oder Harnsekretion *) befördernden Mitteln in diesen Krank- heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigsten wer- den sie gewöhnlich mehr durch andere diese Nervenleiden be- dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt seyn. Oefterer hinge- gen ist von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem Mittel, welches man zwar sehr oft als für Störungen des Nervenlebens ganz unpassend betrachtet hat, und welches demohnerachtet so vielfältige Erleichterung sogar bey an sich schwächlichen und reitzbaren Subjekten gewährt; denn so wie immer die Blutmasse gern nach einem in aufgeregter Thätig- keit sich befindenden Theile hindrängt, so auch findet sich bey abnorm gesteigerter Sensibilität die Nervensubstanz (an und für sich schon eine der blutreichsten), durch Congestionen noch mehr in ihrer Thätigkeitsäußerung gehemmt, und es erscheint dadurch Blutentziehung hierbey wohlthärig wirkend. Auf welche Weise übrigens die Blutentziehung vorzunehmen sey, müssen die Umstände bestimmen. Bey vollsaftigen, an Ohn- machten, Alpdrücken, heftigen Zuckungen leidenden Personen, zumal bey sparsamer oder verzögerter Menstruation, sind ge- wöhnlich stärkere Ausleerungen nothwendig, bey sehr schwäch- lichen mit Nervenzufällen behafteten Mädchen wird hingegen die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und zwar entweder nach Berlinghieri's Methode **) durch kleine Venäsektionen, oder, was vorzüglich bey mehrern Lokal- leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schröpfköpfe Statt finden.
§. 264.
2) Die irritirende Methode gründet sich vorzüglich auf das Gesetz, daß bey sehr hervorgehobener Thätigkeit in einem Theile des Körpers, Thätigkeiten anderer Organe herabgestimmt
*) Gelinde Diuretica werden indeß vorzüglich, wo noch andere Krank- heitsstoffe im Körper sind (namentlich Ausschlagsmaterien) aller- dings zuweilen mit Nutzen angewendet.
**) S. Osiander über d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285. Berlinghieri heilte heftige konvulsivische Anfälle eines hysterischem Mädchens durch gegen 400 kleiner Aderläße zu einer halben Unze.
oder Harnſekretion *) befoͤrdernden Mitteln in dieſen Krank- heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigſten wer- den ſie gewoͤhnlich mehr durch andere dieſe Nervenleiden be- dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt ſeyn. Oefterer hinge- gen iſt von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem Mittel, welches man zwar ſehr oft als fuͤr Stoͤrungen des Nervenlebens ganz unpaſſend betrachtet hat, und welches demohnerachtet ſo vielfaͤltige Erleichterung ſogar bey an ſich ſchwaͤchlichen und reitzbaren Subjekten gewaͤhrt; denn ſo wie immer die Blutmaſſe gern nach einem in aufgeregter Thaͤtig- keit ſich befindenden Theile hindraͤngt, ſo auch findet ſich bey abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt die Nervenſubſtanz (an und fuͤr ſich ſchon eine der blutreichſten), durch Congeſtionen noch mehr in ihrer Thaͤtigkeitsaͤußerung gehemmt, und es erſcheint dadurch Blutentziehung hierbey wohlthaͤrig wirkend. Auf welche Weiſe uͤbrigens die Blutentziehung vorzunehmen ſey, muͤſſen die Umſtaͤnde beſtimmen. Bey vollſaftigen, an Ohn- machten, Alpdruͤcken, heftigen Zuckungen leidenden Perſonen, zumal bey ſparſamer oder verzoͤgerter Menſtruation, ſind ge- woͤhnlich ſtaͤrkere Ausleerungen nothwendig, bey ſehr ſchwaͤch- lichen mit Nervenzufaͤllen behafteten Maͤdchen wird hingegen die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und zwar entweder nach Berlinghieri’s Methode **) durch kleine Venaͤſektionen, oder, was vorzuͤglich bey mehrern Lokal- leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schroͤpfkoͤpfe Statt finden.
§. 264.
2) Die irritirende Methode gruͤndet ſich vorzuͤglich auf das Geſetz, daß bey ſehr hervorgehobener Thaͤtigkeit in einem Theile des Koͤrpers, Thaͤtigkeiten anderer Organe herabgeſtimmt
*) Gelinde Diuretica werden indeß vorzuͤglich, wo noch andere Krank- heitsſtoffe im Koͤrper ſind (namentlich Ausſchlagsmaterien) aller- dings zuweilen mit Nutzen angewendet.
