Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

als eine gesunde und ächte, eben nur durch ihr Exclusives
und durch den Schmerz endlicher Unzulänglichkeit zur Lei¬
denschaft werdende Liebe
erscheinen soll. Hat man
hievon einmal an diesem Beispiele die wahre Ueberzeugung
gewonnen, so wird man dies auch auf alle andere Liebe
und Leidenschaft anwenden können. Es gibt keine Liebes¬
form, die nicht durch umnachtete Erkenntniß, und wenn sie
unschön angestrebt wird, auf gleiche Weise krank, und wie
man sehr gut davon zu sagen pflegt, unsinnig erscheinen
könnte. Auf diese Weise geübt, wird die Liebe der Eltern
zu Kindern eine Affenliebe, auf diese Weise geübt, wird
die Liebe zu dem Geliebten eine Monomanie und Wuth,
und auf diese Weise kann selbst die Liebe zur Wissenschaft
und Kunst geradezu zu einer Thorheit werden. In allen
diesen Fällen haben wir das Recht, die Liebesleidenschaft
als krank anzusprechen, und wir sehen daher, daß nicht
allein das niedere verwerfliche Ziel die Liebe abnorm und
krankhaft erscheinen läßt, sondern eben so sehr der unreife
Zustand des Subjects und die Mangelhaftigkeit der Er¬
kenntniß, wie die Unschönheit ihres Bestrebens. Wer im
Leben um sich blicken will, wird in diesen Verhältnissen
sehr bald den Grund davon erkennen, daß Das, was hier
ächte und höhere Liebe genannt wird, so selten nur in der
Menschheit vorkommt.

Es ist nun aber ferner noch zu bemerken, daß ein
zwiefach schweres Erkranken des Liebevermögens noch da¬
durch bedingt werden kann, daß beide Formen mit einander
verbunden werden, daß ein unwürdiges Ziel auch noch auf
unschöne Weise und bei schwer umnachteter Erkenntniß an¬
gestrebt werde. Diese Fälle sind die schwersten, und da,
wo die erwähnten Suchten oder niedern Leidenschaften schnell
zur Zerstörung und zum Wahn- oder Blödsinn führen,
findet sich gewöhnlich ein solches trauriges zwiefaches Zu¬
sammenwirken.

Das Letzte, was endlich noch über das Erkranken des

Carus, Psyche. 20

als eine geſunde und ächte, eben nur durch ihr Excluſives
und durch den Schmerz endlicher Unzulänglichkeit zur Lei¬
denſchaft werdende Liebe
erſcheinen ſoll. Hat man
hievon einmal an dieſem Beiſpiele die wahre Ueberzeugung
gewonnen, ſo wird man dies auch auf alle andere Liebe
und Leidenſchaft anwenden können. Es gibt keine Liebes¬
form, die nicht durch umnachtete Erkenntniß, und wenn ſie
unſchön angeſtrebt wird, auf gleiche Weiſe krank, und wie
man ſehr gut davon zu ſagen pflegt, unſinnig erſcheinen
könnte. Auf dieſe Weiſe geübt, wird die Liebe der Eltern
zu Kindern eine Affenliebe, auf dieſe Weiſe geübt, wird
die Liebe zu dem Geliebten eine Monomanie und Wuth,
und auf dieſe Weiſe kann ſelbſt die Liebe zur Wiſſenſchaft
und Kunſt geradezu zu einer Thorheit werden. In allen
dieſen Fällen haben wir das Recht, die Liebesleidenſchaft
als krank anzuſprechen, und wir ſehen daher, daß nicht
allein das niedere verwerfliche Ziel die Liebe abnorm und
krankhaft erſcheinen läßt, ſondern eben ſo ſehr der unreife
Zuſtand des Subjects und die Mangelhaftigkeit der Er¬
kenntniß, wie die Unſchönheit ihres Beſtrebens. Wer im
Leben um ſich blicken will, wird in dieſen Verhältniſſen
ſehr bald den Grund davon erkennen, daß Das, was hier
ächte und höhere Liebe genannt wird, ſo ſelten nur in der
Menſchheit vorkommt.

Es iſt nun aber ferner noch zu bemerken, daß ein
zwiefach ſchweres Erkranken des Liebevermögens noch da¬
durch bedingt werden kann, daß beide Formen mit einander
verbunden werden, daß ein unwürdiges Ziel auch noch auf
unſchöne Weiſe und bei ſchwer umnachteter Erkenntniß an¬
geſtrebt werde. Dieſe Fälle ſind die ſchwerſten, und da,
wo die erwähnten Suchten oder niedern Leidenſchaften ſchnell
zur Zerſtörung und zum Wahn- oder Blödſinn führen,
findet ſich gewöhnlich ein ſolches trauriges zwiefaches Zu¬
ſammenwirken.

