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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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sich davon überzeugen können, daß hier eine Weisheit, eine
scheinbare Ueberlegung sich offenbart, welche wir wohl oft¬
mals tiefer und merkwürdiger finden könnten, als Alles der
Art was im bewußten Geiste sich kund gibt und welches
man darum doch nicht dem höhern bewußten Seelenleben
gleich stellen darf. Schon im Eingange aller dieser Be¬
trachtungen hatten wir es ja daher als eine wichtige Auf¬
gabe angesehen, die Weisheit, das Epi- und Promethe¬
sche, das Göttliche auch der unbewußten Idee, deutlich zu
machen, und man darf es daher auch nicht als eine Her¬
absetzung ansehen, wenn wir jenen Regungen der Thier¬
seele die Beziehung auf ein selbstständig Geistiges abspre¬
chen; allein der Unterschied selbst ist nichts desto weniger
scharf hervorzuheben. Es darf uns also nicht befremden,
wenn in den Regungen der Thierseele, welche wir die
Kunsttriebe nennen, noch außer dem Wunderbaren und
Scharfsinnigen, was ihnen ohnehin eigen ist, noch beson¬
dere nach Umständen hervortretende Züge von
scheinbarer Freiheit und Verständigkeit wahrgenommen wer¬
den; diese Züge sind deßhalb doch um nicht mehr einem
wirklich zum Selbstbewußtsein und zur Freiheit entwickelten
Seelenleben zuzurechnen, als jene erwähnten Phänomene
scheinbar besondrer freier Wahl im Pflanzenleben, oder in
der Thätigkeit des unbewußten Theils unsrer eignen Seele,
wie sie sich geltend macht bei Herstellung der gesunden In¬
tegrität unsers Daseins.

Wir haben nun aber oben bemerkt, daß eben so, wie
es unmöglich sei ganz scharf das Moment zu bestimmen,
wo sich die Wesenheit der Seele aus der der bloßen Idee
hervorbilde, eben so es unmöglich bleibe ganz scharf anzu¬
geben, wo das Eigenthümliche des Geistes, d. i. der
selbstbewußten Seele, aus der nur zum Weltbewußtsein
gelangten Seele hervorgehe. Achten wir auf das Leben
der höhern Thiere, so treten dunkel schon viele, und klarer
in den höchsten Thieren doch manche Anzeichen einer ge¬

ſich davon überzeugen können, daß hier eine Weisheit, eine
ſcheinbare Ueberlegung ſich offenbart, welche wir wohl oft¬
mals tiefer und merkwürdiger finden könnten, als Alles der
Art was im bewußten Geiſte ſich kund gibt und welches
man darum doch nicht dem höhern bewußten Seelenleben
gleich ſtellen darf. Schon im Eingange aller dieſer Be¬
trachtungen hatten wir es ja daher als eine wichtige Auf¬
gabe angeſehen, die Weisheit, das Epi- und Promethe¬
ſche, das Göttliche auch der unbewußten Idee, deutlich zu
machen, und man darf es daher auch nicht als eine Her¬
abſetzung anſehen, wenn wir jenen Regungen der Thier¬
ſeele die Beziehung auf ein ſelbſtſtändig Geiſtiges abſpre¬
chen; allein der Unterſchied ſelbſt iſt nichts deſto weniger
ſcharf hervorzuheben. Es darf uns alſo nicht befremden,
wenn in den Regungen der Thierſeele, welche wir die
Kunſttriebe nennen, noch außer dem Wunderbaren und
Scharfſinnigen, was ihnen ohnehin eigen iſt, noch beſon¬
dere nach Umſtänden hervortretende Züge von
ſcheinbarer Freiheit und Verſtändigkeit wahrgenommen wer¬
den; dieſe Züge ſind deßhalb doch um nicht mehr einem
wirklich zum Selbſtbewußtſein und zur Freiheit entwickelten
Seelenleben zuzurechnen, als jene erwähnten Phänomene
ſcheinbar beſondrer freier Wahl im Pflanzenleben, oder in
der Thätigkeit des unbewußten Theils unſrer eignen Seele,
wie ſie ſich geltend macht bei Herſtellung der geſunden In¬
tegrität unſers Daſeins.

Wir haben nun aber oben bemerkt, daß eben ſo, wie
es unmöglich ſei ganz ſcharf das Moment zu beſtimmen,
wo ſich die Weſenheit der Seele aus der der bloßen Idee
hervorbilde, eben ſo es unmöglich bleibe ganz ſcharf anzu¬
geben, wo das Eigenthümliche des Geiſtes, d. i. der
ſelbſtbewußten Seele, aus der nur zum Weltbewußtſein
gelangten Seele hervorgehe. Achten wir auf das Leben
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[128/0144] ſich davon überzeugen können, daß hier eine Weisheit, eine ſcheinbare Ueberlegung ſich offenbart, welche wir wohl oft¬ mals tiefer und merkwürdiger finden könnten, als Alles der Art was im bewußten Geiſte ſich kund gibt und welches man darum doch nicht dem höhern bewußten Seelenleben gleich ſtellen darf. Schon im Eingange aller dieſer Be¬ trachtungen hatten wir es ja daher als eine wichtige Auf¬ gabe angeſehen, die Weisheit, das Epi- und Promethe¬ ſche, das Göttliche auch der unbewußten Idee, deutlich zu machen, und man darf es daher auch nicht als eine Her¬ abſetzung anſehen, wenn wir jenen Regungen der Thier¬ ſeele die Beziehung auf ein ſelbſtſtändig Geiſtiges abſpre¬ chen; allein der Unterſchied ſelbſt iſt nichts deſto weniger ſcharf hervorzuheben. Es darf uns alſo nicht befremden, wenn in den Regungen der Thierſeele, welche wir die Kunſttriebe nennen, noch außer dem Wunderbaren und Scharfſinnigen, was ihnen ohnehin eigen iſt, noch beſon¬ dere nach Umſtänden hervortretende Züge von ſcheinbarer Freiheit und Verſtändigkeit wahrgenommen wer¬ den; dieſe Züge ſind deßhalb doch um nicht mehr einem wirklich zum Selbſtbewußtſein und zur Freiheit entwickelten Seelenleben zuzurechnen, als jene erwähnten Phänomene ſcheinbar beſondrer freier Wahl im Pflanzenleben, oder in der Thätigkeit des unbewußten Theils unſrer eignen Seele, wie ſie ſich geltend macht bei Herſtellung der geſunden In¬ tegrität unſers Daſeins. Wir haben nun aber oben bemerkt, daß eben ſo, wie es unmöglich ſei ganz ſcharf das Moment zu beſtimmen, wo ſich die Weſenheit der Seele aus der der bloßen Idee hervorbilde, eben ſo es unmöglich bleibe ganz ſcharf anzu¬ geben, wo das Eigenthümliche des Geiſtes, d. i. der ſelbſtbewußten Seele, aus der nur zum Weltbewußtſein gelangten Seele hervorgehe. Achten wir auf das Leben der höhern Thiere, ſo treten dunkel ſchon viele, und klarer in den höchſten Thieren doch manche Anzeichen einer ge¬

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/144>, abgerufen am 08.05.2024.