gedachten Ideen, und wenn das Geſetz
einer Pflanzen- oder Thierform ins Unermeßliche immer
wieder in neuen Geſtaltungen ſich abbildet, ſo bleiben doch
die Urbilder in alle Ewigkeit dieſelben. Ganz auf dieſelbe
Weiſe iſt aber in dieſer Beziehung auch die unendliche Man¬
nichfaltigkeit in der Welt des bewußten Geiſtes zu denken!
Schon was wir früher erkannt haben von der Ewigkeit
jeder, nicht nur eine Seele ſchlechthin, ſondern jede einzelne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/489>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.