bei dem ersten Zutreten von Feuchtigkeit und Wärme be¬ thätigt), und auf diese Weise sind wir genöthigt auch dies Entschwinden einer Vorstellung zu denken, wo jedes Er¬ scheinen der Vorstellung aufgehoben, und doch die Vor¬ stellung selbst unvernichtet vorhanden blieb; ein leiser An¬ stoß -- und sie stellt sich wieder dar. Ob nun aber doch auch Vorstellungen und Gefühle, welche auf diese Weise ins Unbewußte zurückgegangen sind, allmählig sich ganz verlieren können, fragt sich? Wir nennen eine Vor¬ stellung welche uns nicht möglich ist wieder aus dem Un¬ bewußtsein ins Bewußtsein zu ziehen, vergessen, aber wir erkennen zugleich an, daß hier ein relatives Ver¬ hältniß besteht, denn oft tauchen Vorstellungen, welche wir für völlig vergessen hielten, plötzlich wieder auf -- nament¬ lich bei gewissen ungewöhnlichen Zuständen -- Krankheiten -- des Nervenlebens hat man dergleichen bemerkt, so daß wir also immer von einem absoluten Vergessen keinen Beweis haben. Ohne Zweifel ist hier das Wichtigste, daß wir unterscheiden was der in sich ewigen Wesenheit der Seele aus den Vorstellungen zu gute kommt, und was durch die Organisation des Hirns und seine eigenthümliche Innerva¬ tionsspannung bedingt ist. Könnte man sagen, daß jegliches Vorstellen und Fühlen ganz allein der Idee an und für sich, nur der Seele selbst, oder der zum Geist entwickelten Seele angehörte, so müßte nothwendig alles und jedes solches Vorstellen auch an dem Prädicat des Ewigseins Theil haben, und es wäre dann auch gar nicht zu denken, daß nur etwas davon dem Bewußtsein zeitlich entschwinden könnte. Dem ist nun aber entschieden nicht so. Alle die obigen Betrachtungen mußten uns zur Ueberzeugung führen, daß ganz unbezweifelt eben so wie die Sinneswahrnehmung bedingt ist durch eine eigenthümliche peripherische Modification der Innervationsspannung in der Ausbreitung der Sinnes¬ nerven, so die Vorstellung bedingt wird durch eine eigen¬ thümliche centrale Modification der Innervationsspannung
bei dem erſten Zutreten von Feuchtigkeit und Wärme be¬ thätigt), und auf dieſe Weiſe ſind wir genöthigt auch dies Entſchwinden einer Vorſtellung zu denken, wo jedes Er¬ ſcheinen der Vorſtellung aufgehoben, und doch die Vor¬ ſtellung ſelbſt unvernichtet vorhanden blieb; ein leiſer An¬ ſtoß — und ſie ſtellt ſich wieder dar. Ob nun aber doch auch Vorſtellungen und Gefühle, welche auf dieſe Weiſe ins Unbewußte zurückgegangen ſind, allmählig ſich ganz verlieren können, fragt ſich? Wir nennen eine Vor¬ ſtellung welche uns nicht möglich iſt wieder aus dem Un¬ bewußtſein ins Bewußtſein zu ziehen, vergeſſen, aber wir erkennen zugleich an, daß hier ein relatives Ver¬ hältniß beſteht, denn oft tauchen Vorſtellungen, welche wir für völlig vergeſſen hielten, plötzlich wieder auf — nament¬ lich bei gewiſſen ungewöhnlichen Zuſtänden — Krankheiten — des Nervenlebens hat man dergleichen bemerkt, ſo daß wir alſo immer von einem abſoluten Vergeſſen keinen Beweis haben. Ohne Zweifel iſt hier das Wichtigſte, daß wir unterſcheiden was der in ſich ewigen Weſenheit der Seele aus den Vorſtellungen zu gute kommt, und was durch die Organiſation des Hirns und ſeine eigenthümliche Innerva¬ tionsſpannung bedingt iſt. Könnte man ſagen, daß jegliches Vorſtellen und Fühlen ganz allein der Idee an und für ſich, nur der Seele ſelbſt, oder der zum Geiſt entwickelten Seele angehörte, ſo müßte nothwendig alles und jedes ſolches Vorſtellen auch an dem Prädicat des Ewigſeins Theil haben, und es wäre dann auch gar nicht zu denken, daß nur etwas davon dem Bewußtſein zeitlich entſchwinden könnte. Dem iſt nun aber entſchieden nicht ſo. Alle die obigen Betrachtungen mußten uns zur Ueberzeugung führen, daß ganz unbezweifelt eben ſo wie die Sinneswahrnehmung bedingt iſt durch eine eigenthümliche peripheriſche Modification der Innervationsſpannung in der Ausbreitung der Sinnes¬ nerven, ſo die Vorſtellung bedingt wird durch eine eigen¬ thümliche centrale Modification der Innervationsſpannung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="208"/>
bei dem erſten Zutreten von Feuchtigkeit und Wärme be¬<lb/>
thätigt), und auf dieſe Weiſe ſind wir genöthigt auch dies<lb/>