**) S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285. Berlinghieri heilte heftige konvulſiviſche Anfaͤlle eines hyſteriſchem Maͤdchens durch gegen 400 kleiner Aderlaͤße zu einer halben Unze.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0223"n="203"/>
oder Harnſekretion <noteplace="foot"n="*)">Gelinde <hirendition="#aq">Diuretica</hi> werden indeß vorzuͤglich, wo noch andere Krank-<lb/>
heitsſtoffe im Koͤrper ſind (namentlich Ausſchlagsmaterien) aller-<lb/>
dings zuweilen mit Nutzen angewendet.</note> befoͤrdernden Mitteln in dieſen Krank-<lb/>
heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigſten wer-<lb/>
den ſie gewoͤhnlich mehr durch andere dieſe Nervenleiden be-<lb/>
dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt ſeyn. Oefterer hinge-<lb/>
gen iſt von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem<lb/>
Mittel, welches man zwar ſehr oft als fuͤr Stoͤrungen des<lb/>
Nervenlebens ganz unpaſſend betrachtet hat, und welches<lb/>
demohnerachtet ſo vielfaͤltige Erleichterung ſogar bey an ſich<lb/>ſchwaͤchlichen und reitzbaren Subjekten gewaͤhrt; denn ſo wie<lb/>
immer die Blutmaſſe gern nach einem in aufgeregter Thaͤtig-<lb/>
keit ſich befindenden Theile hindraͤngt, ſo auch findet ſich bey<lb/>
abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt die Nervenſubſtanz (an und<lb/>
fuͤr ſich ſchon eine der blutreichſten), durch Congeſtionen noch<lb/>
mehr in ihrer Thaͤtigkeitsaͤußerung gehemmt, und es erſcheint<lb/>
dadurch Blutentziehung hierbey wohlthaͤrig wirkend. Auf<lb/>
welche Weiſe uͤbrigens die Blutentziehung vorzunehmen ſey,<lb/>
muͤſſen die Umſtaͤnde beſtimmen. Bey vollſaftigen, an Ohn-<lb/>
machten, Alpdruͤcken, heftigen Zuckungen leidenden Perſonen,<lb/>
zumal bey ſparſamer oder verzoͤgerter Menſtruation, ſind ge-<lb/>
woͤhnlich ſtaͤrkere Ausleerungen nothwendig, bey ſehr ſchwaͤch-<lb/>
lichen mit Nervenzufaͤllen behafteten Maͤdchen wird hingegen<lb/>
die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und<lb/>
zwar entweder nach <hirendition="#aq">Berlinghieri’s</hi> Methode <noteplace="foot"n="**)">S. <hirendition="#g">Oſiander</hi> uͤber d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285.<lb/><hirendition="#aq">Berlinghieri</hi> heilte heftige konvulſiviſche Anfaͤlle eines hyſteriſchem<lb/>
Maͤdchens durch gegen 400 kleiner Aderlaͤße zu einer halben Unze.</note> durch kleine<lb/>
Venaͤſektionen, oder, was vorzuͤglich bey mehrern Lokal-<lb/>
leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schroͤpfkoͤpfe<lb/>
Statt finden.</p></div><lb/><divn="9"><head>§. 264.</head><lb/><p>2) Die irritirende Methode gruͤndet ſich vorzuͤglich auf<lb/>
das Geſetz, daß bey ſehr hervorgehobener Thaͤtigkeit in <hirendition="#g">einem</hi><lb/>
Theile des Koͤrpers, Thaͤtigkeiten anderer Organe herabgeſtimmt<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[203/0223]
oder Harnſekretion *) befoͤrdernden Mitteln in dieſen Krank-
heiten Anwendung gemacht werden kann, zum wenigſten wer-
den ſie gewoͤhnlich mehr durch andere dieſe Nervenleiden be-
dingende Krankheiten (§. 258.) indicirt ſeyn. Oefterer hinge-
gen iſt von Blutentziehungen Nutzen zu erwarten, einem
Mittel, welches man zwar ſehr oft als fuͤr Stoͤrungen des
Nervenlebens ganz unpaſſend betrachtet hat, und welches
demohnerachtet ſo vielfaͤltige Erleichterung ſogar bey an ſich
ſchwaͤchlichen und reitzbaren Subjekten gewaͤhrt; denn ſo wie
immer die Blutmaſſe gern nach einem in aufgeregter Thaͤtig-
keit ſich befindenden Theile hindraͤngt, ſo auch findet ſich bey
abnorm geſteigerter Senſibilitaͤt die Nervenſubſtanz (an und
fuͤr ſich ſchon eine der blutreichſten), durch Congeſtionen noch
mehr in ihrer Thaͤtigkeitsaͤußerung gehemmt, und es erſcheint
dadurch Blutentziehung hierbey wohlthaͤrig wirkend. Auf
welche Weiſe uͤbrigens die Blutentziehung vorzunehmen ſey,
muͤſſen die Umſtaͤnde beſtimmen. Bey vollſaftigen, an Ohn-
machten, Alpdruͤcken, heftigen Zuckungen leidenden Perſonen,
zumal bey ſparſamer oder verzoͤgerter Menſtruation, ſind ge-
woͤhnlich ſtaͤrkere Ausleerungen nothwendig, bey ſehr ſchwaͤch-
lichen mit Nervenzufaͤllen behafteten Maͤdchen wird hingegen
die Anwendung oft wiederholter kleiner Blutentziehungen, und
zwar entweder nach Berlinghieri’s Methode **) durch kleine
Venaͤſektionen, oder, was vorzuͤglich bey mehrern Lokal-
leiden Empfehlung verdient, durch Blutigel oder Schroͤpfkoͤpfe
Statt finden.
§. 264.
2) Die irritirende Methode gruͤndet ſich vorzuͤglich auf
das Geſetz, daß bey ſehr hervorgehobener Thaͤtigkeit in einem
Theile des Koͤrpers, Thaͤtigkeiten anderer Organe herabgeſtimmt
*) Gelinde Diuretica werden indeß vorzuͤglich, wo noch andere Krank-
heitsſtoffe im Koͤrper ſind (namentlich Ausſchlagsmaterien) aller-
dings zuweilen mit Nutzen angewendet.
**) S. Oſiander uͤber d. Entwicklungskrankheiten 2r Thl. S. 285.
Berlinghieri heilte heftige konvulſiviſche Anfaͤlle eines hyſteriſchem
Maͤdchens durch gegen 400 kleiner Aderlaͤße zu einer halben Unze.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/223>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.