aufgestellt habe von der Schädellehre des Wiener Physio¬ logen.
Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn ursprünglich, d. h. zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬ substanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns der organische Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu höherer Entfaltung bestimmten Seele genannt werden muß, daß, sage ich, auch in tausendfältigen qualitativen und quantitativen, wenn auch für unsere Sinnesschärfe nicht meßbaren Modificationen des Verhältnisses zwischen diesen drei Hirnmassen die Verschiedenheit verschiedner Menschen angedeutet sein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder in Bezug auf den Gesammtorganismus, die Art und Ener¬ gie jeder Psyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬ lungen insbesondere abgebildet und ausgesprochen sein. Die besondere Modalität, in welcher demnach in solcher Gestal¬ tung die erste Anlage für jedes Individuum gegeben ist, wird sich allerdings dann auch durch die spätere Entfaltung des Gehirns fortbilden, und es muß daher selbst bei voll¬ endeter Reife noch unter verschiedenen Menschen ein tau¬ sendfältig verschiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬ dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine, bald die andre Hirnmasse vorzüglich ausgebildet erscheinen, und welches dann ganz bestimmt allemal mit einer beson¬ dern psychischen Individualität genau correspondiren wird. Allerdings ist nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬ ten Zustande keinesweges die einzelnen Strahlen der Psyche nur an diese oder jene Hirnmasse gebunden erscheinen kön¬ nen, sondern wie die höhere Synthese des Hirnbaues diese Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, so je¬ doch, daß das Vorherrschen der ursprünglichen Bedeutung bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmassen sich immer noch kenntlich machen muß. Diese Synthese wird aber auf höherer Bildungsstufe dadurch erreicht daß
aufgeſtellt habe von der Schädellehre des Wiener Phyſio¬ logen.
Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn urſprünglich, d. h. zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬ ſubſtanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns der organiſche Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu höherer Entfaltung beſtimmten Seele genannt werden muß, daß, ſage ich, auch in tauſendfältigen qualitativen und quantitativen, wenn auch für unſere Sinnesſchärfe nicht meßbaren Modificationen des Verhältniſſes zwiſchen dieſen drei Hirnmaſſen die Verſchiedenheit verſchiedner Menſchen angedeutet ſein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder in Bezug auf den Geſammtorganismus, die Art und Ener¬ gie jeder Pſyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬ lungen insbeſondere abgebildet und ausgeſprochen ſein. Die beſondere Modalität, in welcher demnach in ſolcher Geſtal¬ tung die erſte Anlage für jedes Individuum gegeben iſt, wird ſich allerdings dann auch durch die ſpätere Entfaltung des Gehirns fortbilden, und es muß daher ſelbſt bei voll¬ endeter Reife noch unter verſchiedenen Menſchen ein tau¬ ſendfältig verſchiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬ dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine, bald die andre Hirnmaſſe vorzüglich ausgebildet erſcheinen, und welches dann ganz beſtimmt allemal mit einer beſon¬ dern pſychiſchen Individualität genau correſpondiren wird. Allerdings iſt nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬ ten Zuſtande keinesweges die einzelnen Strahlen der Pſyche nur an dieſe oder jene Hirnmaſſe gebunden erſcheinen kön¬ nen, ſondern wie die höhere Syntheſe des Hirnbaues dieſe Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, ſo je¬ doch, daß das Vorherrſchen der urſprünglichen Bedeutung bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmaſſen ſich immer noch kenntlich machen muß. Dieſe Syntheſe wird aber auf höherer Bildungsſtufe dadurch erreicht daß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0203"n="187"/>
aufgeſtellt habe von der Schädellehre des Wiener Phyſio¬<lb/>
logen.</p><lb/><p>Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn urſprünglich, d. h.<lb/>
zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus <hirendition="#g">keine</hi> Leitungs¬<lb/>ſubſtanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns<lb/>
der organiſche Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu<lb/>
höherer Entfaltung beſtimmten Seele genannt werden muß,<lb/>
daß, ſage ich, auch in tauſendfältigen qualitativen und<lb/>
quantitativen, wenn auch für unſere Sinnesſchärfe nicht<lb/>
meßbaren Modificationen des Verhältniſſes zwiſchen dieſen<lb/>
drei Hirnmaſſen die Verſchiedenheit verſchiedner Menſchen<lb/>
angedeutet ſein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr<lb/>
oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder<lb/>
in Bezug auf den Geſammtorganismus, die Art und Ener¬<lb/>
gie jeder Pſyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬<lb/>
lungen insbeſondere abgebildet und ausgeſprochen ſein. Die<lb/>
beſondere Modalität, in welcher demnach in ſolcher Geſtal¬<lb/>
tung die erſte Anlage für jedes Individuum gegeben iſt,<lb/>
wird ſich allerdings dann auch durch die ſpätere Entfaltung<lb/>
des Gehirns fortbilden, und es muß daher ſelbſt bei voll¬<lb/>
endeter Reife noch unter verſchiedenen Menſchen ein tau¬<lb/>ſendfältig verſchiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬<lb/>
dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine,<lb/>
bald die andre Hirnmaſſe vorzüglich ausgebildet erſcheinen,<lb/>
und welches dann ganz beſtimmt allemal mit einer beſon¬<lb/>
dern pſychiſchen Individualität genau correſpondiren wird.<lb/>
Allerdings iſt nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬<lb/>
ten Zuſtande keinesweges die einzelnen Strahlen der Pſyche<lb/><hirendition="#g">nur</hi> an dieſe oder jene Hirnmaſſe gebunden erſcheinen kön¬<lb/>
nen, ſondern wie die höhere Syntheſe des Hirnbaues dieſe<lb/>
Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, ſo je¬<lb/>
doch, daß das Vorherrſchen der urſprünglichen Bedeutung<lb/>
bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmaſſen<lb/>ſich immer noch kenntlich machen muß. Dieſe Syntheſe<lb/>
wird aber auf höherer Bildungsſtufe dadurch erreicht daß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[187/0203]
aufgeſtellt habe von der Schädellehre des Wiener Phyſio¬
logen.
Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn urſprünglich, d. h.
zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬
ſubſtanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns
der organiſche Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu
höherer Entfaltung beſtimmten Seele genannt werden muß,
daß, ſage ich, auch in tauſendfältigen qualitativen und
quantitativen, wenn auch für unſere Sinnesſchärfe nicht
meßbaren Modificationen des Verhältniſſes zwiſchen dieſen
drei Hirnmaſſen die Verſchiedenheit verſchiedner Menſchen
angedeutet ſein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr
oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder
in Bezug auf den Geſammtorganismus, die Art und Ener¬
gie jeder Pſyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬
lungen insbeſondere abgebildet und ausgeſprochen ſein. Die
beſondere Modalität, in welcher demnach in ſolcher Geſtal¬
tung die erſte Anlage für jedes Individuum gegeben iſt,
wird ſich allerdings dann auch durch die ſpätere Entfaltung
des Gehirns fortbilden, und es muß daher ſelbſt bei voll¬
endeter Reife noch unter verſchiedenen Menſchen ein tau¬
ſendfältig verſchiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬
dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine,
bald die andre Hirnmaſſe vorzüglich ausgebildet erſcheinen,
und welches dann ganz beſtimmt allemal mit einer beſon¬
dern pſychiſchen Individualität genau correſpondiren wird.
Allerdings iſt nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬
ten Zuſtande keinesweges die einzelnen Strahlen der Pſyche
nur an dieſe oder jene Hirnmaſſe gebunden erſcheinen kön¬
nen, ſondern wie die höhere Syntheſe des Hirnbaues dieſe
Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, ſo je¬
doch, daß das Vorherrſchen der urſprünglichen Bedeutung
bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmaſſen
ſich immer noch kenntlich machen muß. Dieſe Syntheſe
wird aber auf höherer Bildungsſtufe dadurch erreicht daß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/203>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.