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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wird. Zugleich kann man nun begreifen, warum, je mehr
wirklich durch Kindheit, Jugend und Lebensreife hindurch
ganz angemessen ein schönes Wachsthum der Idee erreicht,
und je mehr ihr An-sich-sein bereits gesteigert worden war,
um so weniger ein Abfall derselben wieder Statt finden
kann; -- die Unmöglichkeit wächst mit der Höhe. Es ist
dies eine für die Geschichte der Seele sehr merkwürdige
Thatsache, und sie erklärt sich durch die Steigerung der
Eigenthümlichkeit des Göttlichen der Idee, welche in dem¬
selben Maße als sie sich dem Urquell des Göttlichen nähert,
immer mehr von ihm angezogen, immer mehr zum innern
Wachsthum angeregt, immer freier und liebevoller der Welt
zugewendet werden muß, und an welcher sonach nichts mehr
dauernd haften kann, was in der entgegengesetzten Richtung
sie bewegen könnte. So leicht es daher zu begreifen ist und
so vielfältig es die Erfahrung bewährt, daß eine schwächere
Individualität in den mannichfaltigen Begegnissen des Lebens
von Stufe zu Stufe sinkt, so schwer würde es fallen nur
zu denken, daß die gereifte Individualität eines Plato,
eines Göthe, eines Spinoza zur Niedrigkeit des Wesens
herabsinken könne. -- Auch sind darüber der Menschheit
schon sehr frühe gewichtige Vorstellungen aufgegangen, und
namentlich ist es merkwürdig wie durch Philosophie und
Religion des alten Indiens schon der Gedanke von einem
Wachsthum der Seele zum Göttlichen, und von den mannich¬
faltigen in höhern Naturen doch zuletzt immer erfolglosen
Versuchungen, sie auf diesem Wege zurückzuwenden, sich
hindurchzieht.

Umgekehrt wird nun freilich auch aus dem Vorher¬
gehenden folgen, daß wenn es eine Steigerung der Energie
der Idee gibt von wo ein Sinken unter die Unmöglichkeiten
gehöre, auch ein Sinken dieser Energie vorkommen könne
und wirklich vorkomme, von welcher innerhalb dieser Existenz
ein Wiederaufsteigen unter die Unmöglichkeit gehört. Es
wird dies der Fall sein, wenn durch völlige Verwilderung

wird. Zugleich kann man nun begreifen, warum, je mehr
wirklich durch Kindheit, Jugend und Lebensreife hindurch
ganz angemeſſen ein ſchönes Wachsthum der Idee erreicht,
und je mehr ihr An-ſich-ſein bereits geſteigert worden war,
um ſo weniger ein Abfall derſelben wieder Statt finden
kann; — die Unmöglichkeit wächſt mit der Höhe. Es iſt
dies eine für die Geſchichte der Seele ſehr merkwürdige
Thatſache, und ſie erklärt ſich durch die Steigerung der
Eigenthümlichkeit des Göttlichen der Idee, welche in dem¬
ſelben Maße als ſie ſich dem Urquell des Göttlichen nähert,
immer mehr von ihm angezogen, immer mehr zum innern
Wachsthum angeregt, immer freier und liebevoller der Welt
zugewendet werden muß, und an welcher ſonach nichts mehr
dauernd haften kann, was in der entgegengeſetzten Richtung
ſie bewegen könnte. So leicht es daher zu begreifen iſt und
ſo vielfältig es die Erfahrung bewährt, daß eine ſchwächere
Individualität in den mannichfaltigen Begegniſſen des Lebens
von Stufe zu Stufe ſinkt, ſo ſchwer würde es fallen nur
zu denken, daß die gereifte Individualität eines Plato,
eines Göthe, eines Spinoza zur Niedrigkeit des Weſens
herabſinken könne. — Auch ſind darüber der Menſchheit
ſchon ſehr frühe gewichtige Vorſtellungen aufgegangen, und
namentlich iſt es merkwürdig wie durch Philoſophie und
Religion des alten Indiens ſchon der Gedanke von einem
Wachsthum der Seele zum Göttlichen, und von den mannich¬
faltigen in höhern Naturen doch zuletzt immer erfolgloſen
Verſuchungen, ſie auf dieſem Wege zurückzuwenden, ſich
hindurchzieht.

Umgekehrt wird nun freilich auch aus dem Vorher¬
gehenden folgen, daß wenn es eine Steigerung der Energie
der Idee gibt von wo ein Sinken unter die Unmöglichkeiten
gehöre, auch ein Sinken dieſer Energie vorkommen könne
und wirklich vorkomme, von welcher innerhalb dieſer Exiſtenz
ein Wiederaufſteigen unter die Unmöglichkeit gehört. Es
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[237/0253] wird. Zugleich kann man nun begreifen, warum, je mehr wirklich durch Kindheit, Jugend und Lebensreife hindurch ganz angemeſſen ein ſchönes Wachsthum der Idee erreicht, und je mehr ihr An-ſich-ſein bereits geſteigert worden war, um ſo weniger ein Abfall derſelben wieder Statt finden kann; — die Unmöglichkeit wächſt mit der Höhe. Es iſt dies eine für die Geſchichte der Seele ſehr merkwürdige Thatſache, und ſie erklärt ſich durch die Steigerung der Eigenthümlichkeit des Göttlichen der Idee, welche in dem¬ ſelben Maße als ſie ſich dem Urquell des Göttlichen nähert, immer mehr von ihm angezogen, immer mehr zum innern Wachsthum angeregt, immer freier und liebevoller der Welt zugewendet werden muß, und an welcher ſonach nichts mehr dauernd haften kann, was in der entgegengeſetzten Richtung ſie bewegen könnte. So leicht es daher zu begreifen iſt und ſo vielfältig es die Erfahrung bewährt, daß eine ſchwächere Individualität in den mannichfaltigen Begegniſſen des Lebens von Stufe zu Stufe ſinkt, ſo ſchwer würde es fallen nur zu denken, daß die gereifte Individualität eines Plato, eines Göthe, eines Spinoza zur Niedrigkeit des Weſens herabſinken könne. — Auch ſind darüber der Menſchheit ſchon ſehr frühe gewichtige Vorſtellungen aufgegangen, und namentlich iſt es merkwürdig wie durch Philoſophie und Religion des alten Indiens ſchon der Gedanke von einem Wachsthum der Seele zum Göttlichen, und von den mannich¬ faltigen in höhern Naturen doch zuletzt immer erfolgloſen Verſuchungen, ſie auf dieſem Wege zurückzuwenden, ſich hindurchzieht. Umgekehrt wird nun freilich auch aus dem Vorher¬ gehenden folgen, daß wenn es eine Steigerung der Energie der Idee gibt von wo ein Sinken unter die Unmöglichkeiten gehöre, auch ein Sinken dieſer Energie vorkommen könne und wirklich vorkomme, von welcher innerhalb dieſer Exiſtenz ein Wiederaufſteigen unter die Unmöglichkeit gehört. Es wird dies der Fall ſein, wenn durch völlige Verwilderung

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/253>, abgerufen am 18.05.2024.