Das Letzte, was endlich noch über das Erkranken des

Carus, Pſyche. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0321" n="305"/>
als eine ge&#x017F;unde und ächte, eben nur durch ihr Exclu&#x017F;ives<lb/>
und durch den Schmerz endlicher Unzulänglichkeit <hi rendition="#g">zur Lei¬<lb/>
den&#x017F;chaft werdende Liebe</hi> er&#x017F;cheinen &#x017F;oll. Hat man<lb/>
hievon einmal an die&#x017F;em Bei&#x017F;piele die wahre Ueberzeugung<lb/>
gewonnen, &#x017F;o wird man dies auch auf alle andere Liebe<lb/>
und Leiden&#x017F;chaft anwenden können. Es gibt keine Liebes¬<lb/>
form, die nicht durch umnachtete Erkenntniß, und wenn &#x017F;ie<lb/>
un&#x017F;chön ange&#x017F;trebt wird, auf gleiche Wei&#x017F;e krank, und wie<lb/>
man &#x017F;ehr gut davon zu &#x017F;agen pflegt, <hi rendition="#g">un&#x017F;innig</hi> er&#x017F;cheinen<lb/>
könnte. Auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e geübt, wird die Liebe der Eltern<lb/>
zu Kindern eine Affenliebe, auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e geübt, wird<lb/>
die Liebe zu dem Geliebten eine Monomanie und Wuth,<lb/>
und auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e kann &#x017F;elb&#x017F;t die Liebe zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und Kun&#x017F;t geradezu zu einer Thorheit werden. In allen<lb/>
die&#x017F;en Fällen haben wir das Recht, die Liebesleiden&#x017F;chaft<lb/>
als <hi rendition="#g">krank</hi> anzu&#x017F;prechen, und wir &#x017F;ehen daher, daß nicht<lb/>
allein das niedere verwerfliche Ziel die Liebe abnorm und<lb/>
krankhaft er&#x017F;cheinen läßt, &#x017F;ondern eben &#x017F;o &#x017F;ehr der unreife<lb/>
Zu&#x017F;tand des Subjects und die Mangelhaftigkeit der Er¬<lb/>
kenntniß, wie die Un&#x017F;chönheit ihres Be&#x017F;trebens. Wer im<lb/>
Leben um &#x017F;ich blicken will, wird in die&#x017F;en Verhältni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ehr bald den Grund davon erkennen, daß Das, was hier<lb/>
ächte und höhere Liebe genannt wird, &#x017F;o &#x017F;elten nur in der<lb/>
Men&#x017F;chheit vorkommt.</p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t nun aber ferner noch zu bemerken, daß ein<lb/>
zwiefach &#x017F;chweres Erkranken des Liebevermögens noch da¬<lb/>
durch bedingt werden kann, daß beide Formen mit einander<lb/>
verbunden werden, daß ein unwürdiges Ziel auch noch auf<lb/>
un&#x017F;chöne Wei&#x017F;e und bei &#x017F;chwer umnachteter Erkenntniß an¬<lb/>
ge&#x017F;trebt werde. Die&#x017F;e Fälle &#x017F;ind die <hi rendition="#g">&#x017F;chwer&#x017F;ten</hi>, und da,<lb/>
wo die erwähnten Suchten oder niedern Leiden&#x017F;chaften &#x017F;chnell<lb/>
zur Zer&#x017F;törung und zum Wahn- oder Blöd&#x017F;inn führen,<lb/>
findet &#x017F;ich gewöhnlich ein &#x017F;olches trauriges zwiefaches Zu¬<lb/>
&#x017F;ammenwirken.</p><lb/>
              <p>Das Letzte, was endlich noch über das Erkranken des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Carus</hi>, P&#x017F;yche. 20<lb/></fw>
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0321] als eine geſunde und ächte, eben nur durch ihr Excluſives und durch den Schmerz endlicher Unzulänglichkeit zur Lei¬ denſchaft werdende Liebe erſcheinen ſoll. Hat man hievon einmal an dieſem Beiſpiele die wahre Ueberzeugung gewonnen, ſo wird man dies auch auf alle andere Liebe und Leidenſchaft anwenden können. Es gibt keine Liebes¬ form, die nicht durch umnachtete Erkenntniß, und wenn ſie unſchön angeſtrebt wird, auf gleiche Weiſe krank, und wie man ſehr gut davon zu ſagen pflegt, unſinnig erſcheinen könnte. Auf dieſe Weiſe geübt, wird die Liebe der Eltern zu Kindern eine Affenliebe, auf dieſe Weiſe geübt, wird die Liebe zu dem Geliebten eine Monomanie und Wuth, und auf dieſe Weiſe kann ſelbſt die Liebe zur Wiſſenſchaft und Kunſt geradezu zu einer Thorheit werden. In allen dieſen Fällen haben wir das Recht, die Liebesleidenſchaft als krank anzuſprechen, und wir ſehen daher, daß nicht allein das niedere verwerfliche Ziel die Liebe abnorm und krankhaft erſcheinen läßt, ſondern eben ſo ſehr der unreife Zuſtand des Subjects und die Mangelhaftigkeit der Er¬ kenntniß, wie die Unſchönheit ihres Beſtrebens. Wer im Leben um ſich blicken will, wird in dieſen Verhältniſſen ſehr bald den Grund davon erkennen, daß Das, was hier ächte und höhere Liebe genannt wird, ſo ſelten nur in der Menſchheit vorkommt. Es iſt nun aber ferner noch zu bemerken, daß ein zwiefach ſchweres Erkranken des Liebevermögens noch da¬ durch bedingt werden kann, daß beide Formen mit einander verbunden werden, daß ein unwürdiges Ziel auch noch auf unſchöne Weiſe und bei ſchwer umnachteter Erkenntniß an¬ geſtrebt werde. Dieſe Fälle ſind die ſchwerſten, und da, wo die erwähnten Suchten oder niedern Leidenſchaften ſchnell zur Zerſtörung und zum Wahn- oder Blödſinn führen, findet ſich gewöhnlich ein ſolches trauriges zwiefaches Zu¬ ſammenwirken. Das Letzte, was endlich noch über das Erkranken des Carus, Pſyche. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/321
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/321>, abgerufen am 18.05.2024.