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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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aufgestellt habe von der Schädellehre des Wiener Physio¬
logen.

Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn ursprünglich, d. h.
zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬
substanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns
der organische Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu
höherer Entfaltung bestimmten Seele genannt werden muß,
daß, sage ich, auch in tausendfältigen qualitativen und
quantitativen, wenn auch für unsere Sinnesschärfe nicht
meßbaren Modificationen des Verhältnisses zwischen diesen
drei Hirnmassen die Verschiedenheit verschiedner Menschen
angedeutet sein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr
oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder
in Bezug auf den Gesammtorganismus, die Art und Ener¬
gie jeder Psyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬
lungen insbesondere abgebildet und ausgesprochen sein. Die
besondere Modalität, in welcher demnach in solcher Gestal¬
tung die erste Anlage für jedes Individuum gegeben ist,
wird sich allerdings dann auch durch die spätere Entfaltung
des Gehirns fortbilden, und es muß daher selbst bei voll¬
endeter Reife noch unter verschiedenen Menschen ein tau¬
sendfältig verschiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬
dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine,
bald die andre Hirnmasse vorzüglich ausgebildet erscheinen,
und welches dann ganz bestimmt allemal mit einer beson¬
dern psychischen Individualität genau correspondiren wird.
Allerdings ist nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬
ten Zustande keinesweges die einzelnen Strahlen der Psyche
nur an diese oder jene Hirnmasse gebunden erscheinen kön¬
nen, sondern wie die höhere Synthese des Hirnbaues diese
Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, so je¬
doch, daß das Vorherrschen der ursprünglichen Bedeutung
bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmassen
sich immer noch kenntlich machen muß. Diese Synthese
wird aber auf höherer Bildungsstufe dadurch erreicht daß

aufgeſtellt habe von der Schädellehre des Wiener Phyſio¬
logen.

Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn urſprünglich, d. h.
zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬
ſubſtanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns
der organiſche Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu
höherer Entfaltung beſtimmten Seele genannt werden muß,
daß, ſage ich, auch in tauſendfältigen qualitativen und
quantitativen, wenn auch für unſere Sinnesſchärfe nicht
meßbaren Modificationen des Verhältniſſes zwiſchen dieſen
drei Hirnmaſſen die Verſchiedenheit verſchiedner Menſchen
angedeutet ſein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr
oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder
in Bezug auf den Geſammtorganismus, die Art und Ener¬
gie jeder Pſyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬
lungen insbeſondere abgebildet und ausgeſprochen ſein. Die
beſondere Modalität, in welcher demnach in ſolcher Geſtal¬
tung die erſte Anlage für jedes Individuum gegeben iſt,
wird ſich allerdings dann auch durch die ſpätere Entfaltung
des Gehirns fortbilden, und es muß daher ſelbſt bei voll¬
endeter Reife noch unter verſchiedenen Menſchen ein tau¬
ſendfältig verſchiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬
dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine,
bald die andre Hirnmaſſe vorzüglich ausgebildet erſcheinen,
und welches dann ganz beſtimmt allemal mit einer beſon¬
dern pſychiſchen Individualität genau correſpondiren wird.
Allerdings iſt nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬
ten Zuſtande keinesweges die einzelnen Strahlen der Pſyche
nur an dieſe oder jene Hirnmaſſe gebunden erſcheinen kön¬
nen, ſondern wie die höhere Syntheſe des Hirnbaues dieſe
Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, ſo je¬
doch, daß das Vorherrſchen der urſprünglichen Bedeutung
bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmaſſen
ſich immer noch kenntlich machen muß. Dieſe Syntheſe
wird aber auf höherer Bildungsſtufe dadurch erreicht daß

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[187/0203] aufgeſtellt habe von der Schädellehre des Wiener Phyſio¬ logen. Es leuchtet nämlich ein, daß, wenn urſprünglich, d. h. zu einer Zeit, wo im Hirn noch durchaus keine Leitungs¬ ſubſtanz entwickelt war, die Dreigliederung des Gehirns der organiſche Ausdruck der dreifachen Strahlung der zu höherer Entfaltung beſtimmten Seele genannt werden muß, daß, ſage ich, auch in tauſendfältigen qualitativen und quantitativen, wenn auch für unſere Sinnesſchärfe nicht meßbaren Modificationen des Verhältniſſes zwiſchen dieſen drei Hirnmaſſen die Verſchiedenheit verſchiedner Menſchen angedeutet ſein muß. Nothwendig werden nämlich im Mehr oder Weniger der einen gegen die andre, und aller wieder in Bezug auf den Geſammtorganismus, die Art und Ener¬ gie jeder Pſyche überhaupt und die ihrer einzelnen Strah¬ lungen insbeſondere abgebildet und ausgeſprochen ſein. Die beſondere Modalität, in welcher demnach in ſolcher Geſtal¬ tung die erſte Anlage für jedes Individuum gegeben iſt, wird ſich allerdings dann auch durch die ſpätere Entfaltung des Gehirns fortbilden, und es muß daher ſelbſt bei voll¬ endeter Reife noch unter verſchiedenen Menſchen ein tau¬ ſendfältig verſchiednes individuelles Verhältniß der Hirnbil¬ dung vorkommen; ein Verhältniß, in welchem bald die eine, bald die andre Hirnmaſſe vorzüglich ausgebildet erſcheinen, und welches dann ganz beſtimmt allemal mit einer beſon¬ dern pſychiſchen Individualität genau correſpondiren wird. Allerdings iſt nun bereits bemerkt worden, wie im gereif¬ ten Zuſtande keinesweges die einzelnen Strahlen der Pſyche nur an dieſe oder jene Hirnmaſſe gebunden erſcheinen kön¬ nen, ſondern wie die höhere Syntheſe des Hirnbaues dieſe Trennungen wieder großentheils ausgeglichen habe, ſo je¬ doch, daß das Vorherrſchen der urſprünglichen Bedeutung bei Verletzungen und Krankheiten der einzelnen Hirnmaſſen ſich immer noch kenntlich machen muß. Dieſe Syntheſe wird aber auf höherer Bildungsſtufe dadurch erreicht daß

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/203>, abgerufen am 04.05.2024.