die angegebenen Ursachen -- in so weit sie nämlich be¬ wußterweise erkannt werden können -- würden es uns kaum glaublich erscheinen lassen, daß sie wirklich diese Freude er¬ regen konnten. In Wahrheit ist auch die Physiognomie der mehr im Unbewußten gegründeten Freude eine so viel andere als die wesentlich im Bewußtsein gegründete. Dem geübten Auge des Menschenkenners werden diese mit Worten schwer zu bezeichnenden Unterschiede nicht entgehen, und vielleicht wird er die Verschiedenheit am meisten dadurch andeuten, daß er die Physiognomie der letztern als die geistigere bezeichnet. Es ist merkwürdig dagegen wie eben diese wesentlich aus bewußten Vorstellungen hervorgehende Freude selbst bei wahrhaften Leiden des Unbewußten, bei Kränklichkeit und Hinfälligkeit der Organisation, strahlend durchbrechen kann, und wie sehr sie in ihren Motiven sich steigert, je höher das An-sich-sein der Idee gediehen und je klarer die Erkenntniß geworden. Namentlich gibt die erwähnte Steigerung der Motive hier zu weitläufigen Be¬ trachtungen Anlaß. Das Höchste ist offenbar wenn im Geiste aufgegangen ist die volle Wahrnehmung, das Ver¬ nehmen der Idee, und wenn dieses Vernehmen die Freudig¬ keit der Seele entzündet. Die Freude des Forschers wenn er ausrufen darf: "ich habe es gefunden!" die Freude des Dichters, des Künstlers wenn er den Göthe'schen Aus¬ druck anwenden darf: "es ist eine Idee zu mir getreten," die Freude des Liebenden wenn ihm die tiefste innere Idee des geliebten Wesens vernehmbar wird -- sie gehen ganz aus der bewußten Seele hervor, aber auch über das un¬ bewußte Leben verbreiten sie einen wunderbaren Schimmer, verändern die Züge des Antlitzes und den Glanz des Auges, nach eigenthümlichen, noch lange nicht enthüllten Gesetzen. Kurz, schon in diesen Betrachtungen enthüllt sich uns eine sehr mannichfaltige Entstehung der Freude und wir nehmen wahr in welcher Menge verschiedener Formen dieses Gefühl auftreten könne. Eben dadurch ist auch die so verschiedene
die angegebenen Urſachen — in ſo weit ſie nämlich be¬ wußterweiſe erkannt werden können — würden es uns kaum glaublich erſcheinen laſſen, daß ſie wirklich dieſe Freude er¬ regen konnten. In Wahrheit iſt auch die Phyſiognomie der mehr im Unbewußten gegründeten Freude eine ſo viel andere als die weſentlich im Bewußtſein gegründete. Dem geübten Auge des Menſchenkenners werden dieſe mit Worten ſchwer zu bezeichnenden Unterſchiede nicht entgehen, und vielleicht wird er die Verſchiedenheit am meiſten dadurch andeuten, daß er die Phyſiognomie der letztern als die geiſtigere bezeichnet. Es iſt merkwürdig dagegen wie eben dieſe weſentlich aus bewußten Vorſtellungen hervorgehende Freude ſelbſt bei wahrhaften Leiden des Unbewußten, bei Kränklichkeit und Hinfälligkeit der Organiſation, ſtrahlend durchbrechen kann, und wie ſehr ſie in ihren Motiven ſich ſteigert, je höher das An-ſich-ſein der Idee gediehen und je klarer die Erkenntniß geworden. Namentlich gibt die erwähnte Steigerung der Motive hier zu weitläufigen Be¬ trachtungen Anlaß. Das Höchſte iſt offenbar wenn im Geiſte aufgegangen iſt die volle Wahrnehmung, das Ver¬ nehmen der Idee, und wenn dieſes Vernehmen die Freudig¬ keit der Seele entzündet. Die Freude des Forſchers wenn er ausrufen darf: „ich habe es gefunden!“ die Freude des Dichters, des Künſtlers wenn er den Göthe'ſchen Aus¬ druck anwenden darf: „es iſt eine Idee zu mir getreten,“ die Freude des Liebenden wenn ihm die tiefſte innere Idee des geliebten Weſens vernehmbar wird — ſie gehen ganz aus der bewußten Seele hervor, aber auch über das un¬ bewußte Leben verbreiten ſie einen wunderbaren Schimmer, verändern die Züge des Antlitzes und den Glanz des Auges, nach eigenthümlichen, noch lange nicht enthüllten Geſetzen. Kurz, ſchon in dieſen Betrachtungen enthüllt ſich uns eine ſehr mannichfaltige Entſtehung der Freude und wir nehmen wahr in welcher Menge verſchiedener Formen dieſes Gefühl auftreten könne. Eben dadurch iſt auch die ſo verſchiedene
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die angegebenen Urſachen — in ſo weit ſie nämlich be¬
wußterweiſe erkannt werden können — würden es uns kaum
glaublich erſcheinen laſſen, daß ſie wirklich dieſe Freude er¬
regen konnten. In Wahrheit iſt auch die Phyſiognomie
der mehr im Unbewußten gegründeten Freude eine ſo viel
andere als die weſentlich im Bewußtſein gegründete. Dem
geübten Auge des Menſchenkenners werden dieſe mit Worten
ſchwer zu bezeichnenden Unterſchiede nicht entgehen, und
vielleicht wird er die Verſchiedenheit am meiſten dadurch
andeuten, daß er die Phyſiognomie der letztern als die
geiſtigere bezeichnet. Es iſt merkwürdig dagegen wie eben
dieſe weſentlich aus bewußten Vorſtellungen hervorgehende
Freude ſelbſt bei wahrhaften Leiden des Unbewußten, bei
Kränklichkeit und Hinfälligkeit der Organiſation, ſtrahlend
durchbrechen kann, und wie ſehr ſie in ihren Motiven ſich
ſteigert, je höher das An-ſich-ſein der Idee gediehen und
je klarer die Erkenntniß geworden. Namentlich gibt die
erwähnte Steigerung der Motive hier zu weitläufigen Be¬
trachtungen Anlaß. Das Höchſte iſt offenbar wenn im
Geiſte aufgegangen iſt die volle Wahrnehmung, das Ver¬
nehmen der Idee, und wenn dieſes Vernehmen die Freudig¬
keit der Seele entzündet. Die Freude des Forſchers wenn
er ausrufen darf: „ich habe es gefunden!“ die Freude des
Dichters, des Künſtlers wenn er den Göthe'ſchen Aus¬
druck anwenden darf: „es iſt eine Idee zu mir getreten,“
die Freude des Liebenden wenn ihm die tiefſte innere Idee
des geliebten Weſens vernehmbar wird — ſie gehen ganz
aus der bewußten Seele hervor, aber auch über das un¬
bewußte Leben verbreiten ſie einen wunderbaren Schimmer,
verändern die Züge des Antlitzes und den Glanz des Auges,
nach eigenthümlichen, noch lange nicht enthüllten Geſetzen.
Kurz, ſchon in dieſen Betrachtungen enthüllt ſich uns eine
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wahr in welcher Menge verſchiedener Formen dieſes Gefühl
auftreten könne. Eben dadurch iſt auch die ſo verſchiedene
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/284>, abgerufen am 24.11.2024.
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