Entſchwinden einer Vorſtellung zu denken, wo jedes Er¬<lb/>ſcheinen der Vorſtellung aufgehoben, und doch die Vor¬<lb/>ſtellung ſelbſt unvernichtet vorhanden blieb; ein leiſer An¬<lb/>ſtoß — und ſie ſtellt ſich wieder dar. Ob nun aber doch<lb/>
auch Vorſtellungen und Gefühle, welche auf dieſe Weiſe<lb/>
ins Unbewußte zurückgegangen ſind, allmählig <hirendition="#g">ſich ganz<lb/>
verlieren können</hi>, fragt ſich? Wir nennen eine Vor¬<lb/>ſtellung welche uns nicht möglich iſt wieder aus dem Un¬<lb/>
bewußtſein ins Bewußtſein zu ziehen, <hirendition="#g">vergeſſen</hi>, aber<lb/>
wir erkennen zugleich an, daß hier ein <hirendition="#g">relatives</hi> Ver¬<lb/>
hältniß beſteht, denn oft tauchen Vorſtellungen, welche wir<lb/>
für völlig vergeſſen hielten, plötzlich wieder auf — nament¬<lb/>
lich bei gewiſſen ungewöhnlichen Zuſtänden — Krankheiten —<lb/>
des Nervenlebens hat man dergleichen bemerkt, ſo daß wir<lb/>
alſo immer von einem abſoluten Vergeſſen keinen Beweis<lb/>
haben. Ohne Zweifel iſt hier das Wichtigſte, daß wir<lb/>
unterſcheiden was der in ſich ewigen Weſenheit der Seele<lb/>
aus den Vorſtellungen zu gute kommt, und was durch die<lb/>
Organiſation des Hirns und ſeine eigenthümliche Innerva¬<lb/>
tionsſpannung bedingt iſt. Könnte man ſagen, daß jegliches<lb/>
Vorſtellen und Fühlen ganz allein der Idee an und für<lb/>ſich, nur der Seele ſelbſt, oder der zum Geiſt entwickelten<lb/>
Seele angehörte, ſo müßte nothwendig alles und jedes<lb/>ſolches Vorſtellen auch an dem Prädicat des Ewigſeins<lb/>
Theil haben, und es wäre dann auch gar nicht zu denken,<lb/>
daß nur etwas davon dem Bewußtſein zeitlich entſchwinden<lb/>
könnte. Dem iſt nun aber entſchieden nicht ſo. Alle die<lb/>
obigen Betrachtungen mußten uns zur Ueberzeugung führen,<lb/>
daß ganz unbezweifelt eben ſo wie die Sinneswahrnehmung<lb/>
bedingt iſt durch eine eigenthümliche peripheriſche Modification<lb/>
der Innervationsſpannung in der Ausbreitung der Sinnes¬<lb/>
nerven, ſo die Vorſtellung bedingt wird durch eine eigen¬<lb/>
thümliche centrale Modification der Innervationsſpannung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0224]
bei dem erſten Zutreten von Feuchtigkeit und Wärme be¬
thätigt), und auf dieſe Weiſe ſind wir genöthigt auch dies
Entſchwinden einer Vorſtellung zu denken, wo jedes Er¬
ſcheinen der Vorſtellung aufgehoben, und doch die Vor¬
ſtellung ſelbſt unvernichtet vorhanden blieb; ein leiſer An¬
ſtoß — und ſie ſtellt ſich wieder dar. Ob nun aber doch
auch Vorſtellungen und Gefühle, welche auf dieſe Weiſe
ins Unbewußte zurückgegangen ſind, allmählig ſich ganz
verlieren können, fragt ſich? Wir nennen eine Vor¬
ſtellung welche uns nicht möglich iſt wieder aus dem Un¬
bewußtſein ins Bewußtſein zu ziehen, vergeſſen, aber
wir erkennen zugleich an, daß hier ein relatives Ver¬
hältniß beſteht, denn oft tauchen Vorſtellungen, welche wir
für völlig vergeſſen hielten, plötzlich wieder auf — nament¬
lich bei gewiſſen ungewöhnlichen Zuſtänden — Krankheiten —
des Nervenlebens hat man dergleichen bemerkt, ſo daß wir
alſo immer von einem abſoluten Vergeſſen keinen Beweis
haben. Ohne Zweifel iſt hier das Wichtigſte, daß wir
unterſcheiden was der in ſich ewigen Weſenheit der Seele
aus den Vorſtellungen zu gute kommt, und was durch die
Organiſation des Hirns und ſeine eigenthümliche Innerva¬
tionsſpannung bedingt iſt. Könnte man ſagen, daß jegliches
Vorſtellen und Fühlen ganz allein der Idee an und für
ſich, nur der Seele ſelbſt, oder der zum Geiſt entwickelten
Seele angehörte, ſo müßte nothwendig alles und jedes
ſolches Vorſtellen auch an dem Prädicat des Ewigſeins
Theil haben, und es wäre dann auch gar nicht zu denken,
daß nur etwas davon dem Bewußtſein zeitlich entſchwinden
könnte. Dem iſt nun aber entſchieden nicht ſo. Alle die
obigen Betrachtungen mußten uns zur Ueberzeugung führen,
daß ganz unbezweifelt eben ſo wie die Sinneswahrnehmung
bedingt iſt durch eine eigenthümliche peripheriſche Modification
der Innervationsſpannung in der Ausbreitung der Sinnes¬
nerven, ſo die Vorſtellung bedingt wird durch eine eigen¬
thümliche centrale Modification der Innervationsſpannung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/224>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.