Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

den Naturbildungen und eben so in der Organisation des
Menschen anerkannt, ihr Studium wohl gar zur Vermeh¬
rung der Erkenntniß des Göttlichen überhaupt empfohlen,
und dessen ungeachtet wird zwischen diesem unbewußten
Walten eines sich individualisirenden Göttlichen und dem
bewußten Göttlichen, welches wir in der entwickelten mensch¬
lichen Seele gewahr werden, als zwischen zwei durchaus
Entgegengesetzten unterschieden. Jenes erste Unbewußte wird
dann wieder, gegenüber der Seele etwa, als Lebenskraft
angesprochen, und diese letztere erscheint alsdann bald zu
einem bloßen Mechanismus herabgesetzt, bald wird sie wohl
auch als besonders dämonisch aufgefaßt, so daß zuletzt nicht
viel fehlte, man hätte sie als Offenbarung des bösen,
satanischen Princips dem bewußten Psychischen als der
Offenbarung des guten und eigentlich divinen Princips
geradezu gegenübergestellt, während doch die innere wahr¬
haft göttliche Vollendung aller Productionen des erstern
unbewußten Waltens nicht geläugnet werden kann. Dies
sind Verirrungen die hier nur beiläufig angedeutet werden
sollen, die aber eigentlich weiter von der Wahrheit sich ver¬
lieren, als die des sogenannten Pantheismus selbst.

Ich sagte nun aber schon im Eingange, daß es schwer
sei in der Region des bewußten Seelenlebens den Begriff
vom unbewußten Leiden und Thun der Seele in der Wahr¬
heit zu erfassen, daß aber doch auch wiederum nur eben
hier der Schlüssel zu einer wahren Psychologie
gefunden werden könne
. Versuchen wir daher zunächst
dadurch uns zu fördern, daß wir Achtung geben, wie vieles
auch innerhalb des bewußten Zustandes unserer Seele aller¬
dings nur als ein Unbewußtes sich bewegt und vollendet.
So ist es denn z. B. keinem Zweifel unterworfen, daß
die Muskeln, welche der Bewegung des Athemholens dienen,
durch die zu ihnen sich verbreitenden Wirkungen des Nerven¬
lebens, der Willkür unseres bewußten Seelenlebens gehorchen.
Wir können diese Bewegungen eine Zeitlang hemmen, wir

den Naturbildungen und eben ſo in der Organiſation des
Menſchen anerkannt, ihr Studium wohl gar zur Vermeh¬
rung der Erkenntniß des Göttlichen überhaupt empfohlen,
und deſſen ungeachtet wird zwiſchen dieſem unbewußten
Walten eines ſich individualiſirenden Göttlichen und dem
bewußten Göttlichen, welches wir in der entwickelten menſch¬
lichen Seele gewahr werden, als zwiſchen zwei durchaus
Entgegengeſetzten unterſchieden. Jenes erſte Unbewußte wird
dann wieder, gegenüber der Seele etwa, als Lebenskraft
angeſprochen, und dieſe letztere erſcheint alsdann bald zu
einem bloßen Mechanismus herabgeſetzt, bald wird ſie wohl
auch als beſonders dämoniſch aufgefaßt, ſo daß zuletzt nicht
viel fehlte, man hätte ſie als Offenbarung des böſen,
ſataniſchen Princips dem bewußten Pſychiſchen als der
Offenbarung des guten und eigentlich divinen Princips
geradezu gegenübergeſtellt, während doch die innere wahr¬
haft göttliche Vollendung aller Productionen des erſtern
unbewußten Waltens nicht geläugnet werden kann. Dies
ſind Verirrungen die hier nur beiläufig angedeutet werden
ſollen, die aber eigentlich weiter von der Wahrheit ſich ver¬
lieren, als die des ſogenannten Pantheismus ſelbſt.

