eines Ewigen spiegelt, etwa so wie man sagen kann: das Licht entsteht erst dadurch, daß ein Auge da ist, welches es als Licht empfindet; oder, schärfer ausgedrückt: nicht die Sonne ist's, die die Welt erleuchtet, sondern das Auge! Haben wir nun im Vorhergehenden auf den großen und wesentlichen Unterschied hingewiesen, welchen wir anzuer¬ kennen haben zwischen unendlichen, der Gebundenheit und Bewußtlosigkeit anheimfallenden, und unendlichen zur Frei¬ heit und eigenem Bewußtsein bestimmten Ideen, so wird nun auch ein beiden unendlichen Reihen Gemeinsames und Gleiches noch hervorgehoben werden müssen, bevor wir zu den Folgerungen uns wenden, welche für Erkenntniß Dessen, was in der Seele vergänglich oder ewig ist, aus Obigem gezogen werden dürfen. -- Das Gemeinsame aber für die Ideen beiderlei Art ist: daß die einen wie die andern, alle in sich ewig, alle aber auch der Möglichkeit nach in unendlich vielfältiger Weise zeitlich sich zu offenbaren, oder sich darzuleben bestimmt und im Stande sind. -- Demnach ist also nicht die Welt dergestalt entstehend und seiend zu denken, daß jeder einzelnen Offenbarung irgend einer Lebensform auch allemal eine eigenthümliche und neue Idee zum Grunde läge, und daß in jeder solcher erneuten Erscheinung auch eine neue wieder ins Unendliche sich vervielfältigende Idee aufträte, denn eine Vorstellung dieser Art, wo man die Ideen mit jeder neuen Generation alles Werdenden aber¬ mals sich vervielfältigend dächte, würde nicht minder ver¬ nunftwidrig sein, als wenn man zu denken wollte wagen eine Vervielfältigung der einen Gottheit, nur deßhalb, weil sie sich selbst in der Welt stets auf unendlich vielfältige und immer neue Weise zur Erscheinung bringt. -- Zugleich hieße es in Wahrheit die an sich unläugbare Unendlichkeit der Welt gleichsam zu einer vielfältigen Unendlichkeit (d. h. zu einem Widerspruche, denn vor irgend einer Viel¬ heit kann nur einmal ausgesagt werden, sie sei un¬
eines Ewigen ſpiegelt, etwa ſo wie man ſagen kann: das Licht entſteht erſt dadurch, daß ein Auge da iſt, welches es als Licht empfindet; oder, ſchärfer ausgedrückt: nicht die Sonne iſt's, die die Welt erleuchtet, ſondern das Auge! Haben wir nun im Vorhergehenden auf den großen und weſentlichen Unterſchied hingewieſen, welchen wir anzuer¬ kennen haben zwiſchen unendlichen, der Gebundenheit und Bewußtloſigkeit anheimfallenden, und unendlichen zur Frei¬ heit und eigenem Bewußtſein beſtimmten Ideen, ſo wird nun auch ein beiden unendlichen Reihen Gemeinſames und Gleiches noch hervorgehoben werden müſſen, bevor wir zu den Folgerungen uns wenden, welche für Erkenntniß Deſſen, was in der Seele vergänglich oder ewig iſt, aus Obigem gezogen werden dürfen. — Das Gemeinſame aber für die Ideen beiderlei Art iſt: daß die einen wie die andern, alle in ſich ewig, alle aber auch der Möglichkeit nach in unendlich vielfältiger Weiſe zeitlich ſich zu offenbaren, oder ſich darzuleben beſtimmt und im Stande ſind. — Demnach iſt alſo nicht die Welt dergeſtalt entſtehend und ſeiend zu denken, daß jeder einzelnen Offenbarung irgend einer Lebensform auch allemal eine eigenthümliche und neue Idee zum Grunde läge, und daß in jeder ſolcher erneuten Erſcheinung auch eine neue wieder ins Unendliche ſich vervielfältigende Idee aufträte, denn eine Vorſtellung dieſer Art, wo man die Ideen mit jeder neuen Generation alles Werdenden aber¬ mals ſich vervielfältigend dächte, würde nicht minder ver¬ nunftwidrig ſein, als wenn man zu denken wollte wagen eine Vervielfältigung der einen Gottheit, nur deßhalb, weil ſie ſich ſelbſt in der Welt ſtets auf unendlich vielfältige und immer neue Weiſe zur Erſcheinung bringt. — Zugleich hieße es in Wahrheit die an ſich unläugbare Unendlichkeit der Welt gleichſam zu einer vielfältigen Unendlichkeit (d. h. zu einem Widerſpruche, denn vor irgend einer Viel¬ heit kann nur einmal ausgeſagt werden, ſie ſei un¬
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eines Ewigen ſpiegelt, etwa ſo wie man ſagen kann: das
Licht entſteht erſt dadurch, daß ein Auge da iſt, welches es
als Licht empfindet; oder, ſchärfer ausgedrückt: nicht die
Sonne iſt's, die die Welt erleuchtet, ſondern das Auge!
Haben wir nun im Vorhergehenden auf den großen und
weſentlichen Unterſchied hingewieſen, welchen wir anzuer¬
kennen haben zwiſchen unendlichen, der Gebundenheit und
Bewußtloſigkeit anheimfallenden, und unendlichen zur Frei¬
heit und eigenem Bewußtſein beſtimmten Ideen, ſo wird
nun auch ein beiden unendlichen Reihen Gemeinſames
und Gleiches noch hervorgehoben werden müſſen, bevor wir
zu den Folgerungen uns wenden, welche für Erkenntniß
Deſſen, was in der Seele vergänglich oder ewig iſt, aus
Obigem gezogen werden dürfen. — Das Gemeinſame aber
für die Ideen beiderlei Art iſt: daß die einen wie die
andern, alle in ſich ewig, alle aber auch der
Möglichkeit nach in unendlich vielfältiger Weiſe
zeitlich ſich zu offenbaren, oder ſich darzuleben
beſtimmt und im Stande ſind. — Demnach iſt alſo
nicht die Welt dergeſtalt entſtehend und ſeiend zu denken,
daß jeder einzelnen Offenbarung irgend einer Lebensform
auch allemal eine eigenthümliche und neue Idee zum Grunde
läge, und daß in jeder ſolcher erneuten Erſcheinung auch
eine neue wieder ins Unendliche ſich vervielfältigende Idee
aufträte, denn eine Vorſtellung dieſer Art, wo man die
Ideen mit jeder neuen Generation alles Werdenden aber¬
mals ſich vervielfältigend dächte, würde nicht minder ver¬
nunftwidrig ſein, als wenn man zu denken wollte wagen
eine Vervielfältigung der einen Gottheit, nur deßhalb,
weil ſie ſich ſelbſt in der Welt ſtets auf unendlich vielfältige
und immer neue Weiſe zur Erſcheinung bringt. — Zugleich
hieße es in Wahrheit die an ſich unläugbare Unendlichkeit
der Welt gleichſam zu einer vielfältigen Unendlichkeit
(d. h. zu einem Widerſpruche, denn vor irgend einer Viel¬
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/488>, abgerufen am 24.11.2024.
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