sam erwiesen, daß die Grundideen selbst hier ursprüng¬ lich verschieden gedacht werden müssen.
Halten wir also den Gedanken fest, daß innerhalb der einen Idee der Menschheit unendlich mannichfaltige indivi¬ duelle Ideen begründet seien, daß aber erst das eigentliche sich Darleben derselben ihre Individualität zu derjenigen Reife zu bringen vermöge, wo wir den Ausdruck der Per¬ sönlichkeit und des Charakters von ihr gebrauchen können, so muß es nun eine besondre Aufgabe werden diesem Ent¬ wicklungsgange im Einzelnen nachzugehen, die verschiedenen Phasen desselben näher anzugeben und die wesentliche Ver¬ schiedenheit der einzelnen Klassen gereifter Persönlichkeiten und Charaktere schärfer zu bezeichnen.
Zu einer merkwürdigen Betrachtung in dieser Hinsicht veranlaßt es aber zuvörderst, wenn wir bemerken müssen, daß hinsichtlich der allmähligen Hervorbildung der Person und des Charakters als geistiges Wesen, durchaus dasselbe Gesetz waltet, welches wir in der organischen leiblichen Her¬ vorbildung der Gestalt anerkennen: nämlich das Fort¬ schreiten vom Unbestimmten zum Bestimmten, vom Weichen zum Festen, ja zum Erstarrten einer¬ seits, und andrerseits das im Bilden und Wachsen immer¬ fort Statt findende Umbilden, das stätige Zer¬ stören und Untergehen und das stätige Neuerzeu¬ gen. Diese vollkommene Gleichheit des Entwicklungsganges gerade in den wesentlichsten Momenten, erklärt sich freilich sogleich wenn wir berücksichtigen, daß beides aus einem, d. i. aus derselben Wesenheit der Idee hervorgeht, welche nur im organisch Leiblichen als ein schlechthin Unbewußtes sich bethätigt, während sie im Geistigen als ein Selbstbewu߬ tes waltet. Ueberhaupt ist nie genug darauf zurückzuwei¬ sen, daß nur Dem der dieses eigenthümliche Verhältniß zwischen Bewußtem und Unbewußtem richtig erfaßt und lebendig begreift, ein rechtes Verständniß der Welt aufgehen, und zugleich die Schranke verschwinden kann, die ältere
ſam erwieſen, daß die Grundideen ſelbſt hier urſprüng¬ lich verſchieden gedacht werden müſſen.
Halten wir alſo den Gedanken feſt, daß innerhalb der einen Idee der Menſchheit unendlich mannichfaltige indivi¬ duelle Ideen begründet ſeien, daß aber erſt das eigentliche ſich Darleben derſelben ihre Individualität zu derjenigen Reife zu bringen vermöge, wo wir den Ausdruck der Per¬ ſönlichkeit und des Charakters von ihr gebrauchen können, ſo muß es nun eine beſondre Aufgabe werden dieſem Ent¬ wicklungsgange im Einzelnen nachzugehen, die verſchiedenen Phaſen deſſelben näher anzugeben und die weſentliche Ver¬ ſchiedenheit der einzelnen Klaſſen gereifter Perſönlichkeiten und Charaktere ſchärfer zu bezeichnen.
Zu einer merkwürdigen Betrachtung in dieſer Hinſicht veranlaßt es aber zuvörderſt, wenn wir bemerken müſſen, daß hinſichtlich der allmähligen Hervorbildung der Perſon und des Charakters als geiſtiges Weſen, durchaus daſſelbe Geſetz waltet, welches wir in der organiſchen leiblichen Her¬ vorbildung der Geſtalt anerkennen: nämlich das Fort¬ ſchreiten vom Unbeſtimmten zum Beſtimmten, vom Weichen zum Feſten, ja zum Erſtarrten einer¬ ſeits, und andrerſeits das im Bilden und Wachſen immer¬ fort Statt findende Umbilden, das ſtätige Zer¬ ſtören und Untergehen und das ſtätige Neuerzeu¬ gen. Dieſe vollkommene Gleichheit des Entwicklungsganges gerade in den weſentlichſten Momenten, erklärt ſich freilich ſogleich wenn wir berückſichtigen, daß beides aus einem, d. i. aus derſelben Weſenheit der Idee hervorgeht, welche nur im organiſch Leiblichen als ein ſchlechthin Unbewußtes ſich bethätigt, während ſie im Geiſtigen als ein Selbſtbewu߬ tes waltet. Ueberhaupt iſt nie genug darauf zurückzuwei¬ ſen, daß nur Dem der dieſes eigenthümliche Verhältniß zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem richtig erfaßt und lebendig begreift, ein rechtes Verſtändniß der Welt aufgehen, und zugleich die Schranke verſchwinden kann, die ältere
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0261"n="245"/>ſam erwieſen, daß die Grundideen ſelbſt hier <hirendition="#g">urſprüng¬<lb/>
lich</hi> verſchieden gedacht werden müſſen.</p><lb/><p>Halten wir alſo den Gedanken feſt, daß innerhalb der<lb/>