Ich ſagte nun aber ſchon im Eingange, daß es ſchwer
ſei in der Region des bewußten Seelenlebens den Begriff
vom unbewußten Leiden und Thun der Seele in der Wahr¬
heit zu erfaſſen, daß aber doch auch wiederum nur eben
hier der Schlüſſel zu einer wahren Pſychologie
gefunden werden könne
. Verſuchen wir daher zunächſt
dadurch uns zu fördern, daß wir Achtung geben, wie vieles
auch innerhalb des bewußten Zuſtandes unſerer Seele aller¬
dings nur als ein Unbewußtes ſich bewegt und vollendet.
So iſt es denn z. B. keinem Zweifel unterworfen, daß
die Muskeln, welche der Bewegung des Athemholens dienen,
durch die zu ihnen ſich verbreitenden Wirkungen des Nerven¬
lebens, der Willkür unſeres bewußten Seelenlebens gehorchen.
Wir können dieſe Bewegungen eine Zeitlang hemmen, wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="15"/>
den Naturbildungen und eben &#x017F;o in der Organi&#x017F;ation des<lb/>
Men&#x017F;chen anerkannt, ihr Studium wohl gar zur Vermeh¬<lb/>
rung der Erkenntniß des Göttlichen überhaupt empfohlen,<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en ungeachtet wird zwi&#x017F;chen die&#x017F;em unbewußten<lb/>
Walten eines &#x017F;ich individuali&#x017F;irenden Göttlichen und dem<lb/>
bewußten Göttlichen, welches wir in der entwickelten men&#x017F;ch¬<lb/>
lichen Seele gewahr werden, als zwi&#x017F;chen zwei durchaus<lb/>
Entgegenge&#x017F;etzten unter&#x017F;chieden. Jenes er&#x017F;te Unbewußte wird<lb/>
dann wieder, gegenüber der Seele etwa, als Lebenskraft<lb/>
ange&#x017F;prochen, und die&#x017F;e letztere er&#x017F;cheint alsdann bald zu<lb/>
einem bloßen Mechanismus herabge&#x017F;etzt, bald wird &#x017F;ie wohl<lb/>
auch als be&#x017F;onders dämoni&#x017F;ch aufgefaßt, &#x017F;o daß zuletzt nicht<lb/>
viel fehlte, man hätte &#x017F;ie als Offenbarung des bö&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;atani&#x017F;chen Princips dem bewußten P&#x017F;ychi&#x017F;chen als der<lb/>
Offenbarung des guten und eigentlich divinen Princips<lb/>
geradezu gegenüberge&#x017F;tellt, während doch die innere wahr¬<lb/>
haft göttliche Vollendung aller Productionen des er&#x017F;tern<lb/>
unbewußten Waltens nicht geläugnet werden kann. Dies<lb/>
&#x017F;ind Verirrungen die hier nur beiläufig angedeutet werden<lb/>
&#x017F;ollen, die aber eigentlich weiter von der Wahrheit &#x017F;ich ver¬<lb/>
lieren, als die des &#x017F;ogenannten Pantheismus &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;agte nun aber &#x017F;chon im Eingange, daß es &#x017F;chwer<lb/>
&#x017F;ei in der Region des bewußten Seelenlebens den Begriff<lb/>
vom unbewußten Leiden und Thun der Seele in der Wahr¬<lb/>
heit zu erfa&#x017F;&#x017F;en, daß aber doch auch wiederum nur eben<lb/><hi rendition="#g">hier der Schlü&#x017F;&#x017F;el zu einer wahren P&#x017F;ychologie<lb/>
gefunden werden könne</hi>. Ver&#x017F;uchen wir daher zunäch&#x017F;t<lb/>
dadurch uns zu fördern, daß wir Achtung geben, wie vieles<lb/>
auch innerhalb des bewußten Zu&#x017F;tandes un&#x017F;erer Seele aller¬<lb/>
dings nur als ein Unbewußtes &#x017F;ich bewegt und vollendet.<lb/>
So i&#x017F;t es denn z. B. keinem Zweifel unterworfen, daß<lb/>
die Muskeln, welche der Bewegung des Athemholens dienen,<lb/>
durch die zu ihnen &#x017F;ich verbreitenden Wirkungen des Nerven¬<lb/>
lebens, der Willkür un&#x017F;eres bewußten Seelenlebens gehorchen.<lb/>
Wir können die&#x017F;e Bewegungen eine Zeitlang hemmen, wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0031] den Naturbildungen und eben ſo in der Organiſation des Menſchen anerkannt, ihr Studium wohl gar zur Vermeh¬ rung der Erkenntniß des Göttlichen überhaupt empfohlen, und deſſen ungeachtet wird zwiſchen dieſem unbewußten Walten eines ſich individualiſirenden Göttlichen und dem bewußten Göttlichen, welches wir in der entwickelten menſch¬ lichen Seele gewahr werden, als zwiſchen zwei durchaus Entgegengeſetzten unterſchieden. Jenes erſte Unbewußte wird dann wieder, gegenüber der Seele etwa, als Lebenskraft angeſprochen, und dieſe letztere erſcheint alsdann bald zu einem bloßen Mechanismus herabgeſetzt, bald wird ſie wohl auch als beſonders dämoniſch aufgefaßt, ſo daß zuletzt nicht viel fehlte, man hätte ſie als Offenbarung des böſen, ſataniſchen Princips dem bewußten Pſychiſchen als der Offenbarung des guten und eigentlich divinen Princips geradezu gegenübergeſtellt, während doch die innere wahr¬ haft göttliche Vollendung aller Productionen des erſtern unbewußten Waltens nicht geläugnet werden kann. Dies ſind Verirrungen die hier nur beiläufig angedeutet werden ſollen, die aber eigentlich weiter von der Wahrheit ſich ver¬ lieren, als die des ſogenannten Pantheismus ſelbſt. Ich ſagte nun aber ſchon im Eingange, daß es ſchwer ſei in der Region des bewußten Seelenlebens den Begriff vom unbewußten Leiden und Thun der Seele in der Wahr¬ heit zu erfaſſen, daß aber doch auch wiederum nur eben hier der Schlüſſel zu einer wahren Pſychologie gefunden werden könne. Verſuchen wir daher zunächſt dadurch uns zu fördern, daß wir Achtung geben, wie vieles auch innerhalb des bewußten Zuſtandes unſerer Seele aller¬ dings nur als ein Unbewußtes ſich bewegt und vollendet. So iſt es denn z. B. keinem Zweifel unterworfen, daß die Muskeln, welche der Bewegung des Athemholens dienen, durch die zu ihnen ſich verbreitenden Wirkungen des Nerven¬ lebens, der Willkür unſeres bewußten Seelenlebens gehorchen. Wir können dieſe Bewegungen eine Zeitlang hemmen, wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/31
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/31>, abgerufen am 23.11.2024.