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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Stimme des Gewissens gerührt, diese Bahn verlassen, oder
durch Erziehung gebessert werden, aber für den Wahn¬
sinnigen gibt es auf diese Weise keinen Weg zur Genesung.
Nur die Abweichung, welche vom Bewußtsein ausgegangen
ist, kann auch durch das Bewußtsein zum Rechten zurück¬
geführt werden, und auch dieses deutet abermals wieder
dahin, daß die Wurzel der Krankheitserscheinungen am
Geiste schlechterdings außerhalb des Geistes, d. h. im
Unbewußten, liege.

Die Genesung kann daher auch in diesen Krankheiten,
wie in allen andern, nur aus zwiefachen Quellen kommen:
einmal aus der innern, unerschütterlichen Göttlichkeit der
Idee des Individuums überhaupt, welche anhaltend und
mit stätiger Macht die Eigenthümlichkeit des Lebens, das
Normale, herzustellen strebt, und ein andermal aus dem
Lebensgange der jenes Normale störenden Krankheit, welcher,
wie alles zeitliche Leben, ein endlicher ist, d. h. in gewissen
Perioden sich abwickeln und sodann erlöschen muß. Das
Zusammenwirken dieser beiden Momente ist es, welches,
zuweilen unterstützt und gefördert durch ein zweckmäßiges,
absichtliches Einwirken von außen, im glücklichen Falle den
Geist wieder zu seiner vollen Klarheit zurückkehren läßt;
ein Vorgang, welcher am klarsten und einfachsten überschaut
werden kann in jenen acuten Fällen, welche als Opium¬
rausch oder Fieberwahnsinn aufgeführt worden sind. Hier,
wo das leibliche Kranksein so durchaus vorherrschend ist,
lassen sich mit mehr Deutlichkeit die Momente unterscheiden,
welche das Schwinden jener Umnachtungen des Geistes be¬
dingen. Deutlicher erkennt man die Perioden, in welchen
die Krankheit sich zurückzieht und abklingt, und im selben
Maße tritt auch das Licht des Geistes wieder hervor. Immer
wird indeß im Wesentlichen die Geschichte der Genesung
vom jahrelang dauernden Wahnsinn durchaus keine andere
sein, als die Genesung von jenen acuten Fällen, nur daß
hier in Monaten vorgeht, was dort in Tagen verläuft.

Stimme des Gewiſſens gerührt, dieſe Bahn verlaſſen, oder
durch Erziehung gebeſſert werden, aber für den Wahn¬
ſinnigen gibt es auf dieſe Weiſe keinen Weg zur Geneſung.
Nur die Abweichung, welche vom Bewußtſein ausgegangen
iſt, kann auch durch das Bewußtſein zum Rechten zurück¬
geführt werden, und auch dieſes deutet abermals wieder
dahin, daß die Wurzel der Krankheitserſcheinungen am
Geiſte ſchlechterdings außerhalb des Geiſtes, d. h. im
Unbewußten, liege.

Die Geneſung kann daher auch in dieſen Krankheiten,
wie in allen andern, nur aus zwiefachen Quellen kommen:
einmal aus der innern, unerſchütterlichen Göttlichkeit der
Idee des Individuums überhaupt, welche anhaltend und
mit ſtätiger Macht die Eigenthümlichkeit des Lebens, das
Normale, herzuſtellen ſtrebt, und ein andermal aus dem
Lebensgange der jenes Normale ſtörenden Krankheit, welcher,
wie alles zeitliche Leben, ein endlicher iſt, d. h. in gewiſſen
Perioden ſich abwickeln und ſodann erlöſchen muß. Das
Zuſammenwirken dieſer beiden Momente iſt es, welches,
zuweilen unterſtützt und gefördert durch ein zweckmäßiges,
abſichtliches Einwirken von außen, im glücklichen Falle den
Geiſt wieder zu ſeiner vollen Klarheit zurückkehren läßt;
ein Vorgang, welcher am klarſten und einfachſten überſchaut
werden kann in jenen acuten Fällen, welche als Opium¬
rauſch oder Fieberwahnſinn aufgeführt worden ſind. Hier,
wo das leibliche Krankſein ſo durchaus vorherrſchend iſt,
laſſen ſich mit mehr Deutlichkeit die Momente unterſcheiden,
welche das Schwinden jener Umnachtungen des Geiſtes be¬
dingen. Deutlicher erkennt man die Perioden, in welchen
die Krankheit ſich zurückzieht und abklingt, und im ſelben
Maße tritt auch das Licht des Geiſtes wieder hervor. Immer
wird indeß im Weſentlichen die Geſchichte der Geneſung
vom jahrelang dauernden Wahnſinn durchaus keine andere
ſein, als die Geneſung von jenen acuten Fällen, nur daß
hier in Monaten vorgeht, was dort in Tagen verläuft.

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[458/0474] Stimme des Gewiſſens gerührt, dieſe Bahn verlaſſen, oder durch Erziehung gebeſſert werden, aber für den Wahn¬ ſinnigen gibt es auf dieſe Weiſe keinen Weg zur Geneſung. Nur die Abweichung, welche vom Bewußtſein ausgegangen iſt, kann auch durch das Bewußtſein zum Rechten zurück¬ geführt werden, und auch dieſes deutet abermals wieder dahin, daß die Wurzel der Krankheitserſcheinungen am Geiſte ſchlechterdings außerhalb des Geiſtes, d. h. im Unbewußten, liege. Die Geneſung kann daher auch in dieſen Krankheiten, wie in allen andern, nur aus zwiefachen Quellen kommen: einmal aus der innern, unerſchütterlichen Göttlichkeit der Idee des Individuums überhaupt, welche anhaltend und mit ſtätiger Macht die Eigenthümlichkeit des Lebens, das Normale, herzuſtellen ſtrebt, und ein andermal aus dem Lebensgange der jenes Normale ſtörenden Krankheit, welcher, wie alles zeitliche Leben, ein endlicher iſt, d. h. in gewiſſen Perioden ſich abwickeln und ſodann erlöſchen muß. Das Zuſammenwirken dieſer beiden Momente iſt es, welches, zuweilen unterſtützt und gefördert durch ein zweckmäßiges, abſichtliches Einwirken von außen, im glücklichen Falle den Geiſt wieder zu ſeiner vollen Klarheit zurückkehren läßt; ein Vorgang, welcher am klarſten und einfachſten überſchaut werden kann in jenen acuten Fällen, welche als Opium¬ rauſch oder Fieberwahnſinn aufgeführt worden ſind. Hier, wo das leibliche Krankſein ſo durchaus vorherrſchend iſt, laſſen ſich mit mehr Deutlichkeit die Momente unterſcheiden, welche das Schwinden jener Umnachtungen des Geiſtes be¬ dingen. Deutlicher erkennt man die Perioden, in welchen die Krankheit ſich zurückzieht und abklingt, und im ſelben Maße tritt auch das Licht des Geiſtes wieder hervor. Immer wird indeß im Weſentlichen die Geſchichte der Geneſung vom jahrelang dauernden Wahnſinn durchaus keine andere ſein, als die Geneſung von jenen acuten Fällen, nur daß hier in Monaten vorgeht, was dort in Tagen verläuft.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/474>, abgerufen am 24.11.2024.