einen Idee der Menſchheit unendlich mannichfaltige indivi¬<lb/>
duelle Ideen begründet ſeien, daß aber erſt das eigentliche<lb/>ſich Darleben derſelben ihre Individualität zu derjenigen<lb/>
Reife zu bringen vermöge, wo wir den Ausdruck der Per¬<lb/>ſönlichkeit und des Charakters von ihr gebrauchen können,<lb/>ſo muß es nun eine beſondre Aufgabe werden dieſem Ent¬<lb/>
wicklungsgange im Einzelnen nachzugehen, die verſchiedenen<lb/>
Phaſen deſſelben näher anzugeben und die weſentliche Ver¬<lb/>ſchiedenheit der einzelnen Klaſſen gereifter Perſönlichkeiten<lb/>
und Charaktere ſchärfer zu bezeichnen.</p><lb/><p>Zu einer merkwürdigen Betrachtung in dieſer Hinſicht<lb/>
veranlaßt es aber zuvörderſt, wenn wir bemerken müſſen,<lb/>
daß hinſichtlich der allmähligen Hervorbildung der Perſon<lb/>
und des Charakters als geiſtiges Weſen, durchaus daſſelbe<lb/>
Geſetz waltet, welches wir in der organiſchen leiblichen Her¬<lb/>
vorbildung der Geſtalt anerkennen: nämlich das <hirendition="#g">Fort¬<lb/>ſchreiten vom Unbeſtimmten zum Beſtimmten</hi>,<lb/><hirendition="#g">vom Weichen zum Feſten</hi>, <hirendition="#g">ja zum Erſtarrten</hi> einer¬<lb/>ſeits, und andrerſeits das im Bilden und Wachſen <hirendition="#g">immer¬<lb/>
fort Statt findende Umbilden</hi>, <hirendition="#g">das ſtätige Zer¬<lb/>ſtören und Untergehen und das ſtätige Neuerzeu¬<lb/>
gen</hi>. Dieſe vollkommene Gleichheit des Entwicklungsganges<lb/>
gerade in den weſentlichſten Momenten, erklärt ſich freilich<lb/>ſogleich wenn wir berückſichtigen, daß beides aus einem,<lb/>
d. i. aus derſelben Weſenheit der Idee hervorgeht, welche<lb/>
nur im organiſch Leiblichen als ein ſchlechthin Unbewußtes<lb/>ſich bethätigt, während ſie im Geiſtigen als ein Selbſtbewu߬<lb/>
tes waltet. Ueberhaupt iſt nie genug darauf zurückzuwei¬<lb/>ſen, daß nur <hirendition="#g">Dem</hi> der dieſes eigenthümliche Verhältniß<lb/>
zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem richtig erfaßt und<lb/>
lebendig begreift, ein rechtes Verſtändniß der Welt aufgehen,<lb/>
und zugleich die Schranke verſchwinden kann, die ältere<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[245/0261]
ſam erwieſen, daß die Grundideen ſelbſt hier urſprüng¬
lich verſchieden gedacht werden müſſen.
Halten wir alſo den Gedanken feſt, daß innerhalb der
einen Idee der Menſchheit unendlich mannichfaltige indivi¬
duelle Ideen begründet ſeien, daß aber erſt das eigentliche
ſich Darleben derſelben ihre Individualität zu derjenigen
Reife zu bringen vermöge, wo wir den Ausdruck der Per¬
ſönlichkeit und des Charakters von ihr gebrauchen können,
ſo muß es nun eine beſondre Aufgabe werden dieſem Ent¬
wicklungsgange im Einzelnen nachzugehen, die verſchiedenen
Phaſen deſſelben näher anzugeben und die weſentliche Ver¬
ſchiedenheit der einzelnen Klaſſen gereifter Perſönlichkeiten
und Charaktere ſchärfer zu bezeichnen.
Zu einer merkwürdigen Betrachtung in dieſer Hinſicht
veranlaßt es aber zuvörderſt, wenn wir bemerken müſſen,
daß hinſichtlich der allmähligen Hervorbildung der Perſon
und des Charakters als geiſtiges Weſen, durchaus daſſelbe
Geſetz waltet, welches wir in der organiſchen leiblichen Her¬
vorbildung der Geſtalt anerkennen: nämlich das Fort¬
ſchreiten vom Unbeſtimmten zum Beſtimmten,
vom Weichen zum Feſten, ja zum Erſtarrten einer¬
ſeits, und andrerſeits das im Bilden und Wachſen immer¬
fort Statt findende Umbilden, das ſtätige Zer¬
ſtören und Untergehen und das ſtätige Neuerzeu¬
gen. Dieſe vollkommene Gleichheit des Entwicklungsganges
gerade in den weſentlichſten Momenten, erklärt ſich freilich
ſogleich wenn wir berückſichtigen, daß beides aus einem,
d. i. aus derſelben Weſenheit der Idee hervorgeht, welche
nur im organiſch Leiblichen als ein ſchlechthin Unbewußtes
ſich bethätigt, während ſie im Geiſtigen als ein Selbſtbewu߬
tes waltet. Ueberhaupt iſt nie genug darauf zurückzuwei¬
ſen, daß nur Dem der dieſes eigenthümliche Verhältniß
zwiſchen Bewußtem und Unbewußtem richtig erfaßt und
lebendig begreift, ein rechtes Verſtändniß der Welt aufgehen,
und zugleich die Schranke verſchwinden kann, die ältere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/261>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.