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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Als einen dritten möglichen Ausgang der Krankheits¬
erscheinungen am Geiste ist endlich des Ueberganges in
andere Krankheiten zu gedenken. Es ist dies ein reiner
Metaschematismus. Wie es der Arzt oftmals beobachtet,
daß etwa ein Asthma sich verliert, wenn Gicht in den Ge¬
lenken auftritt, oder, wie manche andere chronische Leiden
schwinden, wenn ein Fieber ausbricht, so kann auch gar
wohl eine Krankheit, welche die Organe des Denkens mit
belastete, dergestalt in ihrer Form sich ändern, daß nun
andere Provinzen des Lebens der Sitz des Leidens werden,
und wirklich beobachtet man auf diese Weise ebenfalls, daß
Formänderungen des Krankseins hervortreten, wo z. B.
Hautentzündungen, Gelenkgicht, Blutaussonderungen u. s. w.,
plötzlich die Befangenheit des Geistes lösen und ihn wieder
in seiner Integrität wirken lassen, obwohl das unbewußte
Leben nichts desto weniger immerfort im Ganzen krank bleibt.
Man sieht demnach, daß dieser Ausgang des Krankseins,
welcher bei Wahnsinnigen gar nicht selten beobachtet wird,
psychologisch eigentlich keine neue Seite des Zustandes ent¬
hüllt, daß er vielmehr ebenfalls nur darauf zurückdeutet,
daß alle Krankheitserscheinung am Geiste im Unbewußten
wurzelt, und daß somit diese Vorgänge in praktischer Be¬
ziehung mehr für den Arzt als für den Psychologen ein
besonderes Studium verdienen.

Jetzt, nach allen vorhergegangenen Betrachtungen, wird
sich auch von selbst herausheben, was über die mögliche
Heilung
des Wahnsinns hier zu sagen wäre. Die wich¬
tigste Frage, welche die Irrenärzte vielfach beschäftigt hat
und welche nie zu einer rechten Entscheidung gelangen konnte,
so lange das eigentliche Verhältniß dieser Zustände selbst
unklar geblieben war, ist: "ob die Heilung durch directe
Einwirkung auf das Bewußtsein, oder ob sie durch Ein¬
wirkung auf das Unbewußte zu erzielen sei?" Das erstere
Verfahren nannte man das rein psychische, und es sollte
sich auf eine Art von Pädagogik beschränken, das andere

Als einen dritten möglichen Ausgang der Krankheits¬
erſcheinungen am Geiſte iſt endlich des Ueberganges in
andere Krankheiten zu gedenken. Es iſt dies ein reiner
Metaſchematismus. Wie es der Arzt oftmals beobachtet,
daß etwa ein Aſthma ſich verliert, wenn Gicht in den Ge¬
lenken auftritt, oder, wie manche andere chroniſche Leiden
ſchwinden, wenn ein Fieber ausbricht, ſo kann auch gar
wohl eine Krankheit, welche die Organe des Denkens mit
belaſtete, dergeſtalt in ihrer Form ſich ändern, daß nun
andere Provinzen des Lebens der Sitz des Leidens werden,
und wirklich beobachtet man auf dieſe Weiſe ebenfalls, daß
Formänderungen des Krankſeins hervortreten, wo z. B.
Hautentzündungen, Gelenkgicht, Blutausſonderungen u. ſ. w.,
plötzlich die Befangenheit des Geiſtes löſen und ihn wieder
in ſeiner Integrität wirken laſſen, obwohl das unbewußte
Leben nichts deſto weniger immerfort im Ganzen krank bleibt.
Man ſieht demnach, daß dieſer Ausgang des Krankſeins,
welcher bei Wahnſinnigen gar nicht ſelten beobachtet wird,
pſychologiſch eigentlich keine neue Seite des Zuſtandes ent¬
hüllt, daß er vielmehr ebenfalls nur darauf zurückdeutet,
daß alle Krankheitserſcheinung am Geiſte im Unbewußten
wurzelt, und daß ſomit dieſe Vorgänge in praktiſcher Be¬
ziehung mehr für den Arzt als für den Pſychologen ein
beſonderes Studium verdienen.

Jetzt, nach allen vorhergegangenen Betrachtungen, wird
ſich auch von ſelbſt herausheben, was über die mögliche
Heilung
des Wahnſinns hier zu ſagen wäre. Die wich¬
tigſte Frage, welche die Irrenärzte vielfach beſchäftigt hat
und welche nie zu einer rechten Entſcheidung gelangen konnte,
ſo lange das eigentliche Verhältniß dieſer Zuſtände ſelbſt
unklar geblieben war, iſt: „ob die Heilung durch directe
Einwirkung auf das Bewußtſein, oder ob ſie durch Ein¬
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Verfahren nannte man das rein pſychiſche, und es ſollte
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[459/0475] Als einen dritten möglichen Ausgang der Krankheits¬ erſcheinungen am Geiſte iſt endlich des Ueberganges in andere Krankheiten zu gedenken. Es iſt dies ein reiner Metaſchematismus. Wie es der Arzt oftmals beobachtet, daß etwa ein Aſthma ſich verliert, wenn Gicht in den Ge¬ lenken auftritt, oder, wie manche andere chroniſche Leiden ſchwinden, wenn ein Fieber ausbricht, ſo kann auch gar wohl eine Krankheit, welche die Organe des Denkens mit belaſtete, dergeſtalt in ihrer Form ſich ändern, daß nun andere Provinzen des Lebens der Sitz des Leidens werden, und wirklich beobachtet man auf dieſe Weiſe ebenfalls, daß Formänderungen des Krankſeins hervortreten, wo z. B. Hautentzündungen, Gelenkgicht, Blutausſonderungen u. ſ. w., plötzlich die Befangenheit des Geiſtes löſen und ihn wieder in ſeiner Integrität wirken laſſen, obwohl das unbewußte Leben nichts deſto weniger immerfort im Ganzen krank bleibt. Man ſieht demnach, daß dieſer Ausgang des Krankſeins, welcher bei Wahnſinnigen gar nicht ſelten beobachtet wird, pſychologiſch eigentlich keine neue Seite des Zuſtandes ent¬ hüllt, daß er vielmehr ebenfalls nur darauf zurückdeutet, daß alle Krankheitserſcheinung am Geiſte im Unbewußten wurzelt, und daß ſomit dieſe Vorgänge in praktiſcher Be¬ ziehung mehr für den Arzt als für den Pſychologen ein beſonderes Studium verdienen. Jetzt, nach allen vorhergegangenen Betrachtungen, wird ſich auch von ſelbſt herausheben, was über die mögliche Heilung des Wahnſinns hier zu ſagen wäre. Die wich¬ tigſte Frage, welche die Irrenärzte vielfach beſchäftigt hat und welche nie zu einer rechten Entſcheidung gelangen konnte, ſo lange das eigentliche Verhältniß dieſer Zuſtände ſelbſt unklar geblieben war, iſt: „ob die Heilung durch directe Einwirkung auf das Bewußtſein, oder ob ſie durch Ein¬ wirkung auf das Unbewußte zu erzielen ſei?“ Das erſtere Verfahren nannte man das rein pſychiſche, und es ſollte ſich auf eine Art von Pädagogik beſchränken, das andere

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/475>, abgerufen am 23.11.2024.