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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Drohnen, die regelmäßigen Auszüge neuer Generationen
u. s. w. und gewiß, der Gedanke einer überlegenden, vor¬
herwissenden und sich erinnernden Seele des Ganzen
wird sich dem unbefangensten Ueberblick als unumgänglich
anzunehmen darstellen, während jede einzelne Biene für
sich genommen
, nur sehr dunkle Spuren von Intelligenz
und Willkür, am wenigsten aber Ueberlegung und Beherr¬
schung der andern, kund geben wird.

Es ist nun sehr interessant zu verfolgen, wie in den
höhern Klassen der Luftthiere, namentlich in den Vögeln
und Säugethieren, aus der Nothwendigkeit und dem un¬
mittelbaren Können, das Willkürliche und die Mög¬
lichkeit eines Erlernens
, als Zeichen eines sich höher
steigernden bewußten Lebens, allmählig hervortreten. Klar
ist es, daß die kleinste Fähigkeit etwas zu erlernen und
mit einiger Freiheit das Erlernte für ein noch so Einfaches
anzuwenden, ein Zeichen sein wird von einer weit höhern
Seelen-Entwicklung als die unbewußt angeborne Fähigkeit
ein noch so Künstliches, aber mit unbedingter Nothwendig¬
keit gefordertes zu vollbringen. In dieser Beziehung hat
man bisher keinesweges genau genug unterschieden; man
hat die sogenannten Kunsttriebe, wodurch Bienen ihre Zel¬
len, Ameisen ihre Höhlen, Vögel ihre Nester und die
Bieber ihren Holzbau ausführen, viel zu sehr als Zeichen
einer besondern individuellen Intelligenz angesehen, und
sie zu sehr den Werken der Absicht und Freiheit, wie sie
von selbstbewußten Individuen ausgeführt werden können,
verglichen. Alles indeß was mit Nothwendigkeit auftritt,
was gleich gekonnt ist, ohne erlernt zu werden, und
was immer im Wesentlichen auf eine und dieselbe Weise
sich wiederholt, trägt eben dadurch das Zeichen des unbe¬
wußten Seelenlebens und gehört demnach in eine ganz
andere Kategorie. Die Veranlassung, wodurch man ohne
Zweifel, ganz besonders dahin geführt worden ist, all die¬
sem Thun so oft eine höhere Bedeutung beizulegen, ist:

Drohnen, die regelmäßigen Auszüge neuer Generationen
u. ſ. w. und gewiß, der Gedanke einer überlegenden, vor¬
herwiſſenden und ſich erinnernden Seele des Ganzen
wird ſich dem unbefangenſten Ueberblick als unumgänglich
anzunehmen darſtellen, während jede einzelne Biene für
ſich genommen
, nur ſehr dunkle Spuren von Intelligenz
und Willkür, am wenigſten aber Ueberlegung und Beherr¬
ſchung der andern, kund geben wird.

Es iſt nun ſehr intereſſant zu verfolgen, wie in den
höhern Klaſſen der Luftthiere, namentlich in den Vögeln
und Säugethieren, aus der Nothwendigkeit und dem un¬
mittelbaren Können, das Willkürliche und die Mög¬
lichkeit eines Erlernens
, als Zeichen eines ſich höher
ſteigernden bewußten Lebens, allmählig hervortreten. Klar
iſt es, daß die kleinſte Fähigkeit etwas zu erlernen und
mit einiger Freiheit das Erlernte für ein noch ſo Einfaches
anzuwenden, ein Zeichen ſein wird von einer weit höhern
Seelen-Entwicklung als die unbewußt angeborne Fähigkeit
ein noch ſo Künſtliches, aber mit unbedingter Nothwendig¬
keit gefordertes zu vollbringen. In dieſer Beziehung hat
man bisher keinesweges genau genug unterſchieden; man
hat die ſogenannten Kunſttriebe, wodurch Bienen ihre Zel¬
len, Ameiſen ihre Höhlen, Vögel ihre Neſter und die
Bieber ihren Holzbau ausführen, viel zu ſehr als Zeichen
einer beſondern individuellen Intelligenz angeſehen, und
ſie zu ſehr den Werken der Abſicht und Freiheit, wie ſie
von ſelbſtbewußten Individuen ausgeführt werden können,
verglichen. Alles indeß was mit Nothwendigkeit auftritt,
was gleich gekonnt iſt, ohne erlernt zu werden, und
was immer im Weſentlichen auf eine und dieſelbe Weiſe
ſich wiederholt, trägt eben dadurch das Zeichen des unbe¬
wußten Seelenlebens und gehört demnach in eine ganz
andere Kategorie. Die Veranlaſſung, wodurch man ohne
Zweifel, ganz beſonders dahin geführt worden iſt, all die¬
ſem Thun ſo oft eine höhere Bedeutung beizulegen, iſt:

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[126/0142] Drohnen, die regelmäßigen Auszüge neuer Generationen u. ſ. w. und gewiß, der Gedanke einer überlegenden, vor¬ herwiſſenden und ſich erinnernden Seele des Ganzen wird ſich dem unbefangenſten Ueberblick als unumgänglich anzunehmen darſtellen, während jede einzelne Biene für ſich genommen, nur ſehr dunkle Spuren von Intelligenz und Willkür, am wenigſten aber Ueberlegung und Beherr¬ ſchung der andern, kund geben wird. Es iſt nun ſehr intereſſant zu verfolgen, wie in den höhern Klaſſen der Luftthiere, namentlich in den Vögeln und Säugethieren, aus der Nothwendigkeit und dem un¬ mittelbaren Können, das Willkürliche und die Mög¬ lichkeit eines Erlernens, als Zeichen eines ſich höher ſteigernden bewußten Lebens, allmählig hervortreten. Klar iſt es, daß die kleinſte Fähigkeit etwas zu erlernen und mit einiger Freiheit das Erlernte für ein noch ſo Einfaches anzuwenden, ein Zeichen ſein wird von einer weit höhern Seelen-Entwicklung als die unbewußt angeborne Fähigkeit ein noch ſo Künſtliches, aber mit unbedingter Nothwendig¬ keit gefordertes zu vollbringen. In dieſer Beziehung hat man bisher keinesweges genau genug unterſchieden; man hat die ſogenannten Kunſttriebe, wodurch Bienen ihre Zel¬ len, Ameiſen ihre Höhlen, Vögel ihre Neſter und die Bieber ihren Holzbau ausführen, viel zu ſehr als Zeichen einer beſondern individuellen Intelligenz angeſehen, und ſie zu ſehr den Werken der Abſicht und Freiheit, wie ſie von ſelbſtbewußten Individuen ausgeführt werden können, verglichen. Alles indeß was mit Nothwendigkeit auftritt, was gleich gekonnt iſt, ohne erlernt zu werden, und was immer im Weſentlichen auf eine und dieſelbe Weiſe ſich wiederholt, trägt eben dadurch das Zeichen des unbe¬ wußten Seelenlebens und gehört demnach in eine ganz andere Kategorie. Die Veranlaſſung, wodurch man ohne Zweifel, ganz beſonders dahin geführt worden iſt, all die¬ ſem Thun ſo oft eine höhere Bedeutung beizulegen, iſt:

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/142>, abgerufen am 08.05.